Wie offenbart sich die kapitalistische Psyche zwischen Meeting und Flipchart? Der Filmemacher Harun Farocki begleitete über ein Jahr die Treffen eines Beraterteams zur Entwicklung eines neuen Produkts. Dabei wird eine Gruppe von Mitarbeitern zu Teilnehmern des künstlerischen Prozesses. Der Dokumentarfilm Ein Neues Produkt lässt tief in Innenleben der Manager blicken und gibt Einblicke in das Weltverständnis an den Schreibtischen der Macht.
Harun Farocki setzt seine Untersuchungen von normativen Situationen in der kapitalistischen Marktwirtschaft fort: Während sich die frühen Filme dieses Subgenre seiner Werke, von Volker Pantenburg kürzlich als „vermittelnd“ klassifiziert, mit tatsächlich didaktischen Handlungen befassten (z.B. Die Schulung 1987, Die Umschulung 1994, oder Die Bewerbung 1997), widmet sich Ein Neues Produkt dem Geschäfts- und Verkaufsgespräch – mit „Meeting“ und „Pitch“.
Die gnadenlose Optimierung von Arbeit
Innerhalb dieser Gruppe der „unterrichtenden“ Arbeiten haben jene Filme, die solche Gespräche zum Thema haben, Zwischenstufen des manifesten Inhalts eliminiert: Sie zeigen nicht mehr ein Rollenspiel (z.B. das Üben eines Bewerbungsgesprächs, Manager, die in die Rolle der zu entlassender Arbeiter schlüpfen, oder zivile Therapeuten, die anderen Therapeuten des Militärs zeigen wie Computersimulationen traumatisierten Soldaten helfen können), sondern begnügen sich damit, die Personen in den Strukturen der vorgegebenen Inszenierung agieren zu lassen. Das Rollenspiel betonte die artifizielle Rollenverteilung, die Willkür der Theorie, und auch die Banalität der Trockenübungen: In den Meetings stellt sich eine andere Art des performativen Schauspiels dar.
Das vordergründige Thema der Dialoge ist zwar nicht irrelevant, aber auch nicht allein sinngebend. Man kann dies vielleicht mit der Beziehung von manifesten und latenten Trauminhalten vergleichen: der Betrachter bzw. Zuhörer nimmt die Rolle des Analysten ein, der in den Erzählungen der manifesten Ereignisse des Traums nicht nach dem Wahrheitsgehalt sucht, sondern Brüche und Fissuren latenter Konflikte aufspürt. Selbst wenn die neoliberalen Euphemismen der Protagonisten dieser Filmgruppe manchmal schwer auszuhalten sind, so findet das tatsächliche Drama in den Sprechakten selbst statt, die eine Dynamik der Figuren untereinander aufzeigt.
Die psychologischen, sozialen und ideologischen Mechanismen, die die ritualisierten Sprechakte der marktwirtschaftlichen Situationen in sich bergen, sind das wirkliche Thema. Es sind „die Prozesse, nicht die Ergebnisse“ wie Farocki einmal gesagt hat, die wichtig sind. Farocki untersucht das Verhalten, den Code, der in diesen Interaktionen produziert wird und versucht die Ironien unaufgeregt zu betonen, ohne seine Subjekte der Lächerlichkeit preiszugeben. „Ich betrachte etwas gerne so wie es mir präsentiert wird“, sagte er 2001 in einem Interview, „und dann ändere ich das Bild ein wenig von dem wie es gesehen werden möchte, um kleine Veränderungen vorzunehmen, wie man es aus der Pop Art kennt.“
Ein Neues Produkt
Ein Meeting wie viele andere. In einem undefinierten Raum mit großen bemalbaren Stellwänden (Flipcharts) wird ein Brainstorming-Meeting abgehalten. Wie in vielen Räumen in Deutschland, der Welt. Die Sprache ist gehobenes „Managerdeutsch“. Hier diskutiert das Quickborner Team (QT), das sich im Zuge der Entwicklung eines „Neuen Produkts“ zunächst selbst analysiert. Es gewährt uns in den folgende Sequenzen Einblick in seine Arbeit mit Kunden und wir erfahren mehr, uns wie sich die Dynamik des Teams als auch seine öffentliche Darstellung entfaltet. Zwischendurch eingeblendet werden Modelle und Computeranimationen, die die Gestaltung verschiedener Räume – basierend auf den Thesen des QT – darstellt.
Es geht um Freiheit, um Visionen: schneller, klüger, effektiver sollen die Angestellten in diesen neuen Raumkonzeptionen sein. Es klingt alles so schön: Wir optimieren, flexibilisieren. Hier werden mobile Arbeitsplatzkonzepte konzipiert in denen Mitarbeiter selbstbestimmt agieren können. Nein, die Festlegung auf einen Arbeitsplatz, eventuell mit persönlichen Gegenständen oder Fotos privatisiert (ein „Heimatpunkt“), soll vermieden werden: Da muss man die Mitarbeiter schon zur Freiheit zwingen, Verzeihung: „mitnehmen“. Für Außenstehende ist es fast komisch, manchmal rührend, wie diese Fachkräfte um Worte ringen, die einfachsten Vokabeln auseinandernehmen, wiederzusammensetzen und insgesamt etwas ungelenk, fast verlegen, mit den analytischen Werkzeugen der Geisteswissenschaftler hantieren: Bildhafte Ausdrücke wie Mantel und Luftballon werden als Metaphern für das vom Quickborner Team angebotene Konzept einer Unternehmenskultur ausprobiert.
„Woran denkt man bei einer Auster?“ fragt ein Mann im Anzug und weißen Hemd und malt die Umrisse einer solchen Molluske auf ein weißes Flipchart. Er will auf den Unfall, die produktive Verletzung hinaus, die in einer Auster eine Perle entstehen lassen kann. „Verletzung“ ist natürlich kein erwünschter Begriff für dieses Bild. Nein, es ist „eine Öffnung, die positive Resultate hat.“ Ja, ja, we get it. Die Unbeholfenheit, mit der er seinen Kollegen das Bild vermitteln möchte, erinnert an den Deutschunterricht. Er tut einem fast ein bisschen leid.
Doch hier greift der Film mit einem Schnitt ein: die nächste Einstellung präsentiert die geschickte Anwendung der nun fertig formulierten Austernmetapher im Produktgespräch. Dieser Handgriff wiederholt sich ein paar Mal, so dass wir die Abfolge der Brainstorming-Meetings und den Transfer des dort entwickelten Vokabulars in ein Konzept, das Kunden präsentiert wird, nachvollziehen können.
Man kann die Mischung aus konzeptueller Forschheit und intellektueller Unbeholfenheit belächeln, aber was sich in diesem verharmlosenden Vokabular und eifrigem Enthusiasmus verbirgt ist unsere Weltordnung. Begreift man die Arbeit des QT im gesamtgesellschaftlichen Kontext, wird einem etwas bang. Wie viele dieser Meetings wird es wohl tagtäglich in der Welt geben? Wie viele Wege, die marktwirtschaftliche Kälte zu kaschieren, werden täglich mit bunten Filzstiften in nette, anschauliche Bilder verwandelt? Die Verniedlichung neoliberaler Marktwirtschaft ist grotesk – aber irgendwie faszinierend.
Das Vokabular der mantrahaft wiederholten Euphemismen, die eigentlich Teilzeit, Rationalisierung, Entlassung, Kontrolle, und ständige Ü̈berwachung heißen, hat einen einlullenden Effekt. Man beginnt sich „einzuhören“ in den Code, der hier benutzt wird. Man glaubt fast dran, wäre da nicht auch der Eindruck, dass diese Leute high sind von ihrer Droge Wort.
Aber es sind nicht nur die im Satzgeflecht verteilten Anglizismen, sondern die aus verschiedenen Fachgebieten geplünderten Begriffe, die eine Ambivalenz von Vertrautheit und Fremdheit herbeiführen: Open-space technology (Management), Prägung (Behaviorismus), deterritorialization (Philosophie). Kurz fragt man sich, ob diese Hamburger Kaufleute neben ihren unbeholfenen „Semantik“-Versuchen nicht auch Abstecher in die Semiotik hinter sich haben. Aber das Vokabular ist eher ein Symptom der Trickle-down-Theorie – die Fähigkeit der Massenkultur, die Produkte der Avantgarde schnellstens zu assimilieren und in der Formulierung der konservativen Ökonomie zu fassen. Hier ist ein Wortschatz anzutreffen, der offenbar fast vollkommen sinnentleert aus einem Bereich in den nächsten gezogen wird. Man kann zusehen bei einem Prozess, den man sonst nur aus der Philosophiegeschichte kennt: Vergleichbar vielleicht mit den weitgehend emigrationsbedingten Entpolitisierungsbestrebungen der Kritischen Theorie, des Logischen Positivismus oder des Bauhaus während und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Für sich genommen wirkt das Video sachlich und vielleicht ein wenig verbindlich. Die Darstellung der geschäftlichen Besprechungen ist formal relativ geradlinig und ist augenscheinlich auf Wertfreiheit bedacht. Die unaufdringliche narrative Struktur und der Verzicht auf bewertende Erläuterungen in Unter- oder Zwischentiteln oder auf – in Farockis Formulierung – die „feige Distanzierung“ eines Kommentars, überlässt die Einschätzung dem Betrachter. Ein gewisses Maß an dramatischem Flair ist wohl den ritualisierten Situationsstrukturen und der Selbstdarstellung der Protagonisten geschuldet. Im Großen und Ganzen sind die Protagonisten dieses Films nicht sehr außergewöhnlich: das QT und seine Kunden sind weder monströs noch besonders verführerisch. Keiner braucht sich hier zu schämen. Was spricht dagegen, dass
das QT – immerhin der nominale Neue Auftrageber des Projekts – den Film selber nutzen wird? Bleibt dem Kritiker nicht das Amüsement, die leichte Herablassung im Halse stecken, wenn er bedenkt, dass das Quickborner Team, ihre Kunden und deren Mitarbeiter eben das repräsentieren, was man in der Kunstwelt gerne die Realwelt nennt? So spricht sie – und zwar ohne die ironische Distanziertheit, an welche die Betrachter des Farocki-Films im musealen Kontext gewohnt sind.
Man mag in der Lage sein, Fetzen des von der Marktwirtschaft assimilierten Vokabulars zu ihren Quellen zurückzuverfolgen, aber können wir für diese Gelehrsamkeit mehr erwarten als eine kurze, ohnmächtige Befriedigung? Die „reale Welt“ plagt sich nicht mit intellektuellen oder sonstigen Skrupeln und nutzt das geplünderte Vokabular mit selbstvergessener Gelassenheit um genau die Umstände voranzutreiben, die jene Texte, aus denen es stammt, kritisieren. Farocki ist sich ohne Frage der Mechanismen solcher Assimilation bewusst, dennoch stellt sich die Frage: Könnte nicht der neoliberale Marktwirtschaftler, vom Avantgarde-Künstler geadelt und im musealen Kontext als New Patron hofiert, das letzte Lachen bzw. das letzte Wort behalten?
Die Antwort mag gerade in der Unaufgeregtheit dieses Filmes liegen. In einem Text von 2009 schreibt Georges Didi-Huberman über die Dialektik von Wut und Gelassenheit in Farockis Werk. Anlass für Didi-Hubermans Überlegung ist hier der Akt der politisch motivierten Selbstverbrennung und die inzwischen ikonisch gewordene Szene aus Nicht Löschbares Feuer (1969), in welcher der Künstler sich eine Zigarette auf dem Arm ausdrückt. Didi-Huberman schreibt: „Lifting one’s thought to anger. Lifting one’s anger to the point of burning oneself. In order to better, to calmly denounce the violence of the world.“ Diese konzentrierte Ruhe ist Farockis filmischem Werk immanent und konstituiert einen entscheidenden Bestandteil der nachhaltigen Eindringlichkeit seiner Arbeiten.
3 Comments
WOW, vielen Dank für dieses Werk! Das sollte eigentlich Pflicht an Schulen werden… Leider nur wird es dazu nicht kommen, da die tausenden (völlig inkompetenten) „Lehrer“ (soweit man diese so schimpfen darf) selbst nicht mal durchblicken, und das obwohl diese jeden Tag jungen Leuten das Gefühl vermitteln, sie wüssten wie die Welt funktioniert.
Grüße
Martina
danke für diese auseinandersetzung! im anschluss hab ich ein schönes interview mit Harun Farocki gefunden. jetzt möchte ich den film gerne noch sehen; bin sicher die gelegenheit kommt wieder.
Ja, ich möchte mich ebenfalls für diese gefällig geschriebene Besprechung bedanken, die Lust macht auf den mir bis dahin völlig unbekannten Film. Ich warte voller Vorfreude auf die Lieferung der DVD-Sammlung.
Im Übrigen mag ich noch konstatieren, dass ich die Lehrer-Schelte von Lelala als deutlich überzogen empfinde. Zum einen sind „die Lehrer“ keineswegs über einen Kamm zu scheren, was sich zu Zeiten des Web 2.0 sehr leicht anhand der vielen, in Inhalt und Auftritt äußerst unterschiedlichen Lehrer-Blogs nachvollziehen lässt. Zum anderen ist es weniger den Individuen als vielmehr dem Schulsystem und seinen Rahmenbedingungen anzulasten, wenn manche Lehrer wenig über die Arbeitswelt und gewisse Lebensrealitäten außerhalb der Schule zu sagen wissen. Zumal über solche Entgleisungen, wie sie in Farockis Film beschrieben werden.
Selbst den solchermaßen manipulierten Arbeitnehmern fällt es mitunter äußerst schwer, zu realisieren, was da mit ihnen gemacht wird, wie das einzuordnen ist und welche Auswege sich womöglich finden lassen. Ganz ohne Zweifel helfen dabei solche Filme und Diskussionen wie die obenstehende!