Soda_Jerk ist ein Künstlerduo aus New York. In ihren künstlerischen Arbeiten kultivieren sie die Lust am Remix und Anti-Copyright. Ein Porträt.
Ein Affe spielt mit Knochen. Bevor er die Oberschenkelkeule hoch in die Luft wirft, drischt er mit ihr noch auf andere, am Boden liegende Schädel und Gebeine, ein. Musik ist zu hören, „Also sprach Zarathustra“ von Strauss. Soweit so bekannt. Die erste Szene der Videoarbeit „Hollywood Burn“ der australischen Künstlerinnen Soda_Jerk dürfte Cineasten auf der ganzen Welt vertraut sein, verwendeten sie hier einen Teil aus dem wohl meistzitierten Film der Kinogeschichte: Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“. Doch Soda_Jerk wären nicht die Godsisters des Samplings, wenn sie die Anfangsszene mit der Urhorde aus dem Film von 1968 einfach übernehmen würden.
Aus Kubricks Knochenwaffe wird bei den Künstlerinnen ein Werk-Zeug ganz anderer Art, nämlich ein urzeitlicher Drumstick, mit dem zum herausgeschrienen „Kick it!“ der Beastie Boys und LL Cool Js „Can’t live without my Radio“ ein bepelzter Affenarm rhythmisch den Takt zu schlagen beginnt. Am Anfang war eben doch nicht das Wort, sondern die Tat.
„Hollywood Burn“ ist ein wahres Mach-Werk – aber im positiven Sinn. Aus hunderten Film-, Musik- und Sprachschnipseln zusammengebaut, verschlang die Produktion des 52-minütigen B-Movies mit kleinen Unterbrechungen fast zehn Jahre. Der fertige Film basiert auf einer schier unendlichen Materialfülle und wimmelt nur so von Zitaten, Anspielungen und Verweisen auf Filmgeschichte und Sample-Culture.
Fest gezurrt wird alles durch eine komische und charmant verworrene Story: Videopiraten aus der Zukunft wollen MGM (Filmstudio Metro Goldwyn-Mayer) in Vertretung des mächtigen Moses zerstören. Zu diesem Zweck entführen sie Elvis Presley aus dem Jahr 1955 und setzen seinem Klon eine Videokassette ein, die in fortan kontrolliert. Elvis wird in die Gegenwart geschickt um den Verkünder der zehn Copyrightgebote unschädlich zu machen.
Auf dem Weg zum Berg Sinai muss sich der King of Rock n’Roll gegen zahlreiche Pro-Copyright-Gegner behaupten, die im Auftrag der NASA agieren: Doch die Armada aus Film- und Serienhelden, darunter Magnum, Robocop, Starsky & Hutch, Knightrider, Terminator und Indiana Jones scheitern und der Elvisklon entkommt. Am Ende vermögen es nur die Ghostbusters, den inzwischen zum Hulk mutierten Elvis zu töten. Der Film von Dan und Dominique Angeloro wäre natürlich kein „wahrer“ Blockbuster à la Hollywood, gäbe es kein Happy End. Und so ist die finale Wiederauferstehung von Elvis als Jesus Christus nur logische Konsequenz. Zum Song „Freedom“ von George Michael und einer ekstatisch tanzenden Anhängerschaft verkündet der neue Messias den Sieg der Videopiraterie.
Obwohl „Hollywood Burn“ im Gewand eines amüsanten Unterhaltungsfilms daher kommt, kann man hier nicht von einer Komödie sprechen. Hinter dem lustvollen Video-und-Sound-Mash-Up steckt eine ernst gemeinte Botschaft. Soda_Jerks Film ist ein Manifest für die Freiheit des Samplings, also für das Verwenden von Bild- und Tonmaterial anderer Urheber als künstlerische Praxis. Somit reiht sich das Schwesternpaar mit ihrem Werk in ein lange Tradition der Bild-und Tonpiraterie ein, die gemeinhin mit Dada und der politischen Collage als Anfangspunkt genannt wird – auch wenn das Sich-Bedienen an Schon-Vorhandenem als Methode viel älter ist.
Regelrecht kultiviert wurde das Context-Hacking jedoch im 20. Jahrhundert. Genau wie bei Heartfield, Débord und dem situationistischen Détournement, der Fanzine-Copy-Culture und der auf Samples basieren Dub- und Hip-Hop Musik geht es den Künstlerinnen um den Dreiklang Entwendung-Aneignung-Umdeutung[1]. Dazu werden vorhandene Codes (hier sind es bekannte und kommerziell erfolgreiche US-Serien und Filme), vorzugsweise der Ökonomie und Macht, genommen, und mit geringen Eingriffen resemantisisiert. Absicht ist es, nicht (nur) den Mächtigen ans Bein zu pinkeln, sondern ganz gezielt politische Botschaften zu verbreiten und die Praxis des Samplings als schöpferische Ausdrucksform zu feiern.
In dem Vortag „Plunderphonics or Audio Piracy as a Compositional Prerogative“, den John Oswald 1985 auf der Wired Society Electro-Acoustic Conference in Toronto hielt, betonte er, dass die Kreativität massiv durch das Urhebergesetz begrenzt würde[2]. Oswald, inspiriert von Burroughs Technik des Cup-Ups, geriet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt: Der Erfinder des Begriffs „Plunderphonics“ transformierte bereits existierende Tonaufnahmen u.a. von Elvis Presley, Dolly Parton, Igor Strawinsky und Michael Jackson und erstellte daraus neue Arrangements[3].
Mit „Hollywood Burn“ schlagen Soda_Jerk in genau die gleiche Kerbe. Auch ihnen geht es um die Freiheit der Kunst. Zahlreiche Verweise im Film unterstreichen dies. An einer Stelle lassen die Künstlerinnen den Anführer der Videopiraten sagen: „MGM has always meant a great deal to me. But now I’m ashamed of it. Ashamed at the way it’s forgotten its history. Ashamed of how it’s going to rip the heart out of video piracy. Is that what we want? Or do we want video science that remembers its history, defining our present and shaping our future?5 Ein anderer Freibeuter, verkörpert von dem Schauspieler Kurt Russel, lässt sich mit einem Kampfruf zitieren, der genauso von Soda_Jerk selbst stammen könnte: „ We’re fighting for our right to REMIX“6. Für die Textebene verwendete das Künstlerinnen-Duo nicht nur die reinen Filmzitate, sondern ersetzte einige Wörter mit Ausdrücken wie „Video piracy“, „Pirated copy“ und „Film and Video securities office“. Dieses stammen aus den so genannten Copyright- Hinweisen, wie man sie auf VHS-Kassetten findet. Ihnen gefiel die Idee, diese Termini zu verwenden, um eine ganz eigene Anti- Copyright-Propaganda zu lancieren.
In ihren Videoarbeiten extrahieren Soda_Jerk Ikonen der Filmgeschichte und verpflanzen sie in einen völlig neuen, narrativen Kontext. Die bereits in alten Kinoklassikern für die Ewigkeit konservierten Gesichter junger Moviestars, werden erneut reproduziert, jedoch nicht in Affirmation zu dem durch die Filme öffentlich gemachten Schicksal. In ihren Videoarbeiten interessiert sie die Perspektive oftmals tragischer Berühmtheiten, die – so scheint es – nur durch das Kino überhaupt existiert zu haben scheinen.
Judy Garland und River Phoenix sind solche Leinwandwesen, um deren verhängnisvolles Schicksal ihre Serie „The Dark Matter Cycle“ von 2005/2009 kreist. In Zeitreisen begegnen sich jeweils eine junge und eine alte Version der einstigen Kinderstars und stellen so eine bereits geschriebene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Frage. In „Hollywood Burn“ ist es Elvis‘ Klon, der durch die Zeitebenen geschickt wird, um im Dienste der Bild-und Tonpiraterie zu kämpfen – im Hinblick auf die massive Vermarktung und das Kopieren seiner Person eine vortreffliche Wahl.
Soda_Jerk nutzen bewusst die ausgetrampelten Wege der Massenkultur. Sie setzten bei den Wahrheiten an, die das US-Kino in unserem Gedächtnissen fest verankert hat und formatieren alles um. Sie rekonfigurieren Zeit und Raum – und schreiben ganz nebenbei Geschichte neu. Es ist ein wahres Vergnügen ihnen dabei zuzusehen.
Fußnoten
- [1] Inspiriert sind Soda_Jerk zudem von den Plunderphonics-Künstlern Negativland (Sie gelten als Urheber des Ausdrucks „Culture Jamming“), den Found-Footage-Filmen von Craig Baldwin and Bruce Conner, sowie den Montagen von Chris Marker und Adam Curtis.
- [2] „Creativity is the field, copyright is the fence“, vgl. http://www.plunderphonics.com/xhtml/xplunder.html, 30.3.2012
- [3] Parallelen zu Oswald und Soda_Jerk gibt es auch in Bezug auf zwei Künstler, die im Werk beider auftauchen, Judy Garland und Elvis Presley. Auf der 1988 herausgebrachte Plunderphonics-EP von Oswald wird u.a. der Song „Don’t“ von Elvis Presley „geplündert“. Und der Song „Rainbow“ ist Judy Garlands Klassiker „Over the Rainbow“ neu arrangiert. Judy Garland ist auch die Protagonistin in Soda_Jerks Videoarbeit „After the Rainbow“ (siehe Dark-Matter-Cycle).