Ein Interview mit Gerwald Rockenschaub anlässlich der von ihm zusammengestellten Ausstellung HIGH IDEALS & CRAZY DREAMS, die vom 20. Mai bis 30. September 2010 in der Galerie Vera Munro in Hamburg zu sehen war.
Michael Conrads: Du hast diese Ausstellung „High Ideals and Crazy Dreams“ genannt, ein Zitat aus dem gleichnamigen Song von Mark Stewart. Kannst Du uns kurz erläutern, wie es zu diesem Titel gekommen ist?
Gerwald Rockenschaub: Bei Betitelungen kommt es oft vor, dass man sehr lange suchen muss bis man auf einmal, relativ unerwartet, etwas findet was passt. Es gab über die Zeit der Planung viele Arbeitstitel, wie z.B. „Heroes“. Allerdings sind wir von diesem Vorschlag relativ schnell wieder abgekommen. Am Ende muss alles schlicht passen – wenn man Künstlerliste und Titel zusammen sieht muss alles zusammen eine stimmige und griffige Sache ergeben.
Michael Conrads: Der Titel ist ja auch inhaltlich interessant..
Gerwald Rockenschaub: Das stimmt, und dass obwohl ich eher zufällig auf ihn gestoßen bin – ich habe sehr viele CDs, die überall bei mir rumliegen. Zufällig lag die CD von „Mark Steward and the Mafia“ oben auf einem der Stapel und ich habe sie einfach mal umgedreht – in diesem Moment war ich gar nicht auf der Suche nach einem Titel für die Ausstellung. Das Album hatte ich nur schon ewig nicht mehr gehört und womöglich hat es deshalb mein Interesse geweckt. Beim Durchlesen der Trackliste ist mir dann dieser Titel „High Ideals and Crazy Dreams“ ins Auge gefallen und sehr schnell war klar, dass hier alles passt. Kunst verschreibt sich einem hohen Ideal, hat ihren Anfang aber immer in der geträumten Idee. Mark Steward hat also den Titel geliefert und steht deswegen auch auf der Künstlerliste.
Michael Conrads: Post Punk ist ja geprägt vom experimentellen Verschmelzen von Elementen aus verschiedenen Stlrichtungen wie Jazz, Funk oder Dubsounds mit typischen Stilmitteln und auch der revolutionären Haltung des Punk. Ist eine solche Praxis des Mashups auch wichtig für Deine künstlerische und kuratorische Arbeit?
Gerwald Rockenschaub: Ja, dass kann man sagen, obwohl diese Überlegung für mich bei dieser Ausstellung keine so wahnsinnig große Rolle gespielt hat. Was die Titelfindung betrifft lässt sich schwer etwas verallgemeinern – nicht selten wird da einfach etwas zusammengestoppelt – man stößt auf etwas während man eine Zeitung liest, manchmal fällt einem selbst völlig unvermittelt etwas ein – man liest ein Wort da, man sieht ein Wort dort und man denkt sich das passt – wunderbar! Bei dieser Ausstellung habe ich übrigens nicht zum ersten Mal einen Titel aus einem musikalischen Bereich gewählt. Eine meiner Ausstellungen in Wien trug mal den Titel „humanoid must not escape“ – das ist ein Sample aus einem Aphex Twin Track. Ich glaube, das ist auch wieder aus einem Film, Sience Fiction, was auch immer – mit der Ausstellung hatte das dann unmittelbar gar nicht mal so viel tu tun…
Michael Conrads: Es geht ja vielleicht auch mehr um so ein „Feeling“ was der Idee der Ausstellung entspricht..
Gerwald Rockenschaub: Das stimmt, manchmal wähle ich die Titel auch so, dass sie gar nichts mit der Ausstellung zu tun haben. Sie sind dann einfach ein Versatzstück innerhalb eines bestimmten Settings, also eher dazu da um zu verwirren, bewusst zu verwirren.
Michael Conrads: Dein Werk weist ja verschiedene Parallelen zur musikalischen Entwicklung auf z.B. hast du 87 ja ganz aufgehört zu malen. Wie kam es zu diesem Bruch? Gab es vielleicht auch Parallelen zu Entwicklungen in der Populärkultur?
Gerwald Rockenschaub: Rückblickend kann man sicher sagen, dass hier eine vielleicht eher unbewusste Beeinflussung stattgefunden hat. Ich hatte immer viel mit Musik zu tun, seit meiner frühesten Jugend. Ich habe am Gymnasium Geige und Klavier gelernt, später bei der Post Punk Band „Molto Brutto“ Gitarre gespielt. 1986/87 habe ich dann mit dem Djing begonnen und in verschiedenen Clubs in Wien aufgelegt. Wie gesagt beschäftige ich mich sehr viel mit Musik und da Musik so eine Art Leidenschaft von mir ist kommt es natürlich zwangsläufig zu einer indirekten Beeinflussung..
Michael Conrads: Ja, Musik scheint mir viel mehr mit Leidenschaft oder mit Emotion zu tun zu haben als bildende Kunst. Musik machen, Musik hören finde ich emotional intensiver als Kunst machen, Kunst rezipieren..
Gerwald Rockenschaub: Das sind zwei verschiedene Baustellen. Wenn ich Musik gemacht habe, beim Auflegen etc., habe ich es immer sehr genossen, dass man seine „Ergebnisse“ hier viel unmittel-barer erlebt. Entweder es funktioniert und Du bist gut – oder du bist scheiße. Wenn du scheiße bist sind alle tierisch angepisst und man bekommt die Reaktionen sofort zu spüren – in sofern gibt das Auflegen natürlich auch einen besonderen Kick, einen besonderen Ansporn in dieser Zeit sein Bestes zu geben und die Leute zum Tanzen zu bringen. Das ist der Job. Der so definierte Job. Es geht dabei nicht so sehr um Reflexion und die Frage, warum dieser oder jener Track an einer bestimmten Stelle gespielt wird. Niemand interessiert sich dafür. In der bildenden Kunst geht es viel mehr um Reflexion und nicht nur um den unmittelbaren Genuss. Zudem spielen in diesem Zusammenhang auch ganz andere Zeitschienen eine Rolle, besonders was den „Konsum“ von Kunst anbelangt. Es geht um eine komplett andere sinnliche Wahrnehmung – automatisch ergeben sich andere Rezeptions- möglichkeiten oder auch Vorgaben. Musik an sich kann natürlich auch sehr nachhaltig wirken – ich habe jetzt seit Jahrzehnten viele Vinylplatten, CDs und mittlerweise Festplatten voll von irgendwelchen Downloads – es gibt Sachen, die verlieren auch über Jahre nicht… Allerdings muss ich auch sagen, dass ich in der Woche etwa fünf bis zehn Downloads kaufe – es gibt so unglaublich viel Neues und das interessiert mich meist mehr als den älteren Sachen „hinterherzuhören“.
Michael Conrads: In der Pressemitteilung sprachst Du davon, daß Du nicht kuratierst, sondern eine Compilation machst, so wie auf einem Mixtape.
Gerwald Rockenschaub: Das hat sich dann im Zuge dieser ganzen Aktivität ergeben. Irgendwann stand natürlich die Frage nach einer Bezeichnung im Raum. Als wir die Ausstellung beworben haben und im Zuge dessen auch über Formulierungen nachdachten empfand ich dieses Wort „kuratiert“ einfach als unpassend. Es hat nicht gestimmt, auch weil ich weniger thematisch vorgegangen bin.
Michael Conrads: Es gibt also eher eine persönliche Bindung, oder ein persönliches Verhältnis zu den ausgesuchten Arbeiten und Künstlern ?
Gerwald Rockenschaub: Ja, auf jeden Fall. Auf der anderen Seite stellt sich auch immer noch die Frage, was innerhalb eines halben Jahres realisierbar ist. Hätte ich für diese Ausstellung z.B. nur zehn Künstler ausgewählt, hätte ich völlig anders vorgehen müssen. In meiner Herangehensweise wäre ich lange nicht so frei gewesen – es stünden sofort viele Fragen im Raum – Warum wurden gerade diese Künstler ausgewählt ? Welche Rolle spielen sie in meinem Leben ? etc. Ich konnte hier wirklich sehr frei vorgehen, anders, als wenn diese Ausstellung nun wirklich thematisch kuratiert wäre. Ich habe natürlich auch darüber nachgedacht was mir selbst am meisten Spaß machen würde. Sehr schnell war klar, dass ich am meisten Spaß daran hätte, mit einer unglaublichen Liste zu arbeiten, einer Liste, auf der alles zu finden ist was mir besonders gefällt. Dazu gehören Arbeiten, die mir speziell aufgefallen sind und natürlich auch Künstler, deren Arbeit ich sehr schätze und gut kenne. Ich bin dann eigentlich recht einfach vorgegangen, habe befreundete Künstler angerufen und darum gebeten, mir eine Auswahl an Arbeiten oder eben auch eine bestimmte Arbeit zuzuschicken. Zudem habe ich Galeristen gefragt, was mich in ihrem Programm besonders interessieren könnte. Auf diese Weise lernte ich interessante Positionen kennen, die mir vorher nicht bekannt waren und die nun für mich und diese Ausstellung eine Bereicherung geworden sind. All das zusammen ergibt eben eine Compliation. Die Ausstellung ist wirklich eher compiliert als kuratiert. Alles in allem bin ich ja in erster Linie Künstler und kein Kurator, daher bin ich in diesem Fall auch nicht streng konzeptuell vorgegangen, obwohl man sagen muss, dass hinter der Auswahl der gezeigten Arbeiten schon eine Art Philosophie steht, nach der ich vorgegangen bin und die allem zu Grunde gelegt ist.
Auf einen Blick
HIGH IDEALS & CRAZY DREAMS,
20. Mai bis 30. September 2010,
Galerie Vera Munro in Hamburg.