Im Leben meist grausam – in der Kunst oft produktiv: Das Scheitern steht im Mittelpunkt einer Ausstellung der Hamburger Kunsthalle mit Filmen und Videos von 17 internationalen Künstlern.
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in knallroter VW-Käfer fährt in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana einen Hügel hinauf. Dazu erklingt volkstümliche Blasmusik. Stoppt die Musik, rollt das Auto rückwärts den Hügel wieder herunter, um dann erneut Anlauf zu nehmen. Vergebens. Die Videoarbeit “Rehearsal I” (1999-2004) des in Mexiko lebenden Belgiers Francis Alÿs verlegt den antiken “Mythos von Sisyphos” in ein von Armut und Gewalt geprägtes Schwellenland unmittelbar an der Grenze zum verheißungsvollen, aber für die meisten Mexikaner unerreichbaren Nachbarn USA. Sie ist Teil der Ausstellung “Besser Scheitern”, die Brigitte Kölle jetzt für die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zusammengestellt hat. Im weitläufigen Sockelgeschoss sind 17 Filme und Videoarbeiten internationaler Künstler von den 1960er Jahren bis heute zu sehen. Der programmatische Titel der Schau bezieht sich auf ein Zitat aus einem Prosastück Samuel Becketts.
Ob als permanenter Akt der Wiederholung mit kleinen Varianten, als misslingendes Streben nach Perfektion oder als ewiges Verharren im Prozesshaften: Über das Scheitern als künstlerische Strategie ist schon viel philosophiert worden. Brigitte Kölle erläutert: “In unserer erfolgskonnotierten Gesellschaft ist das Scheitern sehr belastet. In der Kunst aber ist das anders.” Eine zentrale Rolle nehmen in der Ausstellung die kurzen, Anfang der 1970er Jahre entstandenen 16mm-Filme des Niederländers Bas Jan Ader ein. Er nimmt das Scheitern wörtlich: Ader steuert mit dem Fahrrad geradewegs in eine Amsterdamer Gracht, er purzelt kalkuliert-unkontrolliert von einem Dachfirst, er hängt so lange an einem Baum, bis er in einen Fluss stürzt. Das Schicksal Bas Jan Aders ist eng mit dem Scheitern verknüpft. 1975 brach er mit einen kleinen Segelboot in Neuengland zu einer Atlantiküberquerung auf. Seitdem gilt er als verschollen. Das Boot wurde zehn Monate später leer vor der Küste Irlands gefunden. Bis heute rankt sich ein Mythos um seinen rätselhaften Tod. Fest steht: Das kunstvoll kalkulierte Scheitern mündete in seinem Fall in tödlichen Ernst.
Die Hamburger Ausstellung versammelt Videoklassiker von Marina Abramovic, Vito Acconci oder Bruce Nauman, in denen es um die scheiternden Ansprüche der Künstler an sich selbst, aber auch um Kommunikationsstörungen zwischen Künstler und Betrachter geht. Dass das (vorläufige) Scheitern mitunter zum großen Erfolg führen kann, untermauert der heutige Brit-Art-Star Tracey Emin mit der autobiografischen Arbeit “Why I Never Became a Dancer” von 1995. Ihren jugendlichen Traum von einer Karriere als Tänzerin gab sie aufgrund persönlicher Anfeindungen in der Enge ihrer Heimatstadt Margate frustriert auf und brach zum letzlich erfolgreichen Kunststudium nach London auf. “Diese Arbeit zeigt, wie aus dem Scheitern heraus eine große Form der Selbstbehauptung erwächst”, kommentiert Brigitte Kölle.
Die Nachinszenierung eines gescheiterten Interviews mit dem divenhaften Fassbinder-Schauspieler Lou Castel von Jeanne Faust, ein amüsantes Road-Movie mit Hindernissen und kunstvoll verwursteten Zitaten aus der Weltliteratur des Israelis Guy Ben-Ner, ein nahezu ereignisloser Video-Loop mit einem harmlosen Schmetterling, der auf die Chaos-Theorie anspielt, von Ceal Floyer, ein Buster Keaton-Zitat mit einer dramatisch umstürzenden Hausfassade, die den Besitzer auf wundersame Weise unverletzt lässt von Steve McQueen: Die Ausstellung, für die man durchaus kurzweilige drei Stunden einplanen sollte, zeigt viele Formen des Scheiterns, die mal humoristisch, mal tiefgründig, mal poetisch, mal kreativ, mal tragisch daherkommen. Am Ende aber obsiegt die Erkenntnis, dass man gut daran tut, das Scheitern nicht zu verteufeln, sondern als etwas Prozesshaftes zu sehen. “Die Vollkommenheit eines einzelnen Menschen”, so wusste schon Herder, bestehe darin “dass er im Kontinuum seiner Existenz Er selbst sei und werde.” Gelegentliches Scheitern gehört da einfach dazu.
Ausstellung: Besser Scheitern. Film + Video
Ort: Hamburger Kunsthalle, Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart
Zeit: bis 11. August 2013, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr
Katalog: keine Publikation
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de