Engel in vielen Spielarten: Die Hamburger Kunsthalle konzentriert sich in ihrer Ausstellung “Paul Klee. ENGEL” auf einen zentralen Werkaspekt des Künstlers. Die keineswegs immer himmlischen Flügelwesen sind ein Spiegel seines Künstlerlebens.
“Paul Klee ist der Meister der Uneindeutigkeit”, sagt Karin Schick, seit Dezember 2012 Kuratorin für Klassische Moderne an der Hamburger Kunsthalle. “Es geht ihm darum zu zeigen, wie die Welt ist. In all ihren Mehrdeutigkeiten.” Für ihre erste Ausstellung in ihrer neuen Funktion hat sich Karin Schick, die zuvor das Kirchner Museum im schweizerischen Davos geleitet hat, auf einen zentralen Aspekt im Werk des 1879 in Bern geborenen Deutschen konzentriert: Die Darstellung von Engeln. Rund 80 Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen und Gemälde versammelt die sehenswerte Schau im Hubertus-Wald-Forum der Kunsthalle, die gemeinsam mit dem Zentrum Paul Klee in Bern und dem Museum Folkwang in Essen erarbeitet wurde. Ergänzt wird die Präsentation, die kurz vor dem Deutschen Evangelischen Kirchentag eröffnet, um Engelsdarstellungen von Albrecht Dürer, Peter Paul Rubens und James Ensor bis hin zu Louise Lawler als Vertreterin der Gegenwartskunst.
Der protestantisch getaufte Paul Klee war nicht religiös im Sinne der Amtskirche, jedoch zeitlebens spirituell veranlagt. Erste Darstellungen von Engeln tauchen bereits auf weihnachtlichen Kinderzeichnungen auf, die er als Fünfjähriger anfertigte: “Bereits in den Kinderzeichnungen geht es Klee um die Reduktion auf Einfachheit als künstlerische Strategie”, erläutert Karin Schick. Während seiner verschiedenen Werkphasen tauchen immer wieder Engel auf: als heitere, fast menschliche Wesen, die mal hässlich sein können, mal verschmitzt, mal liebevoll. Bereits im April 1933 hatten die Nationalsozialisten Klee von seiner Professorenstelle an der Düsseldorfer Kunstakademie entfernt. Im selben Jahr noch war er nach Bern gezogen. Seine letzten Lebensjahre zwischen 1938 und seinem Todesjahr 1940 waren von einer Autoimmunerkrankung geprägt, die zu einer zunehmender Versteifung führte. In dieser Zeit entstanden die weitaus meisten Engelsdarstellungen. Jetzt verkörpern sie eher das Böse: Luzifer und der “Chindlifrässer”, Klees Interpretation einer kinderfressenden Brunnenfigur aus Bern, tauchen in dieser Phase auf. Karin Schick erläutert: “Man sieht in den Blättern über die Klauen, Zähne und die aggressiven Augen das Böse schlechthin, ein Aspekt im Bild, der im Titel noch zusätzlich benannt wird.”
Eine der berühmtesten Engel-Darstellungen Paul Klees, das 1920 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs entstandene berührende Blatt “Angelus Novus” ist leider nur als Faksimile zu sehen. Das lichtempfindliche Original konnte nicht für die Hamburger Schau entliehen werden. Das Blatt ist besonders aufgrund seiner Rezeptionsgeschichte interessant. Der Philosoph Walter Benjamin erwarb es 1920 in einer Münchner Galerie und interpretierte den Engel später als den dem Untergang geweihten “Engel der Geschichte”. Später gelangte es in den Besitz von Theodor W. Adorno. Die Hamburger machten aus der Not eine Tugend und inszenierten rund um das Faksimile eine Vitrine mit Publikationen und dahinter eine beachtenswerte Hörstation mit musikalischen Interpretationen unter anderem von John Zorn und Laurie Anderson.
Die Ausstellung führt aber auch die komplexe Materialität der Papierarbeiten vor Augen, die in verschiedenen Techniken von Klee bearbeitet, auf Holzplatten geklebt, nach einem komplizierten System nummeriert und mit inhaltlich aufgelade-nen Titeln versehen wurden. Obwohl oder gerade weil die Schau monothematisch angelegt ist: Die künstlerische Entwicklung Paul Klees von der reduzierten Linie über seinen Hang zu feinen ironischen Bedeutungsverschiebungen bis hin zur Tragik seiner letzten Jahre kann hier eindrucksvoll nachvollzogen werden.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Paul Klee. Engel
Ort: Hamburger Kunsthalle. Hubertus-Wald-Forum
Zeit: 26. April bis 7. Juli 2013
Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 152 S., 29,80 Euro
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de