Werkzustände und Handlungsanweisungen: Die Hamburger Kunsthalle würdigt das Frühwerk des einflussreichen Künstlers und Hochschul-lehrers Franz Erhard Walther.
Eigentlich wollte er nur drei Monate lang für eine Gastprofessur nach Hamburg gekommen. Daraus wurden fast 35 Jahre Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende Künste. Franz Erhard Walther bildete zahlreiche wichtige Gegenwarts-künstler aus, darunter Christian Jankowski, Andreas Slominski und Jonathan Meese. Der 1939 in Fulda geborene Bildhauer und Prozesskünstler gilt als konsequenter, konzeptueller Denker, als einer, der das künstlerische Objekt radikal neu befragt und zum Betrachter, der bei ihm immer auch potenziell Handelnder ist, in Beziehung setzt. Die Hamburger Kunsthalle zeigt jetzt in der Galerie der Gegenwart rund 120 Arbeiten des zweifachen Documenta-Teilnehmers, die in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sind. Diese Arbeiten aus dem Frühwerk Walthers, die als Schlüsselwerke gelten, stammen aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle und aus Beständen des Künstlers.
“Sein Werk zeichnet sich durch eine Strenge aus, die Werkprozesse vorgibt und den Betrachter zum Mithandeln anregt”, erläutert Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner. “Der Betrachter wird zum Nachvollziehen aufgefordert. Es gilt, zwischen der Tradition des Werkes und dem Mitmachen des Betrachters eine Balance zu finden.” Wie sieht das konkret aus? Die Ausstellung verdeutlicht, dass Franz Erhard Walther sich bereits früh an der in der Nachkriegszeit geschätzten Malerei des Informel abgearbeitet hat. Als einer der ersten Künstler arbeitete er mit Stoffen, die er zu skulpturalen Objekten zusammennähen ließ. Diese vermeintlich hausfrauliche Tätigkeit brachte ihm in den 1960ern den Spott der Düsseldorfer Kollegen Joseph Beuys und Sigmar Polke ein. Doch Franz Erhard Walther überzeugte letztendlich Kritiker wie Publikum mit seinen formreduzierten Objekten, die er in verschiedenen Konstellationen im Raum präsentiert. Er gibt auf seinen Zeichnungen bestimmte Handlungsfigurationen vor, die in der Hamburger Ausstellung sehr schön anhand filmischer Dokumente nachvollziehbar werden. So ist zu sehen, wie auf einer Hochebene in der Rhön so genannte Werkhandlungen mit 58 Objekten von Assistenten durchgeführt werden. “In den Werkhandlungen wird das Feld, der Ort, in dem ich agieren, zum Teil der Arbeit”, kommentiert Franz Erhard Walther. “Die Form entsteht im Agieren.”
Franz Erhard Walther macht Angebote, auf die der Betrachter eingehen kann, sei es im Museum oder im öffentlichen Raum. 1970 konzipierte er die Arbeit “Sieben Orte für Hamburg”, die 1990 realisiert wurde. Er legte an sieben Orten rechteckige Bodenplatten aus Stahl aus, die mit Begriffen wie “Zeit”, “Ort” oder “Raum” versehen sind. Der Betrachter ist aufgefordert, sich auf die Platten zu stellen. Walther gibt die Blickrichtung vor. Der Betrachter wird so zur Skulptur, die Platte zum Sockel. Begriffe wie “Werkzustand”, “Lagerform” oder “Aufbauvariation” machen die Denkweise Walthers anschaulich: punktgenau, sachbezogen, konzeptuell. “Es ist eine Herausforderung an den Betrachter, das Werk als Werk zu definieren”, erklärt der ehemalige Hochschullehrer. Seine Werke sind nicht statisch und museal, sondern prozessual angelegt und verfügen stets über das Potenzial ihrer Benutzbarkeit.
Die von Luisa Pauline Fink präzise eingerichtete Ausstellung bleibt spannend, weil Franz Erhard Walther, der heute wieder in Fulda lebt, noch zweimal anreisen wird, um – vor Publikum -bestimmte Skulpturen und Objekte zu verändern.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Franz Erhard Walther
Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
Zeit: 24. März bis 23. Juni 2013, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr, Do vor Feiertagen 10-18 Uhr. Erster öffentlicher Umbau am 28. April von 15 bis 17 Uhr. Zweiter öffentlicher Umbau am 26. Mai von 15 bis 17 Uhr
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 160 S., 150 Abb., 29,80 Euro Erscheinungsdatum: 23. Juni 2013
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de