• Kunst & Überdies
    • Ausstellungen
    • Fotografie
    • Design & Architektur
    • Film
    • Theater & Bühne
  • Künstlerporträts
  • Digitales Leben
  • Gedanken zur Zeit
  • Über DARE
    • Redaktion & Kontakt
    • Ausgaben
  • Kunst & Überdies
    • Ausstellungen
    • Fotografie
    • Design & Architektur
    • Film
    • Theater & Bühne
  • Künstlerporträts
  • Digitales Leben
  • Gedanken zur Zeit
  • Über DARE
    • Redaktion & Kontakt
    • Ausgaben

Von Walen, Zielen und falschen Größen – Poul Gernes und Cosima von Bonin im KVJ

08.05.25  Von Clara Haupt


Ein Wal, dessen massiger Körper sich in einen viel zu kleinen Schulstuhl zwängt. Ein Hai mit einer weichen Stoffrakete im Maul, eingeklemmt in ein Holzfass, das ihn bewegungsunfähig macht. Raketen, die wie Spielzeug anmuten – bunt, glatt, fast possierlich – und doch auf eine leise, irritierende Weise bedrohlich wirken. In one, two, three, our house! im Kunstverein Jesteburg treffen die Arbeiten Cosima von Bonins auf die „Target Paintings“ des dänischen Künstlers Poul Gernes – und entfalten im Zusammenspiel eine vielschichtige Erzählung über Macht, Überforderung und gesellschaftliche Verantwortung.

Was auf den ersten Blick verspielt und humorvoll erscheint, entfaltet im Detail eine komplexe Bildsprache, die sich konventioneller Interpretation entzieht. Cosima von Bonin, bekannt für ihre textilen Skulpturen, verweigert jede Deutungsanweisung. Ihre Werke sind offene Felder – Denkräume, in denen sich gesellschaftliche Diskurse, ästhetische Überformungen und persönliche Assoziationen überlagern. Es ist also die Autorin dieser Zeilen – nicht die Künstlerin – die den Hai mit der Stoffrakete als Spiegel zeitgenössischer feministisch-politischer Konstellationen liest.

Denn wer genau hinsieht, erkennt hinter der ironischen Oberfläche eine symbolische Umcodierung: Die Rakete – klassisch gelesen als Fallus, als Projektionsfläche männlicher Macht – wird hier weich, farbenfroh, entwaffnet. Der Hai, vermeintlich aggressiv, ist in Wahrheit handlungsunfähig. Eine Parabel auf das Scheitern patriarchaler Machtgesten? Vielleicht. Die Lesart ist nicht abwegig – gerade vor dem Hintergrund jüngster gesellschaftlicher Verschiebungen. Nach Trumps Wahlsieg und der Einschränkung des Rechts auf Abtreibung in den USA wurde der feministische Slogan „My body, my choice“ von konservativen Aktivisten zynisch umgewandelt in „Your body, my choice“. In sozialen Medien folgte eine ironische Gegenbewegung: Frauen filmten sich beim Zerschneiden von Gurken – eindeutig fallisch konnotierte Symbole – unter genau diesem Hashtag. Die Rakete im Maul des Hais könnte als Echo dieser performativen Revolte gelesen werden. Doch sie ist aus Stoff, und der Hai sitzt fest: ein Bild der Überformung, nicht der Gewalt.

Diese Ambivalenz durchzieht von Bonins Werk. Auch ihre Raketenserie Loser changiert zwischen kindlicher Harmlosigkeit und technischer Bedrohung. Ihre Oberflächen glänzen, ihre Farben erinnern an Bonbonpapier oder Konsumverpackung – doch ihre Form bleibt eindeutig: ein Zielobjekt, ein Träger von Macht. Sie stehen in direkter, aber nicht didaktischer Beziehung zu den „Target Paintings“ von Poul Gernes, die in Jesteburg mit ihnen zusammen ausgestellt sind. Ziel und Rakete – das Motiv liegt nahe. Doch die Beziehung ist nicht linear. Die Raketen sind zu bunt, zu weich, zu elegant, um wirklich zu schießen. Und die Zielscheiben bei Gernes sind zu dekorativ, zu kollektiv gedacht, um martialisch zu wirken. So entsteht eine visuelle Spannung, ein Spiel zwischen Form und Funktion, das Erwartungen bewusst unterläuft.

Gernes, 1925 geboren, verstand Kunst nie als ästhetisches Autonomiefeld, sondern als gesellschaftliches Werkzeug. Seine Werke entstanden oft gemeinsam mit Familie, Freund:innen, Assistent:innen – nicht selten mit Hilfe von Schablonen. Die „Target Paintings“ etwa wirken auf den ersten Blick wie reduzierte Farbstudien, doch ihre radikale Vereinfachung und offene Lesbarkeit sind politische Gesten: Kunst sollte nicht exklusiv sein, sondern zugänglich, anschlussfähig, relevant. In Jesteburg zeigt sich, wie von Bonin diesen Gedanken weiterführt – in Stoff, Farbe und Ironie.

Denn one, two, three, our house! ist mehr als eine Doppelschau. Es ist ein Dialog über die Rolle von Kunst im öffentlichen Raum – und über die Balance zwischen individueller Handschrift und kollektiver Verantwortung. Wo Gernes das Demokratische durch Vereinfachung suchte, setzt von Bonin auf Überzeichnung, auf das Groteske, auf das Übermaß. Ihre Tiere sind zu groß, zu weich, zu falsch skaliert. Ihr Wal, dessen Muster frappierend an Hermès-Verpackungen erinnert, steckt in einem Schulstuhl wie in einem Korsett – zu schick, zu eng, zu absurd. Luxus trifft Bildungsinstitution, Konsumästhetik trifft Lernarchitektur. Auch hier: keine Deutungsvorgabe, aber viele mögliche Bezüge.

Diese Offenheit ist kein Mangel, sondern Methode. In einer Welt, in der klare Antworten zunehmend ideologisch vereinnahmt werden, öffnet von Bonin Denkräume, die Fragen zulassen. Ihre Arbeiten sind keine Kommentare – sie sind Konstellationen. Und sie lassen Raum für genau jene Mehrdeutigkeiten, die gesellschaftliche Wirklichkeit ausmachen: zwischen Spiel und Ernst, Macht und Ohnmacht, Nähe und Distanz.

Im Kunstverein Jesteburg – weit entfernt von den Zentren des Kunstmarkts – wird diese Haltung spürbar. Hier, wo sich Wal, Hai, Rakete und Zielscheibe in einem einzigen Raum versammeln, entfaltet sich ein subtiles Spannungsfeld. Eines, das leise spricht, aber lange nachhallt.

Ausstellungen Kunst



Clara Haupt




Vorheriger Beitrag
Die Ambivalenz des menschlichen Körpers
Nächster Beitrag
Konzeptkunst mit emotionalem Kick






Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..






Nach oben ˆ
  • Impressum
  • Redaktion & Kontakt
  • Datenschutzerklärung