Es war eine Zäsur in der Kunstgeschichte: Ein FBI-Agent betritt im September 2001 das Whitney Museum in New York, wenige Tage nach den Terroranschlägen. Er fahndet nach Details zu Osama Bin Laden – in einem Kunstwerk. Schon Jahre zuvor hat der Künstler Mark Lombardi Verstrickungen von Geld und Verbrechen in seine narrative Netzwerke gezeichnet. Er bezahlte seine Obsession nach Informationen mit dem Leben. Ein Krimi zwischen Kunst und Konspiration, der am Ende eine elementare Frage aufwirft: Wie machen können wir uns noch einen Reim auf diese Welt machen?
James R. Bath. Wer zum Teufel ist James R. Bath? Es ist sechs Uhr morgens. Sonnenstrahlen durchkreuzen Baumkronen. Vögel zwitschern. So friedvoll steht die Welt auf – ich blicke trübe durch das Fenster. Meine Augen flirren. Ich krame in meinen Notizen. James R. Bath, mal sehen. Fliegerkamerad von George W. Bush und Vermögensverwalter zweier saudischer Milliardäre. Einer davon: Salim bin Laden, Schwiegervater und Mentor von Osama Bin Laden. Mein Geist entzündet sich wieder.
Ich wollte es dem Künstler in den letzten Tagen gleichtun. Mit ihm konspirieren, im ursprünglichen, lateinischen Sinne „zusammen atmen“. Im Gleichtakt seiner Gedanken laufen. Und vor allem: nicht mehr schlafen. Denn so hat er gearbeitet. Stunden lang, bis in den tiefen Süden der Mitternacht. Die Anlage aufgedreht auf volle Lautstärke – ohne Musik – so dass nichts mehr im Raum schwebt, außer der Ruhe eines weißen Rauschens.
Jetzt fühle ich mich geheimnisvoll verbunden. Meine Blicke verfangen sich in seinen Spinnweben aus Strichen, Myriaden aus Linien und Kreisen, die sich nunmehr in Teufelskreise verwandeln. Je mehr man aus Mark Lombardis Zeichnungen entschlüsselt – besser: es versucht – desto süchtiger wird man nach neuen Information. Und am Ende ist nichts mehr so, wie es scheint.
Was trieb Mark Lombardi an? Warum „flirtete er mit der Gefahr“? Wie seine Freundin Hilary Ann Maslon sagte. Holte er wirklich unbequeme Zusammenhänge aus der Asservatenkammer der Geschichtsschreibung hervor? Welche Schönheit umgibt seine rhizomatischen Zeichnungen? Warum nahm er sich das Leben auf dem Höhepunkt seiner Karriere? Oder, meine Gedanken wechseln wieder auf die sinistre Seite… Wurde er sogar umgebracht? Weil er einfach zu tief forschte, wo andere nur dumpfe Schürfarbeit an der Oberfläche leisteten? Ich beginne am Anfang.
Heureka auf der Serviette
Mark Lombardi kommt 1951 in Syracuse zur Welt, studiert Kunstgeschichte und zieht nach seinem Abschluss nach Houston, Texas. Dort arbeitet er 1975 als Assistent des Direktors Jim Harithas am Museum for Contemporary Arts. Eines Tages bestellt Harithas Mark Lombardi in sein Büro. Er schaut ihn ungläubig an. Ein Elaborat von Lombardi über amerikanische Panoramen aus dem 19. Jahrhundert liegt auf dem Schreibtisch.
„Oh my god, this ist the most extensive research I have ever seen“, urteilt Harithas begeistert. Lombardis scharfsinnige Untersuchung schließt Entwicklungen in Europa und dem Nahen Osten ein und geht weit über den erforderlichen Rahmen hinaus. Es ist die erste Kostprobe seiner Manie, Informationen zu einer globalen Struktur von Harmonie und Dichte zu ordnen.
1976 nimmt Lombardi eine Tätigkeit als Bibliothekar in der öffentlichen Bücherei auf. Er abonniert bis zu fünf Tageszeitungen und verschlingt mehrere Bücher pro Woche – mit Vorliebe von Journalisten wie Bret Newton (The Mafia, CIA & George Bush) oder Jonathan Kwitny (The Crimes of Patriots: A True Tale of Dope, Dirty Money and the CIA), die nach jahrelanger Recherche und unter Einsatz persönlichen Risikos, Skandale in Politik und Wirtschaft aufdecken. „I don’t know who read all these books except Mark“, beschreibt sein späterer Galerist Joe Amhrein dessen Leidenschaft für Lektüre mit konspirativen Charakter.
Lombardi durchforstet Inhaltsverzeichnisse, entnimmt Namen der Schlüsselpersonen, und erschafft sich sein Museum des Wissens, an dem Jahrzehnte später das FBI, Transparency International und Homeland Security Interesse anmelden: Es ist ein einfacher Zettelkasten. Vielmehr ein Luhmannsches Gedanken-Archivierungs-System. Zu Lebzeiten sammelt Lombardi etwa 14.000 Karteikarten an. Gespickt mit Notizen zu Akteuren und ihren Machenschaften. Doch zunächst findet er kein künstlerisches Kaliber, das Verbindungen mit visueller Verve ausdrückt. Er versucht sich in abstrakter Malerei, seine ersten Gehversuche als Künstler verlaufen sich jedoch im Sand. 1991 ruft er eigenhändig eine Galerie ins Leben – mit überschaubarem Erfolg.
Das „Heureka“ ereilt ihn 1994 in einem Telefongespräch mit einem befreundeten Anwalt. Mark Lombardi erzählt beiläufig, dass ein paar Banken in Texas geschlossen hätten. Der Anwalt antwortet: „Yeah, and because of that these Savings & Loans (Sparkassen) closed in California.“ – „I don’t understand“, Mark stockt ahnungslos. Der Anwalt fabuliert von Unternehmen und Geldhäusern, über Inflation und Depression. Es ist vertrackt; schnell zeichnet Lombardi die byzantinischen Beziehungen auf eine Serviette. Am Ende des Telefonats fühlt er sich irgendwie erleichtert – er spürt, dass er den gordischen Knoten durchschlagen kann. Plötzlich werden ihm Zusammenhänge bewusst. „Knowing his mind, I’m sure he looked at that napkin and saw possibilities for the next twenty years of work“, bestätigt Künstlerkollege Greg Stone.
Von diesem Moment an beginnt Mark Lombardi, das soziale und politische Terrain, in dem er lebt, zu kartografieren. Weg von den abstrakten Ansätzen hin zu einem Modus Vivendi, der, so Lombardi, die „Komplexität, Käuflichkeit und die gelegentliche Brutalität unser Zeit“ besser einbezieht. Es ist die Geburtsstunde seiner narrativer Strukturen.
Narrative Strukturen
„It is all public information. I arrange that in a format that is meaningful to me“, erklärt Lombardi. Er sammelt weiter wie besessen Informationen. Immer auf der Suche nach einem scheinbar geheimen Netz aus Intrigen, nach Verbindungen zwischen Regierungen, Verbrechern, Konzern- und Mafiabossen. „But Mark didn’t based on myth, mark based on fact“, führt Greg Stone an. „The information was there“, ergänzt Galerist Joe Amhrein.
Nach sorgfältiger Durchsicht kompiliert er aus dem Dickicht der Daten die Essenz der Handlung, zeichnet grobe Skizzen, nimmt sich dann feinstes Papier zur Hand – wie Architekten es benutzen würden – und verwebt Namen und Linien zu einer Komposition. Es ist ein evolvierender Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Lombardi fertigt mehrere Versionen an, sobald neue Erkenntnisse in die Sphäre der Öffentlichkeit geraten. Manchmal vergehen zwischen erstem Strich und fertiger Zeichnung mehr als Jahrzehnte.
„Die Aktion liegt in den Linien,“ veranschaulicht Informationsdesigner Edward Tufte. Sie repräsentieren Handlungen. Pfeile deuten auf Einfluss und Kontrolle hin. Gestrichelte Linien und abgebrochene Pfeile sprechen von illegalen Geldgeschäften. Der Reiz von Lombardis Werken besteht nicht in einer genauen Nacherzählung von Beziehungsinhalten. Die Linien sagen nichts über die Art der Beziehung aus, sondern nur, dass diese Beziehungen überhaupt bestehen. Darin liegt eine scheinbare Kraft des Faktischen und die visuelle Eleganz seiner Zeichnungen. „I was searching for vehicle that would have the graphic impact of a painting but could convey a story. Narrative Information. I call these narrative structures.“, so Lombardi.
Dieses Storytelling erfasst mich mit voller Wucht, als ich in einer Zeichnung den Namen von Präsidenten und Päpsten entziffere. Zwei Kreise weiter: ein Mafia-Boss. In dem Soziogramm erforscht er die skandalumwitterte Vatikan-Bank, deren Untergang Regisseur Fellini in den frühen 80er Jahren als „Thriller“ charakterisierte, als „altmodische, blutrünstige Geschichte“.
Galaxien der Korruption
Ein Familienname taucht dabei in seinen Zeichnungen immer wieder auf: Bush. 1999 vollendet Mark Lombardi das Werk – George W. Bush, Harken Energy, Jackson Stephens. c. 1979-1990. 5th Version.
1999? Ein Jahr also, bevor George W. Bush in den Wettstreit um das Weiße Haus zieht. Ich zünde mir hastig eine Zigarette an – vollkommen übermüdet. Die Uhr schreitet auf 00:13 Uhr. Ich habe einen Tag nicht geschlafen und tauche mit einer paradoxen Power der Erschöpfung in seine Welt der Linien ein, verfolge mit dem Zeigefinger die Fährte des Geldes. Ein Gedanke des Autors Robert A. Wilson begleitet mich: „Verschwörungstheorien sind immer Spaghetti-Theorien. Egal welchen Faden man herauszieht, man macht sich die Finger schmutzig.“ Es gibt Spaghetti bei Bush: diesmal al olio.
1979 erhält George W. Bush ein Startkapital von 50.000 Dollar für seine erste Ölexplorationsfirma Abusto Energy. Von James R. Bath, der wie eingangs beschrieben Vermögen für den Bin-Laden-Clan verwaltet. 1980 stürzt der Ölpreis und belastet das Geschäft. Bath pumpt mit saudischer Hilfe weiteres Geld in das Unternehmen.
Bis 1984 trüben sich die Aussichten. „Wir fanden nicht viel Öl und Gas“, sagte Bushs damaliger Financial Officer. Trotzdem entscheiden sich 1984 die Eigner von Spectrum 7, Mercer Reynolds und William DeWitt, Abusto Energy aufzukaufen. „We wanted Bush’s leadership abilities, and his operational ability which we didn’t have“, erklärt DeWitt. Diese Führungsqualitäten sind ihnen etwas wert: George W. Bush erhält ein Aktienpaket in Höhe von 1,1 Millionen Dollar und wird CEO des Unternehmens.
Die Wette auf den Wohlklang des Namens „Bush“ geht nicht auf: Gelder für neue Explorationen versiegen. Obwohl Spectrum 7 substanzielle Verluste einfährt, kauft 1986 Harken Energy, eine noch größere Ölfirma aus Dallas, das angeschlagene Unternehmen. Der Deal erbringt George W. Bush 2,5 Millionen Dollar an Anteilen aus Aktien, eine Führungsposition im Aufsichtsrat und darüber hinaus ein jährliches Gehalt als Berater von 120.000 Dollar.
Als Harken Energy im Frühjahr 1987 wieder frisches Geld benötigt, trifft sich George W. Bush mit Jackson Stephens, ein Gönner der Familie, der bereits 1980 den republikanischen Wahlkampf von Bush senior mit 100.000 Dollar unterstützt hat. Stephens kam zu Reichtum, nachdem er 1970 Wal-Mart an die Börse brachte. Nun bittet ihn George W. Bush um die finanzielle Unterstützung bei einer Aktienausschreibung von 25 Millionen Dollar.
Stephens Inc. trifft daraufhin Arrangements mit der Londoner Filiale der Union Bank der Schweiz (UBS), um im Tausch gegen einen Aktienanteil an der texanischen Ölgesellschaft die nötigen Gelder zu beschaffen. Als neuer Investor und Teil des Geschäfts wird Scheich Abdullah Baksh –ein saudischer Grundstücks-Tycoon – Mitglied des Aufsichtsrats bei Harken Energy.
Abdullah Baksh, Stephens Inc., UBS unterhalten allesamt Beziehungen zu der mittlerweile berüchtigten Bank of Credit and Commerce International (BCCI), die für Lombardi noch eine enigmatische Rolle spielen soll.
Das zweite Mal nach James R. Bath macht Bush junior mit Leuten Geschäfte, die in Verbindung zu BCCI stehen. Dennoch fährt Harken Energy 1989 einen herben Verlust von mehr als zwölf Millionen Dollar ein. 1990 ereignet sich dafür im Januar ein spektakulärer Deal, den Jackson Stephens und Robert Bass einfädeln: Harken Energy erhält Bohrrechte in dem Golfstaat Bahrain – „unbelievable for this small company“, wie die Forbes berichtet. Ungewöhnlich auch, weil Harken Energy Offshore-Bohrechte vor der Küste Bahrains erhält, obwohl das Unternehmen sich bisher auf die Inland-Förderung spezialisiert hat.
Jetzt wird es heikel: Am 22. Juni 1990 stößt George W. Bush plötzlich sechzig Prozent seiner Harken-Aktien ab (212.140 Anteile). Zu einem satten Gewinn von 835.307 Dollar. Das entspricht mehr als sechzig Prozent ihres ursprünglichen Wertes. Eine Woche später sinkt der Stückwert der Aktie von Harken Energy um knapp die Hälfte, als die Gesellschaft einen Quartalsverlust von 23,9 Millionen Dollar vermeldet. Was ist passiert?
Alle Ereignisse abstrahiert Lombardi in seiner Zeichnung. Die letzten zwei Pfeile geben eine lapidare Antwort und zünden Brandbomben der Assoziation: George W. Bush steigt mit Profit aus. Zwei Wochen später marschiert Saddam Hussein in Kuwait ein. Der Golfkrieg beginnt, unter der Ägide seines Vaters Bush senior. Die Bohrrechte in Bahrain verlieren „überraschend“ an Wert.
George W. Bush hat davon angeblich nichts gewusst und bestreitet den Verdacht des Insider-Handels. Weder sei er von seinem eigenen Vater informiert gewesen, noch hätte er in seiner Rolle im Aufsichtsrat davon erfahren. Die Ermittlungen der US-Börsenaufsichtsbehörde über diesen Vorfall werden eingestellt mit den Worten, „dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Vollstreckungshandlungen gegen ihn in Betracht gezogen werden”.
Ich fühle mich hilflos. Wenn ich daran denke, wie viel Energie es mir abverlangt, Tag ein Tag aus Nachrichten zu lesen, Debatten zu folgen, bis die opake Tatsachenwolke an meinem Horizont des Denkens vorbeizieht und ich wieder klar sehe… Ich will ich mir nicht ausmalen, welche kreativen Kräfte Mark Lombardi loseisen musste, um aus jenem Informations-Wust die stimmige Schönheit eines Sinns zu modellieren. Lombardi aber gelang genau das, mit zunehmenden Erfolg.
Im Taumel des Erfolgs
Inspiriert durch ein Gespräch mit Künstlerfreund Fred Tomaselli zieht er 1997 von Houston nach New York City, in den Stadtteil Williamsburg, nimmt sogleich an mehreren Gruppenausstellungen teil und lernt rasch einen Galeristen kennen: „When I talk to artists I look for enthusiasm and confidence, and he had that“, beschreibt Joe Amrhein das Aufeinandertreffen.
Ein, zwei Meetings plus eine kurze Werkschau später: Die erste Einzelausstellung ist unter Dach und Fach. „Silent Partners“ eröffnet im Dezember 1998 in der Pierogi Gallery, flugs folgt eine weitere Gruppenausstellung. Mark Lombardi erfreut sich wachsender Beliebtheit, erobert Ausstellungen, erlernt die Mathematik des Kunstbetriebs. Leute kleben an seinen Lippen, wenn er mit einem Gipfelblick aktuelle Geschehnisse kommentiert, einen verschwiegenen Zug an der Zigarette passieren lässt, und zum Abschied seine Visitenkarte aushändigt, auf der steht: „todesverachtende Akte der Kunst und Konspiration.“
Der Galerist Micky Cartin ist fasziniert: „I was immediately struck by Mark’s enthusiasm and authenticity. Und weiter: „Here was a guy who knew […] what it took to make a career, which buttons to push, but these were not the things that mattered to him.“ Eine Aufmerksamkeit auf Autopilot war sicherlich schmeichelhaft. Doch lag darin nicht ein stiller Anfang verborgen, für die aufkeimende Disparatheit mit seiner Umwelt?
Sie ehrten und sie küssten ihn – die New York Times lobte seine „Poesie der Paranoia“, eine Kuratorin von PS1, niemand anderes als die künstlerische Leiterin der dOCUMENTA 13 Carolyn Christov-Bakargiev, wählte 1999 Arbeiten von Lombardi für eine erste gemeinsame Ausstellung mit dem MoMA aus, die im Jahr 2000 stattfinden sollte.
„He was having a great time of it – a dream come true“, freut sich Künster-Buddy Fred Tomaselli. „The temperature was going up“, bekräftigt seine Freundin. Lombardi scheint auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein. Doch kann ihn noch jemand verstehen? Diesen Solitär, der mit sensibler Schärfe unsere Welt erfasst? Sogar Vertreter großer Unternehmen wollen seine Werke kaufen, bis sie darin Namen ihrer Kunden entschlüsseln und dankend abwiegeln. „The core of what I do is research and sketching. Apart from that I have nothing valiable to say.“ Ja, Mark Lombardi wollte nichts weiter als sich einen Reim auf diese Welt machen.
Der Zusammenbruch
Rastlos arbeitet er an seinem bis dato monumentalsten Meisterwerk. Für seine große Show in New York. „Es war Marks Guernica“, bestätigt Greg Stone. Eine Anekdote besagt, dass ein deutscher Offizier einmal vor Picassos Gemälde stand. Er fragt den Maler: „Haben Sie das gemacht?“ Picasso entgegnet: „Nein, Sie.“ So widmet sich Lombardi den Urhebern des „größten Finanzskandals des Jahrhunderts“, wie die London Sunday Times berichtet, ausgeführt durch die „Weltbank des Verbrechens“: BCCI. Die Mutter aller Finanzskandale.
Nie zuvor hat ein Finanzinstitut mit so dreisten Betrugsmanövern über Jahre hinweg soviel Geld umgeleitet wie die BCCI. Nie zuvor hat eine Bank mit derart dubiosen oder gar kriminellen Kunden kollaboriert wie das Geldhaus, das bis zu seiner Zwangschließung im Jahre 1992 in 78 Ländern aktiv war. BCCI war die Geldwaschanlage für Rauschgifthändler, Waffenschieber und Terroristen. Osama Bin Laden rüstete mit einem Koffer von BCCI-Dollars saudische Mudschahidin in Afghanistan aus, um gegen die Sowjets zu kämpfen.
All das verarbeitet Lombardi in der labyrinthischen Tiefe seines letzten und gewaltigsten Kunstwerks. BCCI-ICIC-FAB, c. 1972-1991, 4th Version, 1996-2000. Knapp achtzig Prozent der Akteure, die in Lombardis vorigen Zeichnungen auftauchen, verbergen sich darin. „What led to 9/11 were in that piece“, fasst Greg Stone zusammen.
Mark arbeitet ununterbrochen daran, Nächte hindurch, kann nur noch mit Schlaftabletten wenige Sekunden die Augen ausruhen. Sein 300qm großes Studio versinkt im Zigarettensmog. Selten sieht er Freunde, sagt Termine zu, und wieder ab. Sammler rufen derweil an, um seine Bilder im Studio zu begutachten – er will nur ungestört arbeiten. Sein Auto wird beim Parken auf der Straße von einem Taxi demoliert. Zufall? Am Ende fühlt er sich sogar verfolgt.
Doch es treibt ihn weiter. Unerbittlich. Zehn Tage vor der großen Ausstellung scheint alles in greifbarer Nähe. Er legt sich schlafen. Plötzlich startet die Sprinkler-Anlage. Dunkler Regen ergießt sich über das Apartment. Überall strömt Wasser aus rostigen Rohren. Zahlreiche Werke saugen sich voll, und – sein Meisterwerk BCCI: zerstört! In dicke Rostflecken getüncht.
Mark Lombardi kann der Zeichnung nicht ein neues Eigenleben abgewinnen, wie zum Beispiel Duchamp. Beim Transport aus einem Museum zerbrach sein Werk Das Große Glas. Jahre später reparierte es Duchamp und integrierte das Zersplittern in das Werk, indem er es so wieder zusammensetzte, dass die Spuren sichtbar blieben.
Mark Lombardi erhöht stattdessen die Schlagzahl und leitet eine manische Phase ein:
Er zeichnet BCCI komplett neu. Am 27. Februar eröffnet die Ausstellung „Greater New York“, in einer der renommiertesten Kunsthallen weltweit: MoMA PS1. Mit dabei: Mark Lombardi. Er steht im Walhalla der Kunst, hinter ihm greifen aus einer Zeichnung schwingende Krakenarme um sich. Sie ist 3,5m breit und 1,3m hoch. Es ist vollbracht: BCCI.
Lombardi lacht wie eine Grinsekatze und sieht glücklich aus. Ein Foto hält diesen Moment fest.
Am 22. März, weniger als ein Monat nach dem triumphalen Opening, wird er in seinem Loft tot aufgefunden. Erhängt. Auf dem Boden steht eine Champagnerflasche. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Die Tür seines Lofts ist von innen abgeriegelt. Es bestehen keine Anzeichen gewaltsamen Eindringens.
Die letzten Zweifel
Mark Lombardi hatte es mit 48 Jahren als Spätzünder geschafft, der Kunstwelt den Kopf zu verdrehen. Auf dem Zenit seines Schaffens nahm er sich das Leben. An der Grenze zur Paranoia, schlaflos, fasziniert von der Bösartigkeit seiner Protagonisten und vereinnahmt von ihrem Schaffen. Die Taktung der Großstadt New York stellte für ihn vermehrt vor Herausforderungen. Er überlegte zurück nach Houston zu kehren. Der Trubel um seine Person wurde ihm zuviel. Wenige Tage nach seiner großen Ausstellung brachte er all seine Zeichnungen zu seinem Galeristen mit der Bitte um Verwahrung – keine Besucher mehr in seinem Studio!
„We were all friends with him. We all liked him. But none of us were close with him“, sinniert der Kunstkritiker Christian Viveros-Faune. Und ergänzt: „He put everything on the table. But he wasn’t talking about himself.“ Am Ende bleibt Lombardis Tod ein großes Rätsel, das mehr Fragen aufwirft, als Antworten liefert. Ein früher Freund aus Texas, Andy Feehan, spricht aus, was eingangs viele denken. „When the news of his dead arrived, almost all of us thought that he was murdered.“
Ich blicke lange auf einen Screenshot von Mark Lombardi. Er sieht irgendwie glücklich aus.
Das Foto: Es lässt mich nicht los. An meiner Wand wuchern über hundert Zettel: Sie lassen mich nicht los. Sie halten mich im Würgegriff eines dumpfen Verdachts. Mein Arbeitsumfeld gleicht der Fahndungstelle auf einem Polizeirevier. Doch was will ich eigentlich noch finden?
Es gibt Ungereimtheiten. In einem Gespräch mit seinem Galeristen Joe Amrhein sprach Lombardi von der Idee seine narrativen Strukturen aufzugeben. Er hätte ganz neue Zeichnungen angefertigt. Nach seinem Tod hat Amhreim Lombardis Appartement nach besagten Zeichnungen akribisch durchsucht. Nichts. Später fand der Galerist heraus, dass sein Telefon vom FBI abgehört wurde. Lombardis Mutter, die angibt ein photographisches Gedächtnis zu haben, besuchte den Tatort zweimal. Eine Zeichnung, die sich beim ersten Mal noch in einem Rahmen befand, war beim zweiten Besuch der Wohnung plötzlich verschwunden. Alte Briefe, Notizen, die sie an ihren Sohn richtete – weg.
Zwei Wochen nach dem 11. September, wenige Tage nach den Anschlägen auf New York und Washington, ruft ein Mitarbeiter des Geheimdiensts im Whitney Museum an: er möchte die Zeichnung BCCI examinieren. Das FBI erhoffe sich Informationen zu Osama bin Laden und der Finanzierung seines Terrornetzwerkes. Homeland Security, das Ministerium für terroristische Bedrohungen, interessiert sich noch Jahre später für das gesamte Karteikarten-Archiv.
Stand hinter dem erwachten Interesse der Geheimdienste an Lombardis Schaffen wirklich ein Aufklärungsbedürfnis? Oder ging es darum, mögliche Beziehungen des Terrorpaten zur Regierung zu vertuschen?
Eine Randbemerkung: Es ist schon kurios, dass sich bei Journalisten und Autoren, die sich mit der Familie Bush und dem Geldhaus BCCI beschäftigen, eine hohe Selbstmordrate verzeichnen lässt. James Hatfield porträtiert den Harken-Energy-Fall und berichtet über den angeblichen Drogenmissbrauch von George W. Bush. Er nimmt sich 2001 in einem Motel das Leben. Der Pulitzer-Preisträger Gary Webb bringt eine Zusammenarbeit des CIA und BCCI ans Tageslicht. Seinen Tod durch zwei Kopfschüsse 2004 erklären die Behörden als Suizid. Danny Casolero soll Informationen zu einem Geheimtreffen zwischen US-Regierung und saudischen Finanziers aufgedeckt haben, die im Zusammenhang mit der Bank BCCI agierten. Er wurde 1991 mit aufgeschnittenen Pulsadern in einem Hotelzimmer gefunden.
Die Kunst der Konspiration
Diejenigen, die von Konspiration leben, sterben wohl an ihr. Konspiration bleibt das Schmuddelkind der Erkenntnistheorie. Sie hat Lücken. Sie weist auf Widersprüche hin, stellt aber kein alternatives, kohärentes Narrativ bereit, das über die Deutungshoheit exklusiver Machteliten triumphiert. Das macht sie angreifbar. Nicht ohne Grund. „Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten,“ äußerte sich der US-amerikanischen Soziologe Daniel Patrick Moynihan.
Doch wie weit kann man einer Regierung glauben schenken? Was passiert, wenn wir uns eingestehen müssen, dass auch Medien eitel sind? Und sie ihre Interessen in journalistischen Kampagnen verfolgen, die nicht der Wahrheitsfindung und Kontrolle dienen, sondern um publizistische Potenz wetteifern?
Mark Lombardi hat ein entscheidendes Dilemma verstanden. Wenn du nur Bruchstücke einer Geschichte erzählen kannst, dann hast du keine Geschichte. Inkonsistenzen führen zur Unglaubwürdigkeit. Wie der Kunsthistoriker Robbert Hobbs trefflich betont, verhalf sich Lombardi mit einem genialen Kniff: Er beschränkte sich auf Personen und setzte sie in Verbindung. Die Hauptdarsteller haben wir zwar vor Augen, aber die Geschichte erzeugen wir.
Die Ansammlung bekannter Politiker und Wirtschaftsbosse in bisher unbekannten Arrangements, stachelt unsere Phantasie an, sich einer eingravierten Beschreibung der Wirklichkeit zu entziehen. Darin liegt eine antagonistische Kraft der Kunst, die wir im Sinne von Marcuse lesen können, der schreibt: „Die Überschreitung der unmittelbaren Wirklichkeit erschüttert die verdinglichte Objektivität der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und eröffnet eine neue Erfahrungsdimension. Die Wiedergeburt der rebellischen Subjektivität.“
Mark Lombardi zeichnete Panoramen, die sich nicht am Fluchtpunkt des Common Sense einer Geschichte ausrichten. Sie erschaffen ähnlich wie bei dem Künstler Hans Haacke, der zum Beispiel in einem seiner Werke die dunklen Geschäfte von Immobilienhaien in New York thematisiert, einen spielerischen Ernst der Reflexion und ein Vergnügen im Entlarven fragwürdiger Gegebenheiten. Kurzum: Sie halten Skepsis wach.
Ich blicke müde aus dem Fenster – die ersten Vögel zwitschern.
Endlich erfasst mich der Schlaf.
Epilog
„Du siehst scheiße aus.“ Ein guter Freund mustert mich. „Danke, ich habe ein paar Tage nicht geschlafen.“ Wir trinken den letzten Schluck Kaffee, bezahlen und machen uns auf den Weg. Mir brennt es unter den Nägeln, ich erzähle ihm alles. Mark Lombardi – seine Kunst, sein Leben, sein mysteriöser Tod.
„Was glaubst du, wurde er ermordet?“, fragt er mich elektrisiert. Wir stehen am Gleis der U-Bahn. Ab hier trennen sich unsere Wege. Er muss in die eine, ich in die andere Richtung. Ich schüttele den Kopf. Nachdenklich. „Nein, ich glaube nicht.“
Er schaut lange auf die Schienen. „Machen wir es so. Welche Bahn zuerst kommt, der hat recht!“ Wenige Sekunden später. Eine Bahn kommt. Es ist seine. Er steigt ein. So ist das mit der Wahrheit.
Schlussnotizen
Zu Mark Lombardi
Die Autorin Frances Richard interviewte für Online-Magazin Context viele Weggefährten. Aus ihrem Artikel stammen mehrere englische Zitate von Joe Amrhein, Greg Stone, Fred Tomaselli, Hilary Ann Maslon und Christian Viveros-Fauné.
Frances Richard: Obsessive–Generous: Toward a Diagram of Mark Lombardi, Wburg.com, Vol. 2, #2, Winter 2001-2002 issue
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Die deutsche Regisseurin Mareike Wegner hat ein Künstlerporträt über Mark Lombardi, sein Wirken und den mysteriösen Tod gedreht. Wir verdanken ihr, dass sie die „Akte Lombardi“ ausgegraben hat und sie in Deutschland zu einer erneuten – vielmehr: erstmaligen – ausführlichen Beschäftigung mit dem Künstler anregt. Aus ihrem Film stammen Zitate von Greg Stone, Joe Amrhein und Edward Tufte.
Mareike Wegner: Mark Lombardi – Kunst und Konspiration, 79 Min – OmU, Kinostart: 17. Juni 2012.
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Die bisher umfassendste kunsthistorische Analyse des Künstlers fertigte Dr. Robbert Hobbs an. Robbert Hobbs: Judith Richards. Mark Lombardi: Global Networks. Independent Curators International, New York, 2003
Zu George W. Bush und Harken Energy
George Lardner Jr., Lois Romano: Bush Name Helps Fuel Oil Dealings, Washington Post, 30 Juli, 1999
Brooks, Jackson: Bush as businessman – How the Texas governor made his millions, CNN, 13. Mai, 1999
Mark Tran: Bush and Harken Energy, 10. Juli, 2002, TheGuardian.co.uk, unter: http://www.guardian.co.uk/world/2002/jul/10/qanda.usa (abgerufen: 26.04.2012)
Zu BCCI
Jonathan Beaty, S.C. Gwynne /New York, Cathy Booth/Miami, Jay Branegan/Hong Kong and Helen Gibson/London: B.C.C.I: Dirtiest Bank of All, in: TIME Magazine: 29. Juli, 1991
o.V.: Beweise für massiven Betrug, in: DER SPIEGEL Ausgabe 31/1991, 29. Juli, 1991
Zu Marcuse
Herbert Marcuse: Die Permanenz der Kunst, in: Konterrevolution und Revolte. Zeit-Messungen, Frankfurt am Main, 1987, Seite 202
6 Comments
[…] Der Lombardi Code (daremag.de) Eine Anekdote besagt, dass ein deutscher Offizier einmal vor Picassos Gemälde stand. […]
… guter Artikel über Mark Lombardi – einen großen Künstler unserer Zeit – wird wahrscheinlich nie im Kunsthaus ausgestellt werden ……… zu exzakt recherchiert !!!!
Zum Thema : http://youtu.be/S58UkHKRS_Q
[…] Zitat von Schopenhauer sondern vielmehr die letzten 10 Minuten Dort erwähnt er ja auch Mark Lombardi. Kennst du den? Wenn nicht, hier mal etwas kurzes von YT. Mark Lombardi – Künstler auf den Spuren der Mächtigen – YouTube Und hier mal etwas ausführlicher Der Lombardi Code | DARE […]
[…] Zur weiteren Information und auch weil die Doku bald off sein wird sei hier auf den tollen Artikel von Frank Steinhofer vom Kunstblog DARE verwiesen. Hier der Link zum […]
Der Kino-Film über das Leben und Schaffen von Marc Lombardi „Kunst und Konspiration“ von Mareike Wegener wurde in Deutschland unterdrückt. Die in zionistischem Eigentum befindlichen Kinos zeigten den Film nicht.Er wurde nur, wenn ich mich richtig erinnere, in 3 Kinos in Deutschland 1 oder 2 Tage lang gezeigt. Dann nicht mehr. Ich hatte mich erkundigt, weil ich hinfahren wollte, jedoch hätte ich 300 km weit fahren müssen.
Wer digital über Lombardi arbeiten will, findet auf meiner Site http://www.lombardinetworks.net digitale Repräsentationen von Zeichnungen als Datenstrukturen im GraphML Format. Und einige Beispiele was man digital damit machen kann.