Sarah Bechters Ausstellung No Occasion For Reduction im Kunstverein Jesteburg, die am 22. September 2024 eröffnete und bis November 2024 zu sehen sein wird, ist ein eindrucksvolles Plädoyer für Fluidität – in der Malerei wie in der Wahrnehmung. Ihre Werke oszillieren zwischen Formen und Farben, zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Materialität und Traum. Dabei zelebriert sie das Unbestimmte, das Übergängliche – und genau darin liegt die Stärke dieser Ausstellung.
In den gezeigten Arbeiten bewegt sich Bechter innerhalb eines Spektrums, das sowohl von surrealistischen Einflüssen als auch von experimentellen, fast alchemistischen Maltechniken geprägt ist. Ihre Leinwände scheinen sich aufzulösen: Pigmente verschwimmen, Farben brechen sich ineinander, und gelegentlich tauchen schemenhafte Körperpartien auf – Ellbogen, Hände, Silhouetten, die gerade noch greifbar sind, bevor sie wieder in der malerischen Tiefe verschwinden. Diese Motive suggerieren eine körperliche Präsenz, die sich der eindeutigen Zuschreibung entzieht. Die Arbeiten oszillieren so zwischen Präsenz und Abwesenheit, zwischen Figur und Atmosphäre – eine Spannung, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht.

Ausstellungsansicht KVJ
Besonders spannend ist der Einsatz der Paravents, die ihre Rolle im Raum ständig wechseln. Mal fungieren sie als Raumtrenner, mal als Bildträger und mal, in aufgeklappter Form, fast wie ein Wandbild. Diese Flexibilität verstärkt das zentrale Thema der Ausstellung: die Auflösung von Grenzen. Während klassische Leinwände auf eine statische Präsentation festgelegt sind, entziehen sich die Paravents dieser Konvention und eröffnen eine neue Ebene der Interaktion. Sie lassen sich umschreiten, ihre Perspektiven verändern sich mit jeder Bewegung des Publikums – eine räumliche Dynamik, die die fluiden Motive der Malerei unterstreicht.
Der Ausstellungstitel No Occasion For Reduction verweist auf Bechters Weigerung, ihre Kunst – oder die Welt – auf eine einfache Lesart herunterzubrechen. Und doch bleibt eine gewisse Diskrepanz zwischen den theoretischen Überlegungen, die sie in ihren Arbeiten verhandelt, und der sinnlichen Erfahrung der Werke selbst. Während sich die Auseinandersetzung mit Fluidität, Machtstrukturen und feministischer Philosophie als gedankliche Rahmung anbietet, erschließen sich diese Konzepte nicht immer direkt aus der Bildsprache. Die Analogie zwischen ineinanderfließenden Farben und der Auflösung gesellschaftlicher Grenzen bleibt letztlich ein Kunstgriff – ein gedanklicher Kurzschluss, der verführerisch einfach erscheint, aber nicht unbedingt neue Einsichten generiert.
Gleichzeitig liegt in dieser Ambivalenz auch eine Stärke. Denn gerade weil sich die Werke einer klaren Interpretation entziehen, entwickeln sie eine besondere Sogkraft. Bechters Malerei entfaltet sich als ein visuelles Echo von Bewegung und Transformation, das weniger belehrt als vielmehr erfahrbar macht. Ihre Bilder wirken nicht als bloße Illustrationen theoretischer Konzepte, sondern als eigenständige, sich permanent verändernde Wahrnehmungsräume. Sie fordern den Blick heraus, verweigern sich schnellen Urteilen und laden dazu ein, sich Zeit zu nehmen – eine Qualität, die in der zeitgenössischen Kunst nicht selbstverständlich ist.
Insgesamt ist No Occasion For Reduction eine beeindruckende Präsentation, die eine große malerische Sensibilität mit einer klugen Raumgestaltung verbindet. Die Ausstellung überzeugt vor allem dann, wenn sie sich nicht zu sehr an theoretische Konzepte bindet, sondern sich auf die Kraft des Visuellen und Atmosphärischen verlässt. Gerade in ihrer Offenheit liegt ihr stärkster Moment: Sie ist nicht nur ein Statement über Fluidität, sondern selbst ein Raum, der sich stetig verwandelt.