Die Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp wird zur Zeit mit einer großen Retrospektive im Kunstmuseum Basel und einer ungewöhnlichen Biografie geehrt
Sophie Taeuber-Arp (1889-1943) gilt als die wichtigste Schweizer Künstlerin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Frau des erfolgreichen deutsch-französischen Künstlers Hans Arp (1886-1966) war ein absolutes Multitalent. Ihr breit gefächertes Werk ist geprägt durch einen interdisziplinären Ansatz. Ob Malerei, Skulptur, textiles Gestalten, Puppen- und Marionettenherstellung, Design, Architektur, Innenarchitektur oder auch Tanz – für Sophie Taeuber-Arp existierten all diese künstlerischen Ausdrucksformen vollkommen gleichberechtigt nebeneinander. Tradierte Hierarchien interessierten sie nicht.
Taeuber-Arp war prominentes Mitglied gleich mehrerer Avantgarde-Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert. So gab sie im März 1917 ihren tänzerischen Einstand in der Zürcher Galerie Dada. Angetan mit einer kubisch geformten Maske, tanzte sie zum Lautgedicht „Die Karawane“ von Hugo Ball, was ihr die Anerkennung der Künstlerfreunde einbrachte. Ebenso war sie Mitglied der Künstlervereinigung „Das Neue Leben“ und gehörte später auch zum Kreis der Avantgardegruppen „Cercle et Carré“ und „Abstraction-Création“.
Eine größere Ausstellung zu Lebzeiten blieb Sophie Taeuber-Arp allerdings verwehrt. Ihr Werk befand sich zum Zeitpunkt ihres Todes in den Händen von Freunden, Sammlern und Familienmitgliedern. Sie wirkte überwiegend als Kunstgewerbelehrerin für Textiles Entwerfen sowie als Möbeldesignerin, Innenarchitektin und Textilgestalterin. Was ihre eigene künstlerische Karriere anging, so stand sie stets im Schatten ihres weitaus berühmteren Mannes, des Malers, Grafikers, Bildhauers und Lyrikers Hans Arp, den sie im November 1915 kennengelernt und im Oktober 1922 geheiratet hatte. Das Paar blieb kinderlos.
Im Kunstmuseum Basel werden jetzt in einer großen Retrospektive mehr als 250 Werke von Sophie Taeuber-Arp präsentiert. Die Ausstellung umfasst die ganze Bandbreite ihres Schaffens. Die umfangreiche Schau wird im Anschluss in der Tate Modern in London (15. Juli bis 17. Oktober 2021) und im New Yorker Museum of Modern Art (21. November 2021 bis 12. März 2022) zu sehen sein. Vom MoMA ging auch die Initiative für dieses internationale Ausstellungsprojekt aus. In den Vereinigten Staaten gilt Sophie Taeuber-Arp nämlich noch als weitgehend unbekannt, sozusagen als noch zu entdeckendes „Missing Link“ oder als „Blinder Fleck“ der offiziellen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Mit der groß angelegten Wanderretrospektive wollen die New Yorker Initiatoren diese Lücke auf der anderen Seite des Atlantiks schließen.
Parallel zur Retrospektive ist jetzt auch das Buch „Sophie Taeuber-Arp. Ein Leben für die Kunst“ erschienen. Silvia Boadella, die Autorin dieses außergewöhnlichen Buches, ist die Großnichte der Künstlerin. Die 1948 in Basel geborene Boadella ist als Schriftstellerin und Psychotherapeutin tätig. Zusammen mit ihrem Mann, David Boadella, hat sie in den 1980er Jahren die psychotherapeutische Methode der Biosynthese, eine spezielle Form der Körpertherapie, entwickelt. Mittlerweile ist diese auch international etabliert. Silvia Boadella ist auch die Leiterin des in der schweizerischen Stadt Heiden beheimateten Instituts für Biosynthese.
Ihr jetzt im Mailänder Skira Verlag veröffentlichtes Buch basiert auf persönlichen Erinnerungen, überlieferten Familiengeschichten und bisher unveröffentlichtem Material. Es geht weit über die Konventionen einer normalen Biografie hinaus. Vielmehr ist es als ein intimes Porträt der Künstlerin und ihres Denkens und Fühlens angelegt. Entlang der grundlegenden Lebensthemen Liebe, Geburt und Tod zeigt Silvia Boadella zahlreiche Beziehungen zwischen den Werken Taeuber-Arps und den jeweiligen Lebenssituationen, aus denen heraus sie entstanden sind, auf. In einzelnen Kapiteln beleuchtet die Autorin aber auch Sophies lebenslange Sehnsucht nach ihrem Vater, der gestorben ist, als sie zwei Jahre alt war. Der schwer an Tuberkulose Erkrankte wurde von seiner Tochter isoliert, damit sie sich nicht ansteckte. Sie erinnert sich gemeinsam mit ihr an ihre über alles geliebte Mutter, die an Krebs starb, als Sophie 19 war.
Immer wieder begegnet sie gemeinsam mit ihr ihrer großen Liebe Hans Arp, reflektiert mit ihr über ihre Kinderlosigkeit und die enge Beziehung zu ihrer Patentochter Regula. Sie versucht zu erspüren, welche Freude es Sophie bereitet haben muss, mit dem Blick auf den Zürichsee am Webstuhl zu sitzen und Farben und Formen zu einem ausdrucksstarken Tischteppich mit konstruktivistischem Muster zu kombinieren. Gemeinsam mit ihr verabschiedet sie sich schließlich auch von der Heimeligkeit der Schweizer Seen und Bergidylle und bricht auf nach Paris, wo die Surrealisten Gala und Paul Éluard, Max Ernst und andere bereits auf sie warten.
Die Autorin feiert mit ihrer Großtante Erfolge, aber ebenso steht sie mit ihr auch Niederlagen und Phasen des Selbstzweifels durch. Sie baut mit ihr das von einem prächtigen Garten umgebene Atelierhaus im unweit von Paris gelegenen Meudon, das heute Sitz der Fondation Arp ist. Und sie flieht mit ihr vor den Nazis, die in Paris einmarschieren, zunächst nach Grasse und dann zurück in die Schweiz. Lebensstation für Lebensstation formt Silvia Boadella die Biografie ihrer Großtante aus einer Vielzahl von Puzzleteilen zusammen. Dass das alles bis aufs Detail stimmt, darf zu Recht bezweifelt werden. Doch darum geht es der Autorin ganz offensichtlich auch nicht. Es handelt sich bei diesem Buch eben nicht um eine wissenschaftlichen Kriterien genügende Biografie, sondern vielmehr um ein Experiment. Boadella verschmilzt streckenweise quasi mit ihrer Großtante. Ein unkonventioneller, wohl auch aus ihrer langjährigen Berufstätigkeit als Psychotherapeutin resultierender Kunstgriff, der ihr aber auch die Gelegenheit bietet, ans Innerste der Emotionen und Befindlichkeiten Taeuber-Arps heranzukommen.
Obwohl sie erst fünf Jahre nach dem Tod ihrer Großtante geboren wurde, ist Silvia Boadella also eine intime Kennerin der Biografie Sophie Taeuber-Arps. Von Kindheit auf ist sie mit den in der Familie geteilten Erinnerungen und Geschichten über die Künstlerin aufgewachsen. Als Familienmitglied hat sie auch unmittelbaren Zugang zu noch vorhandenen Dokumenten, Abbildungen und Fotografien aus dem Familienarchiv gehabt. So wagte sie denn auch, sich der Biografie ihrer Großtante auf diese eher ungewöhnliche Art und Weise anzunähern. Ihr Text gleicht dabei einem bislang noch unverfilmten Drehbuch, das den Leser ganz unmittelbar in das Denken, Fühlen und Handeln Sophie Taeuber-Arps versetzt. Ähnlich wie in einem filmischen Biopic wird die Lebensgeschichte der Künstlerin also am Beispiel wichtiger biografischer Ereignisse erzählt. Silvia Boadella sagt über ihre Motivation, das Buch zu schreiben: „Im Traum hörte ich den Satz: »Sophie verwandelte einen Alptraum in einen Traum.« Ich wollte herausfinden, ob das stimmte, und wie es Sophie gelingen konnte. Also schrieb ich das Buch, um von ihr etwas zu lernen.“ Boadella betrachtet ihre Großtante als eine Art Seelenverwandte: „Sophie ist sich immer selbst treu geblieben – selbst in den schwersten Phasen ihres Lebens.“
Das in 32 Kapitel gegliederte Buch setzt mit dem tragischen Tod der Künstlerin am 13. Januar 1943 in Zürich-Höngg ein – und es endet auch damit. Am Abend war sie zu Besuch bei dem befreundeten Künstlerpaar Binia und Max Bill, die in einem am Rande der Stadt gelegenen Wohnquartier von Zürich lebten. Nachdem sie die letzte Straßenbahn verpasst hatte, boten ihr die Freunde an, in deren Gartenhaus zu übernachten. Sophie Taeuber-Arp nahm das Angebot an. Da sie sich aber mit der Bedienung des Kohleofens nicht auskannte, kam es in der kalten Winternacht zu einer unvollständigen Verbrennung, in deren Folge sie eine tödliche Kohlenmonoxidvergiftung erlitt. Mit gerade einmal 54 Jahren wurde sie also jäh aus dem Leben gerissen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion
Ort: Kunstmuseum Basel
Zeit: 20. März bis 20. Juni 2021, Di – So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 352 S., 405 Abb., 58 Euro
Silvia Boadella: „Sophie Taeuber-Arp. Ein Leben für die Kunst“, Skira Verlag, 224 S., 80 Abb. in Farbe und S/W, zweisprachige Ausgabe (Englisch/Deutsch), 32 Euro
Internet: www.kunstmuseumbasel.ch
www.silviaboadella.com