Nachdem Helene Hegemann das deutsche Feuilleton mit ihrem Debütroman Axolotl Roadkill für ein paar kurze Augenblicke als „authentische Stimme der Jugend“ in Verzückung versetzte, und bekanntlich sehr wenig später im Zuge der um ihren Erstling entstandenen Plagiatsdebatte vom selben Feuilleton wieder abgeschrieben wurde, hat der Regisseur Bastian Kraft Hegemanns Roman auf die Bühne gebracht – und dabei nicht vergessen besagte Plagiatsdebatte am Rande als Running-Gag zu integrieren.
Der Text des Romans wurde von Kraft zusammen mit dem Dramaturgen Tarun Kade erarbeitet und zusammengekürzt – die vielzitierten Passagen um Drogenexzesse, sexuelle Ausschweifungen und detaillierte Beschreibung von Fäkalien fehlen in der Inszenierung. Zum Glück. Stattdessen wird sich auf den zerrissenen Charakter der Hauptfigur Mifti konzentriert, die das Trauma um den Verlust der Mutter nie verarbeitet hat und nun mit Hilfe einer Schutzhülle aus Verrohung und Exzess das wehrlos sensible Kind hinter all dem zu verbergen sucht.
Anders als nach der Romanlektüre vielleicht erwartet, präsentiert sich die Bühnenversion des Romans also nicht in einer kühlen Berghain-Ästhetik, in der junge Menschen in Röhrenjeans zu donnerndem Techno verschiedenste Drogen konsumieren, um sich am Ende der nie endenden Nacht in vollgekotzten, neonfarbenen Laken wieder zu finden, bzw. eben nicht wieder zu finden. – Hier wird keine exzessive, Berliner Party-Szene abgebildet, sondern viel eher der pubertäre Drang sich in Szene zu setzen.
Passend dazu findet sich das Publikum vor einem Bühnenbild, das, in warmes 60er-Jahre Licht getaucht, mit Requisiten wie rosafarbenen Plüschtelefonen, Verkehrszeichen, Sitzbällen, Kuscheltieren und Riesenlutschern an ein rosig sexualisiertes Kinderzimmer erinnert. Niemals erwachsen werden, wie der tatsächliche Axolotl, der sein Leben als Dauerlarve verbringt – ein zentrales Hegemann-Motiv, dass gleichzeitig einen logischen Bogen zur steten Auseinandersetzung mit der früh verstorbenen, psychisch labilen und teils missgeliebten Mutter schlägt – für ein ewiges Kind besitzt die Mutter ewig Wichtigkeit und bleibt auch ewig lebendig.
An der Rückwand der Bühne sieht man die Videoprojektion einer Collage, bestehend aus Zeitungsartikeln, Schuhen mit hohen Absätzen und Barbiepuppen. Zeitgleich wird diese im vorderen Teil der Bühne aufgenommen, indem eine kleine Kamera ein wie beschrieben dekoriertes, sich endlos drehendes Podest abfilmt. Zentrales Element der „Revuebühne“ ist aber ein Fließband, auf dem Kraft vier Schauspielerinnen und einen Schauspieler abwechselnd die intelligent reflektierte, drogenkaputte Schulverweigerin Mifti verkörpern lässt, sowie auch alle relevanten Nebencharaktere des Romans. Auf diese Weise wird nicht nur die Zerrissenheit vor allem der Hauptfigur, sondern auch deren Funktion als Role Model für die wohlstandsverwahrloste Jugend unserer Zeit deutlich gemacht. Im Verlauf des Stückes steigen die Akteure immer wieder einzeln aus der Laufbandfahrt aus, um dann ruhig monologisierend Miftis abgeklärter Draufsicht auf das Geschehen Raum zu geben. Meist enden diese Monologe mit dem Ausspruch „Das ist mein Leben“ – so oft, dass sich der Zuschauer nie sicher sein kann, ob dies nun stolze Feststellung, Frage oder Anklage sein soll.
Alles in Allem entsteht durch die überall auftretende, konsequente Zirkulation – Laufband, Hintergrundprojektion, Wechsel der Charaktere sowie Wiederholungen von Szenen und Texten – ein tragischer Eindruck von Ausweglosigkeit und fast schon von Gefangenschaft der Hauptfigur in einer Lebensphase, die diese niemals enden lassen will.
Die geschilderte, kitschig-naive Anmutung der Szenerie, die sich auch in den Kostümen wieder findet, wirkt, wenn man wohlwollend formulieren will, unterhaltend und verleiht den abgeklärt und klug formulierenden Miftis auf der Bühne eine gewisse Unschuld – wenn man allerdings das Wohlwollen weglässt, erscheint einem das Ganze gar albern und fast überinszeniert, als solle ein wenig vom tatsächlichen Text abgelenkt werden..
Das Übermaß an Mühe, dass in die Umsetzung investiert wird, lässt darauf schließen, das man sich bei der Bühnenfassung des Romans schnell von Spekulationen über biografische Wahrhaftigkeit wegbewegen wollte – hin zu beinahe gezwungener Künstlichkeit, welche sich in einer Kulisse abbildet, die sich selbst fortlaufend zur Ausstellung macht – vielleicht auch, um das immer wiederkehrende Zitat „Und auch jetzt lüge ich“ noch einmal doppelt zu unterstreichen.
Die Bühnenadaption von Axolotl Roadkill beschenkt einen mit schnell gespielter, 90-minütiger, farbenfroher Kurzweil, vielleicht auch mit dem Gefühl, dass es doch ganz angenehm ist, nicht mehr 17 sein zu müssen und natürlich keinesfalls mit irgendeiner Form von Katharsis. Letzteres zu erwarten wäre allerdings auch äußerst naiv gewesen.