Zeitgleich zur Eröffnung der Venedig-Biennale eröffnet in Rom die prächtige Ausstellung eines der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart: Das MAXXI trumpft mit Francesco Vezzolis erster Retrospektive.
29. Mai 2013. An diesem Tag eröffnet in Venedig die diesjährige Biennale. Am selben Tag eröffnet im MAXXI in Rom gleichzeitig eine Ausstellung, die mehr als eine Verbindung zur venezianischen Großausstellung enthält. Wohl aufgrund dieser zeitlichen Überschneidung erhält die römische Schau gerade noch etwas weniger Aufmerksamkeit, aber das wird sich schnell ändern. Als spektakuläre Einzelausstellung steht sie den in Venedig gezeigten in nichts nach – wobei „spektakulär“ hier durchaus das Programm vorgibt: Francesco Vezzoli, der seinen Aufstieg zur internationalen Kunst-Ikone nicht zuletzt seinen zahlreichen Ausstellungserfolgen in Venedig verdankt, zeigt im MAXXI seine erste große Retrospektive. Pünktlich zum dreijährigen Geburtstag der Eröffnung von Zaha Hadids Museumsbau, dem wohl aufregendsten südlich der Alpen, trumpft das MAXXI damit mit einer Leistungsschau des erfolgreichsten italienischen Künstlers der Gegenwart. Genauer gesagt, deren ersten Teil. Denn die Retrospektive im MAXXI ist Teil einer internationalen Zusammenarbeit mit dem MoMA PS1 in New York und dem MOCA Los Angeles: THE TRINITY heißt die dreigeteilte Retrospektive in diesen Hotspots der Gegenwartskunst.
Bis zum 24. November 2013 ist im MAXXI in der Ausstellung GALLERIA VEZZOLI, kuratiert von Anna Mattirolo, eine Auswahl von über 90 Werken des Künstlers zu sehen, die gleichzeitig die erste Rückschau des Künstlers in Italien ist. Im PS1, dem avantgardistischen Ableger des Museum of Modern Art, wird im Herbst 2013, kuratiert von Direktor Klaus Biesenbach, THE CHURCH OF VEZZOLI zu sehen sein, und das Museum of Contemporary Art Los Angeles zeigt, kuratiert von Alma Ruiz, im Herbst und Winter 2013 CINEMA VEZZOLI. Während in New York dann in einer süditalienischen Kirche vom Ende des 19. Jahrhunderts Vezzolis Arbeiten zum Themenkreis um Kult und Religion zu sehen sein sollen, verspricht der Titel der Ausstellung in Los Angeles einen angesichts der Bedeutung des Films in Vezzolis Arbeit und seiner Zusammenarbeit mit zahlreichen Hollywood-Stars konsequenten Fokus auf seine Filmarbeiten. Die Ausstellung in Rom nun konzentriert sich auf einen Überblick über das Werk seit seinen ersten Anfängen und setzt einen Schwerpunkt beim Thema Selbstportrait – nur konsequent beim Meister der Selbstinszenierung unter den zeitgenössischen Künstlern. Ausgestellte Werke gehen zurück bis in das Jahr 1995 und reichen bis hin zu neuesten, bisher noch nicht gezeigten Arbeiten.
Den Retrospektivcharakter erreicht die Ausstellung durch eine Auswahl von Werken, die geeignet sind, große Linien im dicht gesponnenen Werk Vezzolis zu identifizieren und einzelne Aspekte zu vertiefen. Vezzolis Arbeiten konnte man bisher in zahlreichen internationalen Ausstellungen begegnen, allerdings oft genug nur einer kleinen Auswahl der zumeist aufwendig konstruierten und installierten Arbeiten. Im MAXXI nun gibt es erstmals die Gelegenheit zu einem Überblick; wohl noch nie waren so viele verschiedene Arbeiten Vezzolis in einer Ausstellung versammelt, und es wird davon auszugehen sein, dass diese Dichte die römische Schau unter den drei Stationen von THE TRINITY hervorhebt. Was die Ausstellung leistet, wird mit dem gleichzeitig publizierten Katalog deutlich: Scheinbar zum ersten Mal wird ein kompakter Überblick über Vezzolis schier unübersichtliches Werk gegeben, der Wald aus Bezügen zwischen Werkgruppen und Ausstellungsprojekten gelichtet, und in kurzen Begleittexten das nötige Handwerkszeug zur Decodierung seiner zahlreichen kunst- und kulturhistorischen Referenzen geliefert. Es ist für das internationale Bild des MAXXI Rom mehr als erfreulich, dass es nach zuletzt dominanten Fragen der Finanzierung des Hauses und der Sammlungspolitik nun der eigenen Bedeutung gerecht wird, wo sich die Hauptarbeit der Konzeption von THE TRINITY in Zusammenarbeit mit PS1 und MOCA, des Katalogs und schließlich der Hauptanteil der Retrospektive hier konzentrieren. Die internationale Zusammenarbeit, wie sie schon bei der Übertragung des YAP (Young Architects Program) des MoMA PS1 nach Rom erfolgt, wird damit vertieft.
GALLERIA VEZZOLI, so heißt es zur Ausstellung, nehme sich ein Vorbild an den großen Gallerien des alten Rom und an der Atmosphäre von Museen des 19. Jahrhunderts. Während der Ausstellungsaufbau inklusive antikisierenden Sitzgelegenheiten in rotem Samt und ebensolchen schweren Vorhängen in der Tat an den halb öffentlichen, halb privaten Charakter der musealen Interieurs früherer Zeiten gemahnt, setzt er gleichzeitig einen überdeutlichen hochkulturellen Referenzrahmen, in dem Vezzolis Grenzübertretungen zum Kitsch dem Spannungsbogen von der Vergangenheit in die Gegenwart folgen. Den Resonanzboden dafür bildet das immer wiederkehrende Charakteristikum der Arbeiten des 1971 in Brescia geborenen Künstlers, die nahezu stets bruchstückhafte intellektuelle Versatzstücke und Referenzen an die Geschichte der bildenden Kunst mit einer gewollt kunsthandwerklichen oder massenkulturellen Ästhetik kombinieren, deren Irritationspotenzial sich aus ihrer Geringschätzung in der Gegenwart erschließt. GALLERIA VEZZOLI ist als Titel einer Ausstellung in Rom natürlich auch ein Verweis auf die großen, als Gallerie bezeichneten aristokratischen Sammlungen in den Palästen des römischen Hochadels. Bis heute etwa übertreffen die Gallerie der Familien Doria-Pamphilj, Pallavicini-Rospigliosi und Colonna an Qualität Vieles in der an spektakulären Sammlungen in staatlichen Museen wahrlich nicht armen Stadt. Dass Vezzoli an die Nobilität anknüpfen will, zugleich aber ironisch auch den eigenen Status als erfolgreicher Künstler mit entsprechender Zugehörigkeit zu sozialen Kreisen thematisiert, wird deutlich, wenn man auf den Boden sieht: Der Besucher tritt immerfort ein selbst entworfenes Wappen des Künstlers mit Füssen, der Boden der Gallerien 2 und 3 im MAXXI ist vollständig mit einem roten Kunststoffboden ausgelegt. Eine an roten Porphyr erinnernde Struktur evoziert den Eindruck von Steinböden in römischen Adelspalästen, das Wappen mit den weit ausschwingenden V und Z wird durchzogen von einer Sticknadel am Faden. Treffender und zugleich einfacher, in der Wahl der Mittel an die italienische arte povera erinnernd, könnte Vezzoli in der Rückschau den eigenen Aufstieg vom stickenden Künstler zum Prinzen der Kunstwelt kaum ausdrücken; und die eigene Bescheidenheit augenzwinkernd nur scheinbar über Bord werfen.
So beginnt der Ausstellungsrundgang auch mit Vezzolis ,signature pieces‘ aus den 90er Jahren, als er an der Londoner St. Martin School of Art studierte und die Stickerei als künstlerisches Ausdrucksmittel entdeckte. Wiederkehrendes Motiv dieser Arbeiten ist seine Beschäftigung mit Josef Albers‘ Farbstudien im Quadrat, das er als Stickerei umsetzte. Sowohl die arg aus der Mode gekommene Stickerei, als auch Albers, dessen Frau Anni und ihre bekannten Textildesigns sowie das Bauhaus als Referenzpunkt im Allgemeinen werden in der Folge zu Fixsternen neben anderen im funkelnden und in seinen historischen, ästhetischen und intermedialen (Selbst-)Bezügen scheinbar unendlichen cosmo vezzoliano. Anni Albers ist wiederkehrende Person in Vezzolis intermedialer Arbeit „Marlene Redux“ von 2006, einer fiktiven Reportage über das Filmprojekt eines Künstlers Francesco Vezzoli, der in Hollywood mit einer Dokumentation über Albers und Marlene Dietrich groß rauskommen möchte, aber scheitert. Verschiedene Filmplakate des Projekts werden ausgestellt, während ein groteskes Video im Stil der pseudo-dokumentarisch montierten amerikanischen Fernsehserien über „echte“ Hollywood-Schicksale mit „Experten“ und „Zeitzeugen“ seinen persönlichen Abstieg thematisieren. Wahre und fiktive Fakten über Vezzoli, seine Arbeit, Sexpartner, Projekte werden von nur schwer als pro-filmisch real oder erfunden erkennbaren Weggefährten kommentiert. Die Ebenen des Selbstportraits spielen mit Verbindungen in eine reale Kunstwelt, die eine Trennung von Künstler und Werk schier unmöglich machen.
Die MAXXI-Ausstellung führt dies eindringlich vor: Beim Studium der Begleittexte und courtesy-Angaben wird deutlich, dass Vezzolis Werke und das Universum aus Bezügen, das sie aufspannen, nicht nur in die reale Glitzerwelt der Film- und Fernsehstars, Chanson-, Schlager- und Pop-Königinnen Verbindungen unterhalten, sondern als Einflussfaktor in dieser realen Welt auch die sehr reale Verbindung von Macht, Geld und Kunst abbilden. Werke aus François Pinaults Sammlung sind vertreten, in denen Vezzoli in sehr großen Arbeiten erneut Anni Albers und das Sticken thematisiert. Der französische Großsammler Pinault – selbst legendär spätestens seitdem es ihm gelang, für seine spektakuläre Sammlung nicht nur den venezianischen Palazzo Grassi, sondern auch die exponierte Dogana der Lagunenstadt zu erschließen – ist freilich auch fester Bestandteil des Mythos Vezzoli. Als Vezzoli auf der Biennale von Venedig 2007 den italienischen Nationalpavillon bespielte, erwarb Pinault die gesamte Ausstellung. „Democrazy“, Vezzolis double-video-Installation, in der Sharon Stone und der französische Philosoph Bernard-Henry Lévy als Präsidentschaftskandidaten der USA einander gegenüberstehen, konnte man dann 2010 als Teil der Eröffnungsausstellung des MAXXI und 2011 erneut in Venedig, im Palazzo Grassi, sehen. Die Welt der exklusiven Modemarken nicht zuletzt aus Pinaults Imperium wiederum bildet den Hintergrund der dominanten Kultur des hochpreisigen Massensektors in der Konsum-gesellschaft der Gegenwart ab. Vezzolis Arbeiten thematisieren diese in der ihr eigenen vielschichtigen Herangehensweise aus Anreicherung und Dekonstruktion. Nicht minder legendär ist Vezzolis Verbindung zu einer seiner frühesten Förderinnen, Miuccia Prada. Ihrem Namen kann der Besucher in den Danksagungen vieler Arbeiten des Künstlers begegnen, und nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit der Fondazione Prada verdanken sich wohl einige seiner eindrücklichsten Arbeiten. Aber auch das wird in dieser Zusammenwirkung der zahlreichen Arbeiten klar: Wohl kaum ein anderer Künstler hat es so verstanden, nicht nur Stars der Hoch- und Populärkultur zu überreden, vor Allem in seinen Filmarbeiten Teil eines ausgeklügelten Spiels mit den Mechanismen von Mass- und Celebrity Culture zu werden, sondern sich an ihrer Seite auch selbst so zu inszenieren, dass bei aller ironischen Brechung und Distanz ein Glanz Hollywoods auch auf ihn abfärbt. Der italienischen Vogue dürften Grund zur Berichterstattung über das Fundraising-Dinner für die Ausstellung zwei Tage vor Eröffnung im MAXXI nicht nur die anwesenden Vertreter der italienischen Mode-Dynastien, sondern mittlerweile schon Vezzoli selbst sein. Denn wie Vezzoli dem Massengeschmack Exklusivität abtrotzt und zugleich intellektuelle Einsichten massentauglich macht, ist manchmal geradezu erschreckend virtuos.
So ist in der GALLERIA VEZZOLI die zentrale Installation „Trilogia della Morte“ zu sehen, die erstmals 2004 in der Fondazione Prada präsentiert wurde. Diese Reflexion auf Pier Paolo Pasolinis Arbeiten besteht aus drei Teilen: „120 Sedute di Sodoma“ ist die Installation eines Zuschauerraums aus zu eng gestellten Stühlen, deren Sitzflächen mit Gesichtern der Protagonisten aus Pasolinis letztem Film, der bestürzenden Reflexion faschistisch-politischer Machtstrukturen „Salò, oder die 120 Tage von Sodom“ (1975), bestickt sind. Ihnen gegenüber ist hier „La Fine di Edipo Re“ projiziert, das vermeintliche Schlussbild von Pasolinis „Edipo Re“, das hier nur das statische Wort „Fine“ und Pasolinis Unterschrift zeigt. Bedrückend wirkt die Installation nicht zuletzt, da man einen Zusammenhang zwischen Pasolinis gewaltsamen Tod während der Fertigstellung der „120 Tage von Sodom“, seiner steten analytischen Auseinandersetzung mit den politischen und ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft und dem Motiv der Suche nach innerem Frieden in „Edipo Re“ von 1967 herstellen kann. Der dritte Teil, „Comizi di Non Amore“, wiederum ist eine professionell in Roms Cinecittà produzierte Fernsehshow u.a. mit Catherine Deneuve, Marianne Faithfull und Jeanne Moreau, in der Frauen jeweils nach Vorauswahl durch das Publikum einen von drei männlichen Kandidaten wählen müssen. Als Karikatur des Privatfernsehens und der bigotten Moralvorstellungen der Mediengesellschaft nimmt sie Bezug auf Pasolinis Dokumentarfilm „Comizi d’Amore“ von 1964, in dem dieser in ganz Italien die Menschen über Liebe und Sexualität befragte. Die etwas über einstündige Show entfaltet einen Sog, dem man sich schwer entzieht. Beeindruckend ist hier auch, wie Vezzoli das reflektierte Medium in der formalen Anlage der Arbeit bricht: Das Video existiert nur in einer Auflage von 1 (Collezione Prada) und einem artist proof. Wo Pasolini als Autodidakt mit dem Film zeitlebens auf der Suche nach einer Sprache für die Wirklichkeit war, bedient Vezzoli sich einer Referenz auf Pasolini, die in Einklang steht mit seiner eigenen Untersuchung der oberflächlichen Zeichen unserer heutigen Zeit. Der Rekurs auf Pasolini ist heute selbst zu einer vermeintlich intellektuellen lingua franca geworden, die es vielfach erlaubt, vermeintlich kritisch zu wirken ohne freilich in die Tiefe gehen zu müssen.
DARE-Leser können in dieser Ausstellung auf alte Bekannte treffen: Die Verbindung von Insiderwissen, Kunstgeschichte, Provokation und Sexualität thematisiert Vezzoli auch in den Arbeiten der ebenfalls ausgestellten Bruce Nauman Trilogy, die AICA International-Präsident Marek Bartelik in der DARE IKONEN-Ausgabe analysierte. Zentrales Stück ist hier Vezzolis Video-Remake von Naumans „bouncing balls“ aus den 60er Jahren, zu Mozart-Klängen und Bergkulisse. Mit ähnlicher Prägnanz aus kunsthistorischer Referenz und den Zeitgeist entlarvender Verfremdung überrascht in der Ausstellung ein Remake der weltberühmten Skulptur „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ (1913) von Umberto Boccioni. Vezzolis Version in Stöckelschuhen verweist mit dem minimalen Eingriff auf vielfache Bedeutungs-ebenen und thematisiert gekonnt das zwiespältige Verhältnis des Futurismus zu Politik und Gewalt und kollektive Rollenvorstellungen der sozialen Masse.
Vezzoli ist fasziniert von der Aura des Exklusiven, sucht das hochkulturelle und die historischen Mythen auch in der Konsumwirtschaft, thematisiert im Vorbeigehen noch den eigenen Narzissmus und hält dem Betrachter doch einen Spiegel vor: Etwa in der jüngeren Arbeit „Greed, The Perfume That Doesn‘t Exist“ von 2009, einem überdimensionierten Parfum-Flakon, das ein Portrait Vezzolis als Frau ziert. Inspiriert von Duchamp‘s „Belle Haleine: Eau de Violette“ von 1921 und dessen weiblichem Alter Ego Rose Sélavy entwirft Vezzoli hier die Vermarktung der Gier als flüchtigem Medium und reflektiert damit auf pointierte Weise den irrsinnigen Aufwand, der um Mode und ihre Zeichen betrieben wird. Dass Parfum in den visuellen Massenmedien in Werbung umgesetzt wird, ist für sich schon ein Paradoxon. Spätestens mit Yves Saint Laurents nackter, zum genialen Wurf gedeuteten, Pose in der Werbung für den eigenen Duft 1971 und seit für Parfums wie Chanels No. 5 ganze Kurzfilme in Kinoqualität gedreht werden, ist dieses Paradoxon aber ein fester Bestandteil der Massenkultur. Vezzoli treibt es mit „Greed“ auf die Spitze, für das er 2009 Roman Polanski ein Video „Greed, a New Fragrance by Francesco Vezzoli“ mit Natalie Portman und Michelle Williams drehen lässt. Im Pop-Olymp, wo die Götter stets auch eigene Duftlinien auf den Markt bringen, scheint der Künstler zudem selbst spätestens mit seiner Performance am MOCA 2009 „Ballets Russes Italian Style (The Shortest Musical You Will Never See Again)“ an der Seite von Lady Gaga angekommen zu sein.
Auch ein Wiedersehen mit Hollywood-Star Eva Mendes ist Teil des Besuchs in der Galleria Vezzoli. Zuletzt begegnete man ihr im Winter 2009/10 im Pariser Jeu de Paume; ihr hingehauchtes „Jeu de Paume… Je t’aime!“, mit dem sie in einem Video Vezzolis Werbung für eine fiktive Ausstellung machte, ging einem danach nicht mehr aus dem Kopf, und auch jetzt klingt es einem nach beim Abschreiten der Reihe von Figuren von Priesterinnen oder Blumenmädchen, die vom Wind getragen Flachbildschirme in einer Vorwärtsbewegung darreichen. Diese Reihe präsentiert die verschiedenen Videoarbeiten Vezzolis, die in einem genialen inszenatorischen Griff so wieder in die haptische Materialität der Installation als formalem Werk integriert werden. Ihr Tonspuren verdichten und überlagern sich in der engen Präsentation und spiegeln auf akustischer Ebene ihre Wechselbezüge untereinander.
Aby Warburgs Sprachformel des „bewegten Beiwerks“ kommt einem hier vielleicht in den Sinn, wo die flatternden Stoffe und Haare der Skulpturen in bester Renaissance-Tradition den Rekurs auf die Antike in der Darstellung gesteigerter Erregung suchen. Vezzoli freilich nimmt die erregte Darstellung der Antike wörtlich, der durchdringende Ausruf „Caligulaaa!“ etwa aus seinem orgiastischen Video „Trailer for a Remake of Gore Vidal’s Caligula“ von 2005, schallt immer wieder durch den Ausstellungsraum. Spätrömische Dekadenz findet sich bei Vezzoli als bestimmender Wesenszug der zwiespältigen medialen Inszenierungen der Gegenwart. Eigentlich passt es da auch schon wieder ins Bild, dass Teile des Videos hier gepixelt sind, obwohl schon ein Schild am Eingang den Besucher warnte, manche Werke könnten als anstößig empfunden werden. Auf Youtube hingegen ist es seit längerem unzensiert zu sehen.
Kuratorin und Künstler gelingt hier ein großer Wurf, der Kontrast zwischen High and Low ist nicht nur Thema der Arbeiten, er ist formales Kennzeichen und dehnt sich auf die Ausstellungsarchitektur auf. Die Reihe der Video-Skulpturen beschreibt den Bogen des Ausstellungsraumes im MAXXI Zaha Hadids, dem nach der Eröffnung nachgesagt worden war, es sein schwer zu bespielen. Wenn der Raum als Herausforderung aber solche Ergebnisse bedingt, bleibt zu hoffen, dass die verstärkte internationale Zusammenarbeit des MAXXI, wie sie Fondazione-Präsidentin Giovana Melandri als Ziel vorgibt, weitere Ausstellungen von Format und internationalem Anspruch der GALLERIA VEZZOLI nach sich ziehen wird.
- Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, erhältlich in Englisch und Italienisch:
Francesco Vezzoli: Galleria Vezzoli. Herausgegeben von Anna Mattirolo. Electa, 2013.
240 Seiten, 100 Abbildungen. € 40,-. ISBN: 978-88-370-9480-5
Der Katalog ist in einen Werk- und einen Text-Teil gegliedert. Der Werkteil, bearbeitet von Flavia de Sanctis Mangelli, ist in 24 Themenkreise geordnet und dokumentiert alle von Francesco Vezzoli seit seinem Debut bis 2012 realisierten Werke inklusive Ausstellungshistorie.
Der Textteil umfasst eine Einleitung von Giovanna Melandri, einem Katalogtext von Anna Mattirolo und Beiträge u.a. von Donatien Grau: „Francesco Vezzoli and Neo-Neo Classicism“ und Chrissie Iles: „The provocative witness: Francesco Vezzoli, Pier Paolo Pasolini and the radical possibilities of cinema“, und einem Gespräch mit dem Künstler. Eine lückenlose Biographie mit Ausstellungen und zugehörigen Veröffentlichungen und Reviews sowie eine umfassende Bibliographie vervollständigen die Publikation.
- Ausstellung: GALLERIA VEZZOLI, Fondazione MAXXI Rom, bis 24. November 2013
MAXXI Museo nazionale delle arti del XXI secolo
Via Guido Reni 4A – 00196 Roma
Di, Mi, Do, Fr, So 11-19.00 Uhr
Sa 11-22.00 Uhr
Top, preview image Artikel: Francesco Vezzoli: „Trailer for a remake of Gore Vidal’s Caligula“, production still. Video, 16:9, 5“, 2005. Castello di Rivoli, Museo di Arte Contemporanea, Rivoli – Torino; dono dell’artista. Via MAXXI.