Massimiliano Gioni, der Künstlerische Leiter der im Juni beginnenden 55. Biennale Venedig, stellte jetzt sein Konzept in der Italienischen Botschaft in Berlin vor.
2009 hat er noch im New Yorker New Museum die Ausstellung „Younger than Jesus“ kuratiert. Die weltweit diskutierte Schau versammelte 50 vielversprechende Jungkünstler unter 33 Jahren. Den dazugehörigen Katalog benutzen Sammler und Galeristen seitdem als eine Art „Who’s Who“ der zukünftigen Kunstmarktstars.
Vier Jahre später, mittlerweile zum künstlerischen Direktor der 55. Biennale Venedig ernannt, definiert Massimiliano Gioni, Jahrgang 1973, seine Mission ganz anders: „Ich will zwar nicht zum Don Quichote des Kunstmarktes werden. Aber dies wird bestimmt keine Ausstellung, die den Leuten sagt, was sie kaufen sollen“, skizzierte er seine Pläne für die am 1. Juni beginnende weltweit beachtete Großausstellung.
Die Italienische Botschaft in Berlin hatte zum gemeinsamen Pressetermin mit Massimiliano Gioni und dem Präsidenten der Biennale, Paolo Baratta, geladen. Was die versammelte Hauptstadtpresse von den beiden präsentiert bekam, verspricht eine Biennale zu werden, die weniger an Gegenwart und Zukunft interessiert zu sein scheint als an Entwürfen der Vergangenheit. Gioni, der für die kuratierte Hauptausstellung im zentralen Pavillon und auf dem weitläufigen Arsenale-Gelände zuständig ist, wählt als Motto „The Encyclopedic Palace“. Er bezieht sich damit auf den abstrusen Plan eines nach Amerika ausgewanderten italienischen Künstlers. Am 16. November 1955 meldete Marino Auriti beim U.S.-Patentamt Geschmacksmusterschutz für ein Museum an, das dazu bestimmt sein sollte, das gesamte Wissen der Welt zu beherbergen. Der 700 Meter hohe Museumsturm mit 136 Etagen sollte eine Fläche von 16 Blocks in Washington einnehmen. Realisiert wurde er allerdings nie.
Massimiliano Gioni liebt offenbar solcherlei utopische Entwürfe aus den entlegenen Bastelstuben und Hinterzimmer-ateliers des 20. Jahrhunderts. Denn er plant, sie in Hülle und Fülle auszustellen. Private Kosmologien, selbsternannte Heiler, Sinnsucher, Schöpfungsmythen, der Ursprung des Universums, Rudolf Steiner und seine Philosophie. Mit Stichworten wie diesen überraschte der sonst für seine große Nähe zur zeitgenössischen Avantgardekunst bekannte Starkurator in Berlin. Gioni, der bereits 2003 auf der von seinem Landsmann Francesco Bonami verantworteten 50. Biennale eine eigene Sektion betreute, gehört neben dem Schweizer Hans-Ulrich Obrist zu den internationalen Jetsettern unter den Kuratoren. Er ist Direktor der Trussardi-Stiftung in Mailand, und assoziierter Direktor des Avantgarde-Schaufensters New Museum in New York. 2010 konnte er als Leiter der Gwangju Biennale in Südkorea mit einer Rekordbesucherzahl von 500.000 aufwarten.
Über 150 Künstler aus 37 Ländern wird Gioni allein in der Hauptausstellung versammeln. Dazu kommen noch die Länderpavillons. 88 Staaten nehmen in diesem Jahr mit eigenen Präsentationen teil. Neben den historischen Pavillons auf dem Giardini-Gelände werden, über die gesamte Stadt verteilt, auch leerstehende Palazzi, Lagerhäuser oder sogar Wohnungen zu nationalen Repräsentanzen umfunktioniert. Einen Tag nach der Papstwahl wurde jetzt bekannt, dass erstmals auch der Heilige Stuhl, die Bezeichnung Vatikan vermeidet man bewusst, mit einem Länderpavillon vertreten sein wird. Neun weitere Staaten, darunter Angola, Paraguay oder der Inselstaat Tuvalu, sind ebenfalls erstmals vertreten. Der deutsche Pavillon wird auch in diesem Jahr wieder von Susanne Gaensheimer, der Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, kuratiert werden. Gaensheimer verzichtet auf die in den Giardini so beliebte nationale Selbstdarstellung. Alternativ dazu setzt sie auf transnationale Zusammenarbeit. Gezeigt werden Arbeiten des chinesischen Dissidenten Ai Weiwei, des farbigen südafrikanischen Fotografen Santu Mofokeng, seiner indischen Kollegin Dayanita Singh und des deutschen Filmemachers mit französisch-iranischen Eltern Romuald Karmakar. Darüberhinaus haben sich Deutschland und Frankreich in diesem Jahr dazu entschlossen, die ohnehin benachbarten Pavillons zu tauschen. Der in Paris lebende albanische Künstler Anri Sala, der in diesem Frankreich repräsentiert, wird also im Deutschen Pavillon ausstellen.
Neugierig machen allerdings auch einige Sonderprojekte. So wurde die New Yorker Fotokünstlerin Cindy Sherman eingeladen, eine eigene Ausstellung mit über 200 Arbeiten von 30 Künstlern im Arsenale zu kuratieren. Puppen, Marionetten, religiöse Kultgegenstände und Zeichnungen von Gefängnisinsassen versammelt sie zu einer ausufernden künstlerischen Befragung zur Selbst- und Fremdwahrnehmung des menschlichen Körpers. Den Ruhepol der kommenden Biennale dürfte dann wohl eine neue Arbeit des Minimalisten und Land Art-Künstlers Walter de Maria am Ende des Parcours auf dem Arsenale Gelände bilden. Auch wenn Massimiliano Gionis Ansatz befürchten lässt, dass seine Hauptausstellung mit immerhin 40 bereits verstorbenen Künstlern und Autodidakten, zu sehr ins Verquast-Esoterische abdriftet und die Bodenhaftung in der Gegenwart verliert, darf man auch in diesem Jahr gespannt sein auf eine Biennale, die in ihrer kaum zu bewältigenden Unübersichtlichkeit für jeden, egal ob Kunstexperte oder bloß Gelegenheitsbesucher, Altbekanntes und Historisches, aber auch Überraschendes und Neues bieten wird.
Auf einen Blick:
55. Internationale Kunstausstellung – Biennale Venedig
1.6. bis 24.11.2013. Di-So 10-18 Uhr. Montag geschlossen
www.labiennale.org
www.deutscher-pavillon.org