Aus Anlass der Olympischen Winterspiele in Sotchi: Die Ausstellung „Die Russische Avantgarde und der Sport“ im Olympischen Museum in Lausanne versammelt Fotografie, Film, Graphik und Plakatkunst aus der Zeit zwischen 1917 und 1937.
Der russische Avantgardekünstler Alexander Rodtschenko (1891-1956) wusste sich gegenüber der fotografischen Konfektionsware der Massenmedien seiner Zeit klar abzugrenzen: „Der Journalist stürzt sich freudig auf den Sportler und platziert ihn – bestenfalls – mitten in der Sonne und vor dem Publikum… Das ist für die Presse. Diese Porträts sind schlecht. Sie sind nicht durchdacht bezüglich Licht und Komposition. Es steht keine Idee dahinter.
Solche Aufnahmen sind vergänglich“, schrieb er Anfang der 1930er Jahre in einem Entwurf zu einem Konferenzbeitrag. Dass es auch anders ging, nämlich Bilder vom Sport über die Faktizität der Ereignisse hinaus mit Spannung, ungewöhnlichen Perspektiven und modernen Montageverfahren aufzuladen, bewiesen er und seine Künstlerkollegen auf den Feldern Fotografie, Film, Plakatgestaltung, Lithographie oder Zeitschriftenlayout.
Das Anfang Januar nach fast zweijährigen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen wieder eröffnete Olympische Museum am Stammsitz des Internationalen Olympischen Komitees im schweizerischen Lausanne nimmt jetzt die 22. Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotchi zum Anlass, das avantgardistische Kunstschaffen rund um das Thema Sport in der noch jungen Sowjetunion zu untersuchen.
Eine sportliche Tradition gab es im zaristischen Russland so gut wie gar nicht. Abgesehen von einigen männlichen Angehörigen der Aristokratie, die, orientiert an westeuropäischen oder amerikanischen Vorbildern, elitäre Sportarten wie Fechten, Reiten oder Tennis ausübten, war es die breite Mehrheit nicht gewohnt, sich sportlich zu betätigen. Mit der Oktoberrevolution sollte sich das schlagartig ändern. Entsprechend der Losung „Sport für alle“, entstanden plötzlich landesweit Sportstätten und Schwimmbäder – für Männer und Frauen. Man traf sich zur kollektiven Morgengymnastik, zu Sportfesten und Paraden. Die umfassende Modernisierung des täglichen Lebens erforderte auch die Beteiligung bildender Künstler. Plakate, Broschüren und Magazine propagierten den „Neuen Menschen“ und insbesondere in den Medien Fotografie und Film ersannen die Künstler des Konstruktivismus neue, ungewohnte Perspektiven und experimentierten mit avantgardistischen Schnitt- und Montageverfahren. Im Mittelpunkt ihrer Werke stand nicht so sehr das Ideal des perfekt durchtrainierten Athletenkörpers sondern vielmehr die dynamische Bewegung des Menschen im Raum – eingefangen in kühn durchkomponierten Bildern.
Die von François Albera, einem Professor für Filmgeschichte an der Universität Lausanne, und Daniel Girardin, dem Hauptkurator des Lausanner Musée de l’Elysée, sorgfältig kuratierte Schau versammelt neben zahlreichen Vintage-Fotografien Alexander Rodtschenkos, Nikolai Kubeevs oder Fedor Kislovs auch Originalcollagen für Postkarten und Zeitschriftencover von Gustav Klucis und Trikotentwürfe von Rodtschenkos Frau Varvara Stepanova. Zahlreiche Filmausschnitte verlebendigen die von Optimismus und Fort-schrittsglauben geprägte Aufbruchsstimmung vor dem Beginn der stalinistischen „Säuberungen“.
Im letzten Teil der Schau untersuchen die Kuratoren dann, wie die von der russischen Avantgarde entwickelten und ähnlich auch am Bauhaus praktizierten ästhetischen Innovationen im Nazideutschland pervertiert wurden. Aufnahmen des deutschen NS-Fotografen Lothar Rübelt, die am Rande der Dreharbeiten zu Leni Riefenstahls Propagandafilm „Olympia“ (1936) entstanden sind, zeigen, wie durch Stilmittel der heroischen Überhöhung, pathetischen Lichtregie und Überinszenierung propagandistische Zwecke erfüllt werden. Der gottgleiche, germanische „Übermensch“ wird aus dem Ungeist des Rassenwahns erfunden.
Den filmischen Schlusspunkt der Schau bildet eine aufschlussreiche Gegenüberstellung einzelner Sport-Szenen aus „Olympia“ und dem 1932 entstandenen Klassiker des proletarischen Films „Kuhle Wampe: oder Wem gehört die Welt?“, an dem unter anderen Bertold Brecht und Hanns Eisler mitgewirkt haben. Hier prallen zwei Konzepte von Sport aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Sport als unerbittlicher Kampf und Körperkult, der, orientiert an militärischen Tugenden, zu individuellen Höchstleistungen herausfordert, und repressionsfreier Sport für alle im Dienste von Freizeit, Gesundheit und Erholung. Ein idealistisches Konzept, das sich allerdings auch in der Sowjetunion nicht lange gehalten hat.
Die spätestens zu Beginn der 1930er Jahre einsetzende stalinistische Instrumentalisierung des Sports beendete die kurze Allianz zwischen Breitensport und künstlerischer Avantgarde. 1934 wurde der „Sozialistische Realismus“ zur offiziellen Staatskunst erklärt. Für avantgardistische Stilübungen war da kein Platz mehr. Und spätestens mit der Erstteilnahme an Olympischen Spielen 1952 in Helsinki etablierte auch die Sowjetunion ein effizientes, oftmals unmenschliches und auf sportliche Höchstleistungen hin orientiertes, elitäres System des Spitzensports.
Auf einen Blick
Ausstellung: Die Russische Avantgarde und der Sport
Ort: Das Olympische Museum, Lausanne, Schweiz
Zeit: 24. Januar bis 11. Mai 2014. Bis 30. April täglich außer montags 10-18 Uhr. Ab 1. Mai täglich 9-18 Uhr. Ostermontag geöffnet
Katalog: 108 S., zahlreiche Abb., 19 Schweizer Franken
Internet: www.olympic.org/museum