Ein Besuch bei BLESS in Paris und Berlin. Das Design-Duo lotet regelmäßig die Grenzen zwischen Mode, Design und Kunst aus: Ines Kaag (Berlin) und Désirée Heiss (Paris) schaffen Produkte, die einer voreiligen Kategorisierung trotzen. Zu den Modewochen in Paris Anfang März 2011 präsentierten sie ihre neueste Entwurfsreihe “BLESS N°43 Know Howowow” in einem alten französischen Stadthaus. Statt dem klassischen Vorbeischreiten mandelnasiger Laufstegschönheiten, fühlte es sich hier an wie ein privater Besuch in einem zweistöckigen Atelier.
Tableaux Vivants. Wohin man blickt. Die Modelle arrangieren sich in Gruppen im Raum, stehen vereinzelt in der Ecke herum, liegen auf Tischen. Üben sich in der Kunst des Stillhaltens, in der sparsamen Interaktion, während sie von Studenten gemalt werden. Von der Skizze zum Entwurf – so ist es Tradition in der Modebranche. Doch die beiden Designerinnen verkehren diesen Schaffensprozess. Und lassen ihre finalisierten Werke wieder auf Papier bringen.
Manchen Modellen ist das alberne Rumgestehe zu langweilig. Sie gähnen, hängen auf Sofas ab, entziehen sich dem Gruppenbild und verwischen somit auch die Grenzen zwischen Zuschauer und Betrachter. Manchmal so stark, dass man sich fragt, ob ein Modell oder ein Schaulustiger gerade posiert. Ein weiterer Freund gesellt sich wieder hinzu. Er bringt Bier mit. Eine Katze – zuerst noch Teil des Figurenkabinetts – huscht aus dem Bild heraus und tappst die Treppe herunter. Ein Catwalk, einmal anders.
Momente entstehen, die in einer Inszenierungs-Industrie eher selten sind. Wobei mitunter die Nicht-Inszenierung eine Inszenierung mit anderen Mitteln ist, schon klar. „Das Intime stirbt nicht, wenn es vom Blick eines Dritten überrascht wird. Doch es verkümmert, wenn es aus seinem geheimen Garten herausgerissen und vor der Welt ausgebreitet wird.“ Ein Satz von dem französischen Philosophen Raphaël Enthoven, der den Konflikt in der Darbietung des Privaten beschreibt, die manchmal im Verborgenen den Bezug zur Welt mehr bereicherte und belebte. Das Spannende an der Präsentation von BLESS ist eine künstlich erschaffene private Situation, die mit diesem Moment der Intimität spielt.
In der Kollektion selbst dominieren Farben der Jagd: lodengrüne Wollkleidung, kamelbeige, dunkelrote und graue Wolle, dunkelgrüne Seide. Dazu Elemente von Lamm-, Fuchs- und Waschbärfell. Die Silhouetten entspringen der Grundphilosophie von BLESS: klassische Alltagsmode mit Abendgarderobe zu verschmelzen und somit Looks zu kreieren, mit denen man nahtlos durch den Tag kommen kann.
Obwohl sie offiziell an der Fashion Week in Paris teilnehmen, arbeiten die Designerinnen nicht im üblichen saisonalen Takt. Vielmehr nehmen sie sich die schöpferische Freiheit heraus, Produkte zu erschaffen – in ihrem Sprachgebrauch besser „Sachen“ – wenn die Idee ausgereift ist, nicht wenn es die Nachfrage diktiert.
„Ein Konzept gibt es nicht, das ist eher eine Lebenshaltung. Wir machen einfach nur, was wir wollen. Wenn wir etwas ausprobieren möchten, probieren wir es aus“, so Ines Kaag. Dabei versehen sie seit Gründung ihres Labels 1997 jedes ihrer Produkte mit einer Nummer: Die Pelzperücke, die erste Design-Idee von BLESS, bekam die Nummer N°00. Martin Margiela erfuhr von der Kreation und zeigte die Pelzperücke wiederum bei der Präsentation seiner Winterkollektion im Jahr 1997. BLESS erlangte mit einem Schlag internationale Aufmerksamkeit.
Mode spielt mit den Codes von Distinktion und Abhebung. BLESS vereint die Leute eher in dem Anspruch, den Alltag ein klein wenig besser, eine Nuance angenehmer zu gestalten. Dabei experimentiert BLESS wie gesagt mit dem Moment des Intimen und beruft sich in dem Schaffen auf Beziehungen zu Freunden, zu vertrauten Menschen oder Dingen, ohne die wir uns nicht als wir selbst, nicht bei uns zu Hause fühlen. So lädt auch der neue BLESS Shop in Berlin zum Verweilen ein.
Umgestaltet und in anderer Lage, erinnert er stark an die Atmosphäre eines Appartements. Ein aufdringlicher Umschlagplatz für BLESS-Produkte, die mit der Zeit ihren Platz finden und Form annehmen sollen. Wie in einer Wohnung eben, wo die Gebrauchspuren des Lebens sich en passant niederlassen. Man sollte sich also etwas Zeit mitnehmen, vielleicht nur ein Buch auf dem Balkon lesen, mit Freunden plaudern, sich im Müßiggang eines Nachmittags verlieren. In Zukunft kann der Besucher gleich noch in dem Appartement nächtigen. Frühstück gibt es auch dazu. Vorher sollte man seinen Besuch kurz ankündigen.
Wie bei einem guten Freund eben.
Fotos
Alle Fotos des Beitrags stammen von Denys Karlinskyy
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toller Shop!