Neue Praktiken und Entwicklungen in Kunst und Kultur erkennen wir zumeist erst, wenn wir ihre Erzeugnisse nach Ursprung und Herkunft befragen. Wenn wir genealogisch die Einzelheiten und Kontingenzen vermeintlicher Endpunkte wie naher Anfänge nachverfolgen, die unser Leben bestimmen oder deren Kontur sich gerade erst abzuzeichenen beginnt.
DARE fragt in dieser Ausgabe nach Verfasstheiten der 90er Jahre – worauf Sie gründeten und für was sie den Boden bereiten. Es ist der Versuch zu ergründen, unter welchen anhaltenden Spielregeln sich unser heutiges Leben entfaltet und welche neue Formen künstlerischen und kulturellen Ausdrucks wir entwickelt haben.
Zögern, Zaudern, Zweifeln – dem Dreiklang haftet etwas zutiefst Negatives an. Dieser skeptische Hang abzuwarten, Vorsicht walten zu lassen, etwas gedanklich abzuschreiten anstatt uneingeschränkt zuzustimmen, trifft immer mehr unsere gesellschaftliche Ablehnung, die sich zusehends pragmatisch im Fluchtpunkt eines Common Sense ausrichtet.
Der Skeptiker ist berührt von dieser Welt und widersetzt sich ruinösen Zustimmungen und Versprechen. „Skepsis ist das kleine Nein zum großen Ja“, wie es der Philosoph Ode Marquard beschreibt, da der Skeptiker den Glauben an eine bessere Antwort, ja eine bessere, gerechtere Zukunft noch nicht aufgegeben hat. Applaus dagegen ist eine sinnliche Form der Zustimmung, ein Akt der Affirmation, der von Respekt und Hingabe zeugt.
Das vorliegende Heft ermisst die Synthese von Skepsis und Zustimmung: Mit Menschen, an denen das Leben nicht lässig vorbeigeht. Und Kunst, die uns den Zweifel als notwendigen Bestandteil der reflektierten Wahrnehmung wieder sichtbar macht.
Ein „grüner Imperativ“ ist heute gesellschaftlicher Konsens in Politik, Wirtschaft und Kultur – aber taugt er als Handlungsanweisung? Der Klimagipfel Ende 2009 liegt schon knapp zwei Jahre hinter uns. Medial aufgemacht als internationaler Showdown über die Rettung des Globus wirkt er bis heute nach mit dem anhaltenden Gefühl des Ausgeliefertseins, das sein diffuses Scheitern hinterlässt.
Auch in der anhaltenden globalen Wirtschaftskrise ist ein Gefühl nach wie vor bestimmend: Untergang ist Lifestyle. Wir treiben bewussten Raubbau an Umwelt, Gesellschaft, Zukunft und Ressourcen – und unser Konsum und Lifestyle richtet sich dementsprechend zunehmend auf Produkte und Formate, die trotz Massenproduktion Nachhaltigkeit versprechen. Wir sind unserem Wissen ausgeliefert und ändern unser Verhalten nicht substanziell, sondern wechseln stattdessen nur die Stoßrichtungen unserer falschen Handlungen. Künstlerische und kreative Tätigkeit hat stets auch eine kritische, bisweilen korrektive Funktion im Umgang mit Themen gesellschaftlicher Relevanz. Diese Ausgabe von DARE geht daher in einer Zeit, in der Überzeugungsarbeit nicht mehr das dringendste Anliegen ist, da doch eigentlich alle überzeugt sind, der Frage nach, wie Künstler und Kreativwirtschaft auf diesen „Grünen Imperativ“ reagieren.
Wieso haben wir manchmal das Gefühl, dass unser Handy vibriert? Doch: keine SMS niemand hat angerufen. Dieses Phänomen nennen Kognitionswissenschaftler „Phantom-Vibration-Syndrome“. Nur ein kleiner Irrglauben, der viel über unsere große Alarmbereitschaft aussagt. Ein Resultat aus der Notwendigkeit immer erreichbar zu sein.
„Wir leben in einer Welt, in der wir von allem den Preis, aber nur von wenigem den Wert kennen,“ sagte Johannes Rau schon in seiner Antrittsrede als Bundespräsident 1999. Die Masse der uns in der besagten Hosentasche zur Verfügung stehenden, zersplitterten Information ist enorm – aus all dem so etwas wie eine konsistente Weltsicht abzuleiten scheint heute unmöglicher denn je. Und ist es nicht sogar einfacher denn je – und zunehmend verbreiteter – sich selbst der Welt mitzuteilen, als sich um eine Sicht auf die Welt zu bemühen? Kolportage vermag über Interpretationsunsicherheit hinwegzuhelfen. Multitasking Overflow – und irgendwie alles zuviel.
Das Cover zu dieser Ausgabe verdanken wir dem Österreichischen Künstler Gerwald Rockenschaub, der trotz zahlreicher Verpflichtungen während der internationalen herbstlichen Kunstmessen die dazu nötige Zeit fand. Die seinen Arbeiten originäre Dualität von einfacher Formgebung und assoziativer Struktur pointiert Multitasking Overflow.
In seiner vierten Ausgabe werden Design, Gestaltung und Erscheinungsformen von “Oberflächen” in künstlerischen Formaten werden auf ihre Wirkung und Aussagekraft hin untersucht. Für die Annäherung an das Thema konnte die DARE Redaktion erneut eine Reihe renommierte Autoren, Kulturredakteure und Publizisten gewinnen: Der Berliner Schriftsteller und Journalist Ingo Niermann arbeitet sich für DARE in den aktuellen Stand der Bewusstseinsforschung ein.
Der Direktor des Kunsthauses Bregenz Yilmaz Dziewior setzt sich mit der prägnanten Arbeitsweise der Künstlerin Cosima von Bonin auseinander. Der Londoner Autor Richard Unwin beleuchtet nach dem beispiellosen Aufstieg und Fall der britischen Finanz- und Kunstmärkte das neue Interesse führender Kunstinstitutionen an einer Neugestaltung gesellschaftlichen Bewusstseins. Heiko Klaas und Nicole Büsing berichten nicht nur über ihre Reise zum einzigartigen Kunst- und Pflanzenpark Inhotim, Centro de Arte Contemporânea, des brasilianischen Kunstmäzen Bernardo Paz in Brumandinho, Brasilien.
„Ikonen“, der Titel der dritten Ausgabe; umschreibt grob die Richtung des kuratierten Heftes. Religiöse Themen werden zwar in einigen Arbeiten aufgegriffen, in vielen Bildern und den teilweise raumfüllenden Installationen sind „Ikonen“ dagegen mehr als Sinnbild zu verstehen. Gemeinsam mit der Hamburger Conradi-Galerie zeigt das „Magazin für Kunst und Überdies“ Arbeiten von zehn Künstlern, die im neuen Heft vertreten sind. So sind Kunstwerke von Wade Guyton, Joyce Pensato, Max Friesinger, Codula Ditz, Dumitru Gorzo, Michael Conrads, Johannes Spengler, Nele Budelmann und Thomas Winkler zu sehen. Die bekannte Frauen-Kunstband „Chicks on Speed“ präsentiert ihre trashige Installation „Swimming Pool“, ein neonorange-farbenes Plastikbassin, in dem ein Springbrunnen Wasser spendet.
Für die neue Ausgabe der noch jungen Publikation zu Kunst und Kultur untersucht der Hamburger Universitätsprofessor Dr. Alexander Meier-Dörzenbach Wahnsinnsszenen in Bildern und Musik, gewährt der Berliner Journalist Ingo Niermann in Insel der Fidelität Einblicke in das Leben zweier Rentner auf Kuba und erarbeitet der konzeptuelle Architekt Michael Langeder in Die Kunst der Störung Interferenzen im Stadtbild und die Produktion von Resten am Beispiel Brüssel. Darüber hinaus gibt es viel Kunst von Tillmann Terbuyken, Antonio Santin, Jennifer Bennett, Bernhard Brungs, Chris Larson und Volker Hueller.
Erste Ausgabe des DARE Magazins. Mittlerweile müssen wir ganz unbescheiden zugeben: Alle Ausgaben sind vergriffen.