Die 14. Ausgabe der Art Rotterdam feierte einen neuen Besucherrekord. Besonders beliebt war die neue Sektion “Projections”
K
rise? Welche Krise? Auf der am 10. Februar mit einem neuen Besucherrekord von 16.000 zu Ende gegangenen Art Rotterdam war davon wenig zu spüren. Immobilienkrise hin, Wirtschaftskrise her, die wichtigste niederländische Kunstmesse erfreut sich bei Publikum, Sammlern und Ausstellern einer großen Beliebtheit. Die Hälfte der rund 75 Galerien kam aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland und Belgien, auch wenn die belgischen Händler in diesem Jahr weniger präsent waren als in den vergangenen Jahren. Dafür waren erstmals alle wichtigen niederländischen Galerien mit im Boot. Messedirektor Fons Hof zieht ein zufriedenes Fazit: “Die Leute mögen es, dass die Messe übersichtlich und nicht zu groß ist. Dafür treffen wir eine präzise Auswahl von dem, was wir zeigen.”
Die Messe gliedert sich in drei Sektionen. In der unteren Etage des Cruise Terminals, das man von der Rotterdamer Innenstadt über die monumentale Erasmus-Brücke erreicht, waren die 15 Galerien der jungen Plattform “New Art Section” zu sehen. Samuel Saelemakers vom Museum Witte de With traf die kuratorische Auwahl. Im ersten Stock präsentierte sich dann in luftigen Kojen die überwiegende Zahl an Galerien des Hauptsektors. Fons Hof ist es in diesem Jahr gelungen, nahezu alle wichtigen niederländischen Galerien, darunter Annet Gelink und Juliette Jongma, nach Rotterdam zu holen. Premiere feierte in diesem Jahr die Sektion “Projections”, eine Spezialzone für Videokunst. Im gegenüberliegenden Gebäude, in dem in den letzten Jahren die zuletzt etwas beliebige Designmesse “Objekt Rotterdam” stattfand, präsentierten sich 19 Galerien in einem großen, abgedunkelten Saal. Keine Black Boxes, sondern parallel projizierte Videos auf großen augenfreundlichen Screens, davor Sitzbänke und kleine Tische mit Informationsmaterial. Soundduschen und Kopfhörer sorgten für den guten Ton.
Die neue Sektion kam gut an, sowohl beim breiten Publikum als auch bei Galeristen und Sammlern. Anita Beckers aus Frankfurt stellte fest: “Das ist für mich eine überzeugende Präsentation, was Videos angeht, aber was das Verkaufstechnische angeht, da wäre ich vorsichtig.” Ein entscheidender Makel der Schau war nämlich, dass die Galeristen im Dunkeln saßen und so eher am Rande wahrgenommen wurden. Anita Beckers präsentierte ein Video des Rumänen Stefan Constantinescu, das den erotischen SMS-Chat einer jungen Frau in der Badewanne mit einem Arbeitskollegen zeigt, während ihr Mann und ihre Tochter vollkommen ahnungslos das Abendessen zubereiten. Der Amsterdamer Galerist Ron Mandos zeigte die neueste Videoarbeit des Belgiers Hans Op de Beeck, eine an Peter Handkes wortloses Theaterstück “Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten” erinnernde Parade von unterschiedlichen Einzelpersonen und Gruppen auf einer Theaterbühne. Das Video für 25.000 Euro (Auflage: 10) stieß auf großes Publikumsinteresse. Ron Mandos zu den “Projections”: “Das ist eine gute Ergänzung zur Messe und wird internationale Sammler anziehen.” Auch Messedirektor Fons Hof gibt sich mit der Premiere der neuen, technisch aufwändigen Präsentation zufrieden: “Die Galeristen sind ein großes Risiko eingegangen und sind jetzt froh, wie gut alles geklappt hat.”
Der Galerie SCHAU ORT aus Zürich gelang es, die siebenteilige, erzählerische Arbeit “Vengeance” von Keren Cyther an das Amsterdamer Design-Hotel Andaz, einen Hyatt-Ableger, zu verkaufen. Das Hotel präsentiert Videokunst und stellt darüber hinaus die erworbenen Videos niederländischen Museen in einer partnerschaftlichen Vereinbarung zur Verfügung. Als Schenkung für das Stedelijk Museum Amsterdam und De Hallen Haarlem erwarb das Andaz Hotel Meiro Koizumis schwarz-weisse Videoarbeit “Defect in Vision” (2011) bei der Amsterdamer Annet Gelink Gallery. “Shared Ownership”, der gemeinschaftliche Ankauf beziehungsweise Besitz großer Arbeiten durch mehrere Häuser ist in den Niederlanden zur Zeit ein heiß gehandeltes Thema. Ein Beispiel, das auch international Schule machen könnte.
Während die Plattform “New Art Section” mit eher formalen, intellektuell anspruchsvollen und ästhetisch eher reduzierten Werken auffiel, etwa den vom Büroalltag inspirierten, grafischen, installativen und fotografischen Arbeiten des Deutsch-Spaniers Ignacio Uriarte bei Figge von Rosen aus Köln/Berlin, fiel auf der ersten Etage der vielleicht typisch holländische Hang zum Bunten und zu Arbeiten mit dekorativen Qualitäten auf. Ein Eyecatcher am Stand der Frankfurter Galerie Kai Middendorff waren sicherlich die an Zielscheibenbilder erinnernden Farbkreisbilder von Ekrem Yalcindag. Der an der Städel-Schule bei Thomas Bayrle ausgebildete Türke arbeitet mit einem extrem dünnen Pinsel und trägt angemischte Farben in einem additiven Verfahren auf. Seine abstrakten Kompositionen, inspiriert von Eindrücken, die er auf der Straße sammelt, kosteten zwischen 11.000 und 35.000 Euro. Auch die Berliner Galerie Lüttgenmeijer setzte in ihrem diesjährigen Standkonzept ganz auf farbige Akzente. “Wir wollten in diesem Jahr einen Stand ausprobieren, der einerseits farbig ist, aber auch von der Ästhetik her zu uns passt”, sagt Robert Meijer, selbst Niederländer. “Die Holländer mögen es bunt, da wollten wir es ihnen auch liefern.” Unter anderem am Stand zu sehen: perforierte Teppiche von Anna Betbeze und maskenartige Arbeiten von Matthew Ronay.
Der halbe Stand der Frankfurter Galerie Neue Alte Brücke war am Wochenende ausverkauft. Besonders großes Interesse gab es für den Städelschüler Simon Fujiwara, von dem ein Fotodiptychon mit zwei Cello-Spielern verkauft wurde. Die Fotos basieren auf einer Performance, die sich mit weiblichen Modellen, die von männlichen Malern gemalt wurden, auseinandersetzte.
Am Stand der Brüsseler Galerie dépendance waren unter anderem verschiedene Fallen von Andreas Slominski zu sehen. Der aus Deutschland stammende Galerist Michael Callies, ein langjähriger Beobachter des Kunstmarktes in den Benelux-Ländern, bringt das Hauptgeschäft der Art Rotterdam auf den Punkt: “Auf der Art Rotterdam zeigen holländische Galerien holländische Künstler und verkaufen sie an holländische Sammler.” Hochpreisiges etwa für 50.000 Euro hätte hier keine Chance. Dennoch war die Stimmung auch bei den ausländischen Galerien gut. Die Messe hatte viele internationale Sammler eingeladen und ein ansprechendes VIP-Programm mit Besichtigungen von Rotterdamer Privatsammlungen und Besuchen bei Architekten und Designern auf die Beine gestellt. Philipp von Rosen von der Galerie Figge von Rosen hätte sich jedoch noch eine größere Präsenz von Kuratoren gewünscht: “Die institutionellen Protagonisten wären für den Markt genauso wichtig wie die Käufer”, sagt er.
Gute Verkäufe dann auch am Stand der Amsterdamer Galerie Grimm. Sie verkauften eine zwanzigteilige Serie mit Siebdrucken des New Yorkers Adam Helms an eine niederländische Privatsammlung. Die Serie zeigt 20 unbekannte Frauen aus Magazinen der Jahre 1968-1975, die in ihrer Ähnlichkeit mit damaligen Stars wie etwa Brigitte Bardot an das kollektive Gedächtnis appellieren.
Große Aufmerksamkeit dann am Stand der Brüsseler Galerie “Sorry we’re closed” für die Sandsteinskulpturen des Berliners Stefan Rinck. Der Balkenhol-Schüler zitiert in seinen figurativen Tierskulpturen durchaus humorvoll Mittelalterästhetik, mexikanische Volkskunst und moderne Comicästhetik. Gerade auch Sammler, die auf Klassische Moderne spezialisiert sind, kaufen Rincks Skulpturen gerne als Ergänzung (3000-7000 Euro).
Messedirektor Fons Hof, immerhin seit dem Jahr 2000 Direktor der Art Rotterdam, zeigte sich am Ende überaus zufrieden mit den Besucherzahlen, den positiven Reaktionen auf die “Projections” und den Verkäufen. “In diesem Jahr spielte auch das Wetter mit”, resümmiert er in Anspielung auf die extreme Eiswitterung mit zahlreichen Zugausfällen im Jahr 2012. “Für die Tagesgäste kann das Wetter einen großen Einfluss haben.” Bei allem Unmut in den Niederlanden über starke Kürzungen im Kulturbereich konnte sich die Art Rotterdam in diesem Jahr noch gut behaupten. Bleibt zu hoffen, dass es auch in Zukunft so bleibt.
Auf einen Blick:
Messe: Art Rotterdam
Ort: Cruise Terminal, Rotterdam
Zeit: 7.-10. Februar 2013
Katalog: 232 Seiten, im Eintrittspreis enthalten
Internet: www.artrotterdam.nl