Früh übt sich, wer ein Kunstmarktstar werden will: Eine Berliner Ausstellung stellt jetzt Kinder- und Jugendzeichnungen so bekannter Künstler wie Jonathan Meese, Rosemarie Trockel oder Norbert Bisky vor.
Berlin. Egal ob Postbote, Zahnarzt oder Ingenieur. Als Kinder waren wir alle noch Künstler. Wohl jeder hat während der Schulzeit mehr oder weniger exzessiv gemalt, gezeichnet oder einfach nur rumgekritzelt. Bei den meisten von uns ist diese Gabe dann irgendwann mehr oder weniger auf der Strecke geblieben. Einige wenige jedoch haben daraus eine Profession gemacht – und ein paar können heute sehr gut davon leben.
Die Rede ist von Künstlern wie Rosemarie Trockel, Tal R, Jonathan Meese oder John Bock, deren aktuelle Werke zu hohen Preisen am Kunstmarkt gehandelt werden. Doch gemalt und gezeichnet, gekrakelt und gekritzelt haben auch sie schon lange, bevor sie von Beruf Künstler waren. Über 60 Kinder- und Jugendzeichnungen von insgesamt 19 Gegenwartskünstlern versammelt jetzt die Ausstellung „Paperworlds“ im Me Collectors Room der Stiftung Olbricht in der Berliner Auguststraße. Die vermittelt vielleicht keine bahnbrechenden kunsthistorischen Erkenntnisse, macht dafür aber viel Spaß. Valeska Hageney und Sylvia Volz, die beiden Kuratorinnen der Schau, präsentieren ihr Material teils ungeordnet, teils aber auch in Kapiteln mit Überschriften wie „Krieg und Frieden“, „Stadt, Land, Fluss“ oder ganz einfach „Porträts“. Da überrascht der heute oft provokante Brachialmaler Jonathan Meese als 6-Jähriger mit niedlichen Strichmännchen unter einer Girlande aus Halloweenkürbissen, die ein fröhliches „Hütchenfest“ feiern. Auf einem anderem Blatt ist ein bunt geschecktes Krokodil im Konfettiregen zu sehen.
In Leipzig wiederum zeichnet sein Altersgenosse Norbert Bisky, heute bekannt für seine homoerotisch aufgeladenen Bilder perfekt durchtrainierter junger Männer, fahnenschwingende Proletarier auf Lastwagenpritschen vor grauer Plattenbaukulisse während einer DDR-typischen Parade. Sein Jungpionier-Ausweis ist in einer Vitrine ausgestellt. Die im eher gemütlichen saarländischen Ottweiler geborene heutige Bildhauerin Katja Strunz hingegen malt Dschungelszenen oder Kinder bei der Schneeballschlacht auf einem weihnachtlich geschmückten Marktplatz. Der wohl- genährte Pfarrer schaut wohlwollend dabei zu. Geschlechtsspezifische Unterschiede treten, warum sollte es bei Künstlern anders sein, spätestens in der Pubertät zu Tage. Während Jungen wie Ralf Ziervogel oder Andy Hope da plötzlich Macho-Idole wie „Rambo“ oder „Darth Vader“ zu Papier bringen oder wie Tal R den Luftkrieg thematisieren, schwingen sich ihre weiblichen Pendants zu wahrhaft akademischen Leistungen auf: Die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas etwa zeichnet bereits mit 14 Jahren detaillierte Kopfstudien von Erwachsenen. Dermaßen bunt gemischt, lädt „Paperworlds“ zum spannenden Vergleichen und Spekulieren, aber auch zum Bestätigen und Widerlegen von Klischees über Künstler und ihren Werdegang ein.
Der russische Maler Wassily Kandinsky hat sich schon 1912 zum Thema Kinderzeichnung geäußert: „Die Erwachsenen, besonders die Lehrer, bemühen sich, dem Kinde das Praktisch-Zweckmäßige aufzudrängen und kritisieren dem Kinde seine Zeichnung gerade von diesem flachen Standpunkte aus: ‘dein Mensch kann nicht gehen, weil er nur ein Bein hat… Der Künstler, der sein ganzes Leben in vielem dem Kinde gleicht, kann oft leichter als ein anderer zu dem inneren Klang der Dinge gelangen.“ So betrachtet, kann man die Teilnehmer dieser Ausstellung nur beneiden.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Paperworlds. Kinder- und Jugendzeichnungen zeitgenössischer Künstler
Ort: Me Collectors Room. Stiftung Olbricht Berlin
Zeit: bis 6. April 2014. Di-So 12-18 Uhr
Katalog: erscheint im Februar im Verlag Kettler
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[…] DAREmag, 23.01.14 / Kritzeln, Krakeln, Klecksen […]