Privates öffentlich machen: Die Hamburger Deichtorhallen bieten dem Werk des lakonischen Konzeptkünstlers Hans-Peter Feldmann jetzt eine große Bühne.
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ast jeder kennt es: Das Phänomen der gut gefüllten Damenhandtasche, für ihre Trägerin eine Versicherung in allen Lebenslagen. Der Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann, Jahrgang 1941, hat sich diesem Phänomen clever angenähert. Er bat verschiedene Damen, ihm für je 500 Euro ihre prall gefüllte Handtasche zu verkaufen. Die Resultate sind jetzt neben weiteren zentralen Serien, Installationen, Skulpturen und Bildern aus mehr als vier Jahrzehnten in Feldmanns „Kunstausstellung“ in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. In mehreren Glasvitrinen breitet Feldmann den Inhalt der rechtmäßig erworbenen Damenhandtaschen aus. Die sorgfältig angeordneten Utensilien verraten viel über den Charakter ihrer jeweiligen Besitzerinnen: Lidschatten von Dior, eine frische Zahnbürste, schicke Handys, Einladungskarten zu einer Vernissage (ausgerechnet in Feldmanns Berliner Galerie), ein halb voller Tablettenblister, ein paar Münzen, ein Parfümflakon.
Hans-Peter Feldmann geht es keineswegs um die Bloßstellung weiblicher Handtaschenmessies. Er ist vielmehr, wie so oft in seiner Arbeit, auch hier den ganz banalen Alltagsphänomenen auf der Spur. Deichtorhallendirektor Dirk Luckow, der Feldmann bereits 2006 in der Kunsthalle zu Kiel zeigte, stellt fest: “Er nimmt unspektakuläre Dinge und verändert sie durch Klugheit, so dass sie in den Rang des Außergewöhnlichen geraten, und wir auf die Mythen des Alltags blicken und unsere Umgebung dadurch neu wahrnehmen.” Das ganz beiläufig auf dem Dach liegende Auto auf dem Parkplatz der Deichtorhallen ist ein gutes Beispiel dafür. Extra für die Deichtorhallen entstanden ist auch ein Herrenjackett, auf das Feldmann anonyme Schwarz-Weiß-Fotografien aus Familienalben getackert hat. An der Innentasche haftet ein besonders intimes Foto. “Das Persönliche nach außen zu kehren, ist ein Grundprinzip von Feldmanns Kunst”, so Luckow.
Die Ausstellung versammelt Feldmann-Exponate aus allen Schaffensphasen. Feldmann ist als eifriger Sammler, genialer Arrangeur und verschmitzter Modifizierer gefundener Bilder und Objekte bekannt. Postkarten, Fußballsammelbilder, Reproduktionen von alten Gemälden – alles wird zur Kunst erhoben und ebenso clever wie ironisch verwurstet: Bürgerliche Porträtgemälde aus dem 19. Jahrhundert versieht Feldmann mit Clownsnasen. Ein Karl Marx-Bildnis bringt er zum Schielen, indem er die Augen übermalt. „Kunst sollte eine Möglichkeit des Alltags sein“, sagt Feldmann, der seine Werke weder signiert noch limitiert und so sowohl die Aura des Originals als auch die gängigen Kunstmarktmechanismen ironisch untergräbt. Ob aufgeblähte Fotos von spießigen Blumenarrangements, klischeehafte Postkarten vom Eiffelturm, eine Pinnwand mit Reproduktionen von Frauen aus der Kunstgeschichte oder Bilder von zerwühlten Hotelbetten: Hans-Peter Feldmann sampelte, schon lange ehe es diesen Begriff überhaupt gab, Bilder aus Alltag und Kunstgeschichte. Das Werk vieler jüngerer Künstler hat er damit entscheidend beeinflusst. Ebenso holt Feldmann das oft hohle Pathos der Kunst vom Sockel: Eine Reproduktion von Gustave Courbets ikonenhaftem Gemälde “Der Ursprung der Welt” versieht er kurzerhand mit einer hellen Bikinizone. Er tilgt die majestätisch über den Wellen thronenden Schiffe aus repräsentativen Marinegemälden. Er erfindet surreal anmutende Objekte wie etwa ein Paar goldene High Heels mit Heftzwecken im Fußbett. Zentral platziert im mittleren Raum zeigen die Deichtorhallen auch Feldmanns einfühlsame Foto-Serie “100 Jahre”. Sie umfasst 100 Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen zwischen einem und 100 Jahren, also vom Baby bis zum Greis.
Schnörkellosigkeit, Lakonie und Beiläufigkeit zeichnen das Werk des Drogistensohnes aus dem Rheinland aus. Stark gefördert von Ausstellungsmachern wie Kasper König, der ihn 1989, nach fast zehnjähriger Abstinenz vom Kunstbetrieb, ermutigte, wieder einzusteigen und ihn 2007 bei den Skulpturprojekten in Münster einlud, dort die heruntergekommenen öffentlichen Toiletten am Domplatz mit Blumen und Musik dauerhaft zu verschönern, hat Hans-Peter Feldmann längst seinen festen Platz im internationelen Ausstellungsbetrieb. Seine “Kunstausstellung” in den Deichtorhallen führt eindrucksvoll vor Augen, wie sich sein hintergründiger Umgang mit Alltagsbildern seit nunmehr fast fünf Jahrzehnten behauptet.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Hans-Peter Feldmann: Kunstausstellung
Ort: Deichtorhallen, Hamburg, Halle für aktuelle Kunst
Zeit: bis 2.6.2013, 11-18 Uhr, jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr
Katalog: Verlag der Buchhandlung Walther König, 232 S., 29,80 Euro
Internet: www.deichtorhallen.de