Ein Gespräch mit der Künstlerin Nele Budelmann, anlässlich ihrer Ausstellung „DIE Gewitter der Welt Alle Farben jap. Nudelrestaurant New Year 7 Feb 13“, im Kunsthaus Jesteburg.
Isa Maschewski: Vielleicht können wir uns zu Beginn über den Ausstellungstitel unterhalten. „DIE Gewitter der Welt Alle Farben jap. Nudelrestaurant New Year 7 Feb 13“.
Nele Budelmann: Ursprünglich war der Titel noch viel länger – es gab insgesamt sogar sechs Titel. Ich wähle Ausstellungstitel meist autobiografisch und besonders „DIE Gewitter der Welt“ beschreibt für mich die Situation in der ich mich momentan befinde. Ich beobachte, wie es in der Welt um mich herum lärmt und kracht, politisch, international und national, gehe durch neue persönliche Situationen, die sich schnell und heftig überlagern. All das sind für mich „DIE Gewitter der Welt“. Ich erzähle mit meinen Ausstellungstiteln immer etwas über die Zeit die ich gerade durchlebe, oder teile Gedanken mit, die ich während der Ausstellungsvorbereitung habe. Der Titel „Alle Farben“ entstand z.B. aus einem Wunsch heraus – vom Farbenhersteller „Old Holland“ wünsche ich mir wirklich alle Farben, ein Wunsch, der mich also gerade während des Malens ständig begleitet. Schon die Farbnamen von Old Holland sind sensationell. Ein Freund sagte einmal, mit diesen Farben malt man nicht, sie seien eher wie feine Gewürze. Auf meinen persönlichen Einladungen zur aktuellen Ausstellung steht, dass ich mir als Gastgeschenk diese Farben wünsche, vielleicht nicht so ganz ernst gemeint, vielleicht auch sehr ernst gemeint.
Meine eigenen Einladungen für die Ausstellung im Kunsthaus Jesteburg habe ich schon vor dem Jahreswechsel verschickt, zusammen mit einem Brief – den meisten habe ich darin ein „New Year“ gewünscht, wie im Titel der Ausstellung. Manchen auch ein „Happy New Year“.
Isa Maschewski: …und der 7. Februar ist klar, denn das ist das Eröffnungsdatum.
Nele Budelmann: Genau. Zurzeit arbeite ich gerade intensiv an einem buddhistischen Motiv, einer Zeichnung von Buddha, umgeben von Menschen auf einem sehr weitläufigen Gelände. Die Kulisse ist eine Ruine, die den Blick an vielen Stellen durchlässt, davor die Skulptur des lachenden Buddhas aus Stein. Das Motiv stammt von einer alten Fotografie. All meinen großen Malereien gehen zahlreiche Zeichnungen voraus. Das Buddha-Motiv ist nun eigentlich an der Reihe – nach 25 Zeichnungen warte ich darauf, es auf die Leinwand bringen zu können. Ich übe meine Motive gern. Doch in jeder Zeichnung wirkt sein Lachen und der charakteristische Bauch noch falsch auf mich, scheint seltsam deplatziert oder fast albern. Auch über dieses Lachen denke ich in Bezug auf „DIE Gewitter der Welt“ nach. Der Buddhismus ist ja komplett antimaterialistisch – wenn man allen Besitz verliert bleibt ein Lachen übrig. Vielleicht warte ich deswegen darauf, dass mir das Lachen bei meiner Buddha Zeichnung gelingt.
Isa Maschewski: Im Zen-Buddhismus wird die Leere als Fülle begriffen – eine erstrebenswerte Haltung. Aber in deinen Arbeiten finden sich weit mehr Referenzen, Du befasst dich sehr intensiv mit russisch-orthodoxen Ikonen Darstellungen und auch der japanische Kimono ist ein wiederkehrendes Thema in deinen Arbeiten. Gerade die Ikonenmalerei ist keine einfache Aufgabe, man wird zum ausführenden Organ in einem religiösen Kontext; warum hast du dich genau dafür entschieden?
Nele Budelmann: Mit der Ikonenmalerei beschäftige ich mich schon lange und intensiv. Angefangen hat es eigentlich mit einer spontanen Antwort auf eine Frage meines Professors Werner Büttner. Er fragte mich nach meinen Vorbildern und ich nannte neben vielen Künstlern der Jungen Wilden wie Kippenberger, Oehlen, Kiecol oder Herold auch Ikonen. Durch einen Kontakt Werner Büttners konnte ich dann kurze Zeit später in einer Ikonenwerkstatt in Wien arbeiten. Vieles an diesen Bildern fand ich von Beginn an schön – das Blattgold, das Alter, die Geschichte und die Länder aus denen sie stammen. Als ich damit angefangen hatte die Ikonen-Motive abzumalen, empfand ich die eigene Malerei im Vergleich mit ihren Vorbildern sehr schnell als schrecklich. Das war der erste Schock – verbunden mit einer Erkenntnis. „Du malst hier nicht irgendwas, du malst wirklich religiöse Motive und so ein Thema nimmt man ernst.“
Zu meinem Diplom habe ich mich komplett auf die Thematik eingelassen. Ich malte die Ikonen in Öl und begann eine Art Übersetzung, wobei mir die Malerei als Erkenntnismittel diente – ich habe die Motive interpretiert und imitiert, habe mich auf jede mögliche Weise mit der Ikonenmalerei auseinandergesetzt. Dabei habe ich die immense Bedeutung und Schwere des Themas erfahren. Bis heute finde ich noch immer Ikonen, die ich noch nicht gemalt habe, die mich interessieren, mit denen ich mich intensiv malerisch und gedanklich auseinandersetzen will. Man kann sagen, das Malen hat mich den Ikonen angenähert und die Ikonenmalerei hat mich gleichermaßen wieder dem Medium Malerei angenähert, von dem ich mich zuvor entfernt hatte.
Ich habe oft festgestellt, dass die Ikonen-Motive bei vielen Menschen Fragen oder auch Widerstände auslösen. Kaum jemand kann nachvollziehen, was mich an dieser Thematik so fasziniert – mich, als Hamburgerin, protestantisch erzogen und konfirmiert. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb interessiert mich Ikonenmalerei besonders.
Isa Maschewski: Ich kann mir gut vorstellen, dass einen eine solche Thematik mit der Zeit immer mehr einfängt, mit all ihren Bezügen und der langen Geschichte dahinter. Du sprichst aber auch davon, dass du deine Bilder zeitgenössisch aufbrichst, auch mittels asiatischer Bezüge.
Nele Budelmann: Das kommt daher weil ich ein zeitgenössisches Leben führe. Wenn vielleicht auch nicht absichtlich.
Isa Maschewski: Wie genau kam es denn zu deiner Auseinandersetzung mit asiatischen Motiven und Kimonos?
Nele Budelmann: Mit Kimonos habe ich mich zum ersten Mal nach einer großen Ausstellung beschäftigt die ich 2001 gemacht habe. Ein dreiviertel Jahr hatte ich meist 12 Stunden am Tag gearbeitet, mit wenig zum Essen, Mietschulden im Nacken und überhaupt in einer sehr extremen Lebenssituation. Ich habe viele großformatige Bilder produziert, alles in meiner Wohnung, auf ca. 80 qm2. Nach der Ausstellung war ich sehr erschöpft, körperlich und geistig. Ich habe dann damit begonnen, die übrigen Leinwände in meiner Wohnung nach einem Kimono-Schnittmuster zu zerschneiden, dass ich in einem Katalog gefunden hatte. Alle waren schon mit „Berlin“ beschriftet, weil es zu der Zeit hieß, man müsse unbedingt nach Berlin ziehen. Aus den zerschnittenen Leinwänden habe ich dann Kimonos genäht. Das empfand ich damals als Befreiung, diese Art von Leere – keine Bilder mehr – nur noch nähen. Ich weiß selbst nicht mehr genau, was das eigentlich für ein Phänomen war. Aber ich mag Kimonos noch immer sehr, auch weil sich ihr Schnittmuster durch einfachen Dreisatz auf alle Formate von Rest-Leinwänden übertragen lässt.
Auf einmal war ich dann für den zeitgenössischen Kunstbetrieb viel interessanter als zuvor – Kimonos waren offensichtlich attraktiver als Ikonen. Darüber mache ich mich lustig, gerade mit dem Titel „jap. Nudelrestaurant“. Diesen Titel verwende ich übrigens schon recht lange. Ich lebe in meiner Wohnung ja sehr eng mit meinen Werken zusammen, sie umgeben mich überall, auch dort wo ich koche, esse und Gäste empfange… und für die lee rstehende 300 qm2 Wohnung unter mir habe ich ein japanisches Nudelrestaurant entworfen. Daraus bereite ich einige Gerichte zu wenn ich Besuch bekomme: Japanisches Zen – Kochbuch und ein Nudelkochbuch … meine Wohnung wird zum Nudelrestaurant.
Isa Maschewski: Das klingt für mich ein wenig ironisch – du beschäftigst dich intensiv mit russisch-orthodoxen Ikonen, dem perfekten Schnittmuster für japanische Kimonos, es gibt in deinem Alltag kaum Distanz zu deiner Kunst, deiner Arbeit. Auch das „Essen zubereiten“ wird irgendwie Teil der Kunst, weil es Teil des Lebens ist. Der Titel „Nudelrestaurant“ bricht alles auf einfachen Konsum herunter, das Hergestellte wird verkauft und dann verschlungen. Vielleicht ist es mit der Kunst auch manchmal so. Und am Ende ist eine Ausstellung immer auch das „Produkt“ aus dem, was zuhause im Atelier entsteht. Zu solchen und anderen Themen findet man mitunter Texte und Notizen auf deinen Malereien.
Nele Budelmann: Das ich meine Texte in meine Bilder klebe ist als Reaktion auf eine Meinung von außen entstanden – viele Leute halten meine Arbeiten für zu anspruchsvoll in ihrer religiösen Thematik. Ich selbst halte mich nicht für zu anspruchsvoll, sondern für „normal“ – daher sind die Notizen auf den Bildern wie ein Tagebuch, das ich in sie hineinschreibe, ich erzähle den Leuten den „Stuss“ über den ich mir den ganzen Tag Gedanken mache – parallel zur Ikonenmalerei. Für Experten sind meine Ikonenbilder ohnehin nicht so wahnsinnig anspruchsvoll, weil sie in ihrer Ausführung lang nicht so perfekt sind wie die russischen Originale. Aber ich habe noch immer russische Freunde.
Isa Maschewski: Das Private öffentlich zu machen und zur Kunst zu überhöhen ist eine altbekannte Praxis, aber du sagst, du nimmst deine Tagebuchseiten und Verweise auf deinen Alltag um die Bilder wieder ein wenig banaler zu machen. Der Gedanke gefällt mir.
Nele Budelmann: Mir auch. Ich habe mal einen Traum gehabt, als ich gerade intensiv an den Ikonen gearbeitet hatte. Ich kannte in diesem Traum den Weg in heilige Räume. Es waren unterirdische Gewölbe, im Hintergrund waren Nonnen damit beschäftigt heilige Substanzen zu produzieren. Ich ging durch einen Gang, gesäumt von vielen Türen, vor jeder Tür stand ein Japaner. Es gibt ja Träume, die einen so sehr beeindrucken, weil sie so einfach sind. Und vor meinen Ikonen hängen ja nun auch immer Kimonos.
Isa Maschewski: Die Entscheidung hast du wirklich wegen eines Traumes getroffen?
Nele Budelmann: Nein, nicht wirklich. Auf meiner zweiten Jerusalem-Reise wohnte ich in einem Hotel, das ursprünglich griechisch-orthodoxen Priestern als Herberge diente. Die Wände waren acht Meter hoch und an einer Wand im Speiseraum hing ein großes Querformat aus grobem Sackleinen. Auf dem Leinen hingen drei Beduinenkostüme, bodenlange bestickte Gewänder. In diesem Augenblick habe ich für mich erkannt: „Das mache ich auch gerade – nur anders herum.“
Manchmal brauche ich einen Kimono aber auch, um mich nicht noch weiter zu vertiefen in diese ernste, religiöse Thematik. Indem ich ihn vor die Ikone hänge, kann ich das Thema leichter verlassen und auch mal etwas sagen wie „Schluss“.
Isa Maschewski: Du nähst die Kimonos mit der Hand, ohne Fingerhut bearbeitest Du diesen teils groben Leinwandstoff. Ein unglaublicher Zeitaufwand, der fast schon meditativ wirkt. Vielleicht eignet sich der Kimono gerade so gut um die religiöse Malerei zu verlassen weil er aus einer völlig anderen Art der Vertiefung hervorging. Die Herstellung der Kimonos scheint dir leichter zu fallen als die Auseinandersetzung mit den Ikonen. Stimmt das?
Nele Budelmann: Ja, weil vielleicht auch ein anderer Drang dahinter steht. Es gehört eine andere Mentalität dazu, die ganze Zeit diese kleinen Stiche zu machen und das gleichzeitig als schön zu empfinden. Ich finde es ja auch schön, dass ich meine Malereien umnähen kann, zerschneiden kann.
Isa Maschewski: Also hast du Lust an der Zerstörung deiner eigenen Arbeiten.
Nele Budelmann: Tatsächlich zerstört werden die Arbeiten, wenn zu viele von ihnen zu lange in meiner Wohnung herumstehen, sie werden zu oft umher geschoben, von Dachboden zu Ausstellung zu Dachboden und nehmen manchmal Schaden dabei – sie zu zerschneiden ist dann immer noch eine produktive Form von Zerstörung.