In einer umfassenden Ausstellung präsentieren die Deichtorhallen Hamburg das Werk der österreichischen Malerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig.
Die Beziehung zwischen Bild und Körper war und ist eine spannungsreiche, wenn nicht problematische. Von dem Versuch, den Körper abzubilden, über das Bestreben, den spezifischen Qualitäten des Körperlichen durch einen veränderten Umgang mit der Bildoberfläche gerecht zu werden bis hin zum Verlassen der Bildfläche und der Bildwerdung des Körpers selbst: Immer hat das Bild sich am Körper abgearbeitet, war der Köper Zeuge seiner Verbildlichung.
Eben dieser Körper – von Hans Belting in seiner Bild-Anthropologie als der ‚Ort der Bilder‘ bestimmt – wird nun in einer gleichnamigen Ausstellung erneut zum Zentrum des Interesses: Die Deichtorhallen zeigen mit ‚Maria Lassnig. Der Ort der Bilder‘ das umfassende Werk der 1919 geborenen österreichischen Malerin und Medienkünstlerin.
Nennt man Maria Lassnig auch mittlerweile in einem Atemzug mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Hanne Darboven und Frida Kahlo, so darf dies nicht über die verhältnismäßig späte Rezeption und Anerkennung ihres Werkes hinwegtäuschen, welche erst in den achtziger Jahren einsetzte. Eine Ursache für den Lassnig erst derart spät zuteil werdenden Ruhm wird häufig in der Ausnahmeposition der Künstlerin gesucht: Die zweifache documenta-Teilnehmerin nähert sich zeitgenössischen Kunstströmungen stets mit einer Mischung aus intensivem Interesse und bewusster Distanziertheit.
Ihre Auseinandersetzungen mit Postkubismus, Surrealismus, Informel, Tachismus oder avantgardistische Praktiken wie Body Art und Performance lassen sich deshalb immer auch als bewusste Strategie verstehen, jeweilige mediale Eigenarten in Hinblick auf ihr zentrales künstlerisches Anliegen zu nutzen: Der Entäußerung von Innerlichkeit, der Visualisierung des Nichtsichtbaren.
Dass das Interesse der Künstlerin über eine narzisstische Nabelschau weit hinaus geht und ihre Ausdrucksformen nicht nur mit der Zeit gehen, sondern auch über sie hinaus weisen, beweist die Ausstellung dem Besucher anhand 113 Exponaten aus den Jahren zwischen 1945 und 2012, sowie zwei Filmen aus den siebziger Jahren. Den Kern der Ausstellung, eine Kooperation mit der Neuen Galerie in Graz, Universalmuseum Joanneum, bilden noch nie gezeigte Arbeiten der Künstlerin, welche durch Leihgaben aus österreichischen Museen und Privatsammlungen wie der Albertina, dem Belvedere, der Sammlung Essl und dem mumok ergänzt werden.
Das Leitthema Lassnigs – das Verorten von innerer Wahrnehmung und deren Verhältnis zum Außen – wird dem Besucher der weitläufigen Ausstellung schon beim Durchschreiten der Hallen offenbar, und dies ganz physisch, am eigenen Leib sozusagen. Mit seinem Eintritt in die Ausstellungshalle dringt er immer tiefer in das facettenreiche Oevre der Künstlerin ein und begibt sich somit gleichermaßen selbst auf Lassnigs Weg der Introspektion, der sich zwischen den frühen expressiven Selbstbildnissen aus den 1950er Jahren zu den bekannten Körperbewusstseinsbildern, den Selbstporträts mit Tieren bis hin zu den aktuellen Arbeiten über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten schlängelt.
Der Körper, mal figurativ in fast fühlbarer Haptik ausgearbeitet, mal in abstrakte Teilstücke zergliedert, mal androidengleich mit Küchengeräten verschmelzend, mal nur als Spur auf dem Bildgrund auszumachen, bleibt dabei immer Dreh- und Angelpunkt von Lassnigs Überlegungen.
Besonders bemerkenswert erscheint dem Betrachter die Konsequenz, mit der Lassnig ihre Wahrnehmungsstudien vorantreibt: Ungeachtet zeitgenössischer künstlerischer Strömungen nimmt sie bereits in den fünfziger Jahren Fragestellungen des Postminimalismus und der Body Art vorweg, um diese für die Malerei fruchtbar zu machen. In ihren ab den siebziger Jahren entstehenden experimentellen Filmen wie dem 16-mm-Farbfilm ‚Iris‘ spiegeln zeitlich aufeinander folgende Körperfragmente wechselnde Zustände innerer Körperlichkeit. Parallelen zu der den Frauenkörper in Fetisch-Fragmente zerlegenden Ästhetik von Pornofilmen werden überdeutlich – eine Technik, der sich auch Pipilotti Rist fast zwei Jahrzehnte später in Kurzfilmen wie ‚Pickelporno‘ bedient.
Die Betonung von Lassnigs Sonderstellung und ihrer Stellvertreterrolle für die Durchsetzung weiblicher Künstlerpositionen im 20sten Jahrhundert ist demzufolge durchaus berechtigt, wenn sie wohl auch noch tiefer erörtert werden könnte. Bei der allgegenwärtige Präsenz des Körperlichen in Lassnigs Werk drängen sich Parallelen zu feministischen Positionen der 60er und 70er Jahre auf und Fragen nach den Überschneidungen und Unterschieden werden laut.
Das dauerhafte Festhalten Lassnigs am Medium der Malerei, selbst in einer Phase, in der diese vornehmlich durch männliche Definitionsmacht bestimmt wurde, scheint die ihr zuerkannte Sonderstellung zu stützen. Den Körper, seine Wahrnehmung und sein Verhältnis zum Außen im Medium der Malerei zu verhandeln und ihn nicht aus dem Bild auszulagern, bedeutet Spannungen und Unvereinbarkeiten ertragen zu können und setzt eines unbedingt voraus: Eine dicke Haut.
Auf einen Blick
Ausstellung. Maria Lassnig. Der Ort der Bilder.
Ort: Deichtorhallen Hamburg
Zeit: 21. Juni – 8. September 2013, Di – So 11-18 Uhr , jeden 1. Do. im Monat 11-21 Uhr.
Internet: www.deichtorhallen.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Enthalten sind zahlreiche Abbildungen von Maria Lassnigs Arbeiten, ein Vorwort von Peter Pakesch und Dirk Luckow, Texte von Gottfried Boehm und Günther Holler-Schuster sowie ein Gespräch zwischen Oswald Wiener und Silvia Eiblmayer, moderiert von Peter Pakesch. Es liegt außerdem eine DVD mit zwei Filmen von 1971 bei.
Katalogumfang: 208 S., Deutsch/Englisch
Verlag der Buchhaltung Walther König, Köln
Preis: 29,90 Euro