Im September 2012 feierte das Stedelijk Museum in Amsterdam seine lang erwartete Wiedereröffnung. Unter der neuen kalifornischen Direktorin Ann Goldstein sorgte eine große Mike Kelley-Retrospektive für Beachtung. Die Bedingungen für eine erfolgreiche Museumsarbeit sind hier gut.
Kaum war das Stedelijk Museum am 22. September 2012 wiedereröffnet, hatte es schon seinen Spitznamen weg: „Badewanne“ tauften die Amsterdamer halb liebevoll, halb spöttisch den glänzend weißen Erweiterungsbau des Architekturbüros Benthem Crouwel aus Amsterdam. Und tatsächlich erinnert der markante Bau mit seiner Oberfläche aus dem Hightech-Material Twaron, das auch im Yachtbau und in der Luft- und Raumfahrtindustrie verwendet wird, an eine frei stehende Badewanne. Im 9.500 Quadratmeter großen Anbau hat das erweiterte Stedelijk Museum 3.400 Quadratmeter Ausstellungsfläche für Wechselausstellungen hinzugewonnen. Extra Platz ist auch für ein Auditorium und einen Saal mit rundumlaufenden Bänken speziell für Performances. Der historische Gebäudetrakt von 1895 wurde zudem komplett renoviert.
Nachdem das europäische Spitzenhaus fast zehn Jahre wegen der Umbau- und Erweiterungsarbeiten geschlossen war, freut sich jetzt auch die Künstlerische Direktorin, die Amerikanerin Ann Goldstein über den großen Zulauf. Über 95.000 Besucher kamen gleich im ersten Monat nach der Wiedereröffnung. “Ich bin überrascht zu sehen, wie sehr sich die Amsterdamer, aber auch internationale Besucher mit dem Haus identifizieren”, sagt Ann Goldstein, die zuvor 26 Jahre als Hauptkuratorin am renommierten Museum of Contemporary Art (MOCA) in ihrer Heimatstadt Los Angeles gearbeitet hat. Sie sieht aber auch Nachholbedarf: “Eine halbe Generation von Amsterdamern ist inzwischen ganz ohne das Stedelijk aufgewachsen.” Das 1874 gegründete Museum liegt am zentralen Museumplein in unmittelbarer Nähe zum ebenfalls gerade wiedereröffneten Rijksmuseum, dem Van Gogh Museum und dem Concertgebouw. Die dichte Konzentration an Kultureinrichtungen ist prägend für die Stadt Amsterdam.
Das Stedelijk Museum mit seiner bedeutenden, über 90.000 Werke umfassenden Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst sowie einer großen Designsammlung, die jetzt erstmals umfassend präsentiert wird, erlangte seine internationale Bedeutung nach 1945 unter dem legendären Direktor Willem Sandberg, der dem Haus seinen Stempel aufdrückte. Wichtige Ausstellungen zur Russischen Avantgarde, zu Künstlergruppen wie De Stijl oder Cobra und die richtungweisende Schau „Dylaby“ mit Künstlern wie Daniel Spoerri, Robert Rauschenberg und Niki de Saint Phalle, die das Museum 1962 in ein riesiges Mitmach-Labyrinth verwandelte, erregten internationale Aufmerksamkeit. Die stark am inhaltlichen Diskurs interessierte Kalifornierin Ann Goldstein möchte in seine Fußstapfen treten: “Das Stedelijk war immer ein Ort der Kontroversen, der Meinungsfreudigkeit und der Experimente”, sagt sie. Der Zufall wollte es, dass bereits vor Goldsteins Antritt im Januar 2010 fest stand, dass das Stedelijk Museum dem Kalifornier Mike Kelley eine große Retrospektive ausrichten würde. Ursprünglich war Ann Goldstein gar nicht als Kuratorin vorgesehen. Doch nach Kelleys plötzlichem Tod im Jahre 2012 kam der Retrospektive eine andere Bedeutung zu. Ann Goldstein, die als große Kennerin seines Werkes gilt, nahm die Zügel in die Hand. Ihre sorgsam und ohne pathetischen Kitsch inszenierte Kelley-Show stieß auf ein großes Echo in der internationalen Kunstwelt.
Ann Goldstein findet am Stedelijk Museum gute Bedingungen für eine fundierte Museumsarbeit vor. Anders als viele kommunale Museen in Deutschland verfügt das Stedelijk Museum über einen auskömmlichen Ankaufsetat von 800.000 Euro jährlich – öffentliche Gelder von der Stadt Amsterdam. Außerdem ist man in den Niederlanden offen für neue Formen des Kunsterwerbs. “Shared Ownership”, das gemeinsame Akquirieren wichtiger Arbeiten durch mehrere Häuser, und die Kooperation mit privaten Partnern werden hier groß geschrieben. Ann Goldstein blickt in ihrem Programm zwar auch auf die niederländische Kunstszene, hat aber immer auch die ganze Welt im Auge – gerade auch weibliche, wenn auch nicht ausschließlich feministische Positionen wie Cosima von Bonin oder Rachel Harrison. “Das Museum ist tief in Amsterdam verwurzelt, aber es hat immer in einzigartiger Art und Weise als internationales Museum gearbeitet”, stellt sie klar.
In der immer noch von Männern dominierten Top-Liga in der internationalen Museumslandschaft nimmt Ann Goldstein eine starke Position ein. Und sie ist bereit, für ihr Haus zu kämpfen und auch Risiken einzugehen: “Als Amerikanerin bin ich es gewohnt, ohne Netz und doppelten Boden zu arbeiten. Ich nehme nichts als gegeben hin.”