Bei uns noch zu entdecken: Das Ernst Barlach Haus in Hamburg präsentiert Skulpturen und Zeichnungen des in Deutschland geborenen Schweizerischen Bildhauers Hans Josephsohn (1920-2012)
Hamburg. Seine wuchtigen Bronze- und Messingskulpturen gehörten für viele zu den wahren Entdeckungen auf der letzten Biennale Venedig: Der Schweizerische Bildhauer Hans Josephsohn (1920-2012) hat lange Zeit eher im Verborgenen gearbeitet. Eine erste große museale Würdigung erfuhr der im ostpreußischen Königsberg als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geborene Künstler erst im Alter von 82 Jahren im Amsterdamer Stedelijk Museum. Dabei hat der seit den 1940er Jahren im Schweizer Exil lebende Josephsohn rund um die menschliche Figur ein umfangreiches bildhauerisches Werk geschaffen, das mittlerweile in einem Atemzug mit dem wohl wichtigsten und teuersten Schweizer Bildhauer der Moderne, Alberto Giacometti, genannt wird.
Das Hamburger Ernst Barlach Haus präsentiert jetzt unter dem Titel „Die Sache muss leben“ eine sorgfältig kuratierte Werkschau des Bildhauers mit der zeitlos-archaischen Formensprache. 15 teils mannshohe Skulpturen und Reliefs aus allen Werkphasen sowie knapp 20 Arbeiten auf Papier versammelt die sehenswerte Ausstellung. „Hans Josephsohn zeichnet sich dadurch aus, dass er an einem sehr klaren Bildhauerbegriff festhält“, erläutert Direktor Karsten Müller, dem es gelungen ist, hochkarätige Leihgaben – viele davon aus dem Kolumba in Köln – zusammenzutragen, die in chronologischer Abfolge die künstlerische Entwicklung Josephsohns nachvollziehbar machen. Der Rundgang beginnt mit Reliefs und Zeichnungen aus den späten 1940er und frühen 1950er Jahren und endet mit einer Skulptur aus dem Jahre 2003.
Hans Josephsohn verlor durch den Holocaust seine gesamte Familie. Ihm selbst gelang es von Florenz aus, wo er ein Kunststipendium hatte, 1938 gerade noch rechtzeitig, in die Schweiz zu flüchten. Bei Otto Müller in Zürich studierte er Bildhauerei. Seine frühen halb abstrakten, halb figurativen Reliefs aus Messing enstanden unter dem Eindruck des Korea-Krieges, der den verfolgten Juden abermals stark verunsicherte. Auf einem wandfüllenden, unbetitelten Relief von 1952-53 ist ein Figurenpaar im Bombenhagel zu sehen. Josephsohn greift hier einen welthistorischen Kontext auf und stellt mit reduzierten Mitteln eine körperliche Bedrängnis dar, die den Betrachter stark in ihren Bann zieht.
So stark symbolhaft wie hier arbeitete er später weniger. Er beschränkte sich in seiner bildhauerischen Arbeit zeitlebens nur auf wenige Werkgruppen. In seinem Atelier in Zürich entstanden in täglicher, körperlich schwerer Arbeit Sitzende, Liegende, Stehende und Reliefs, die er zunächst aus Gips formte und später überwiegend in Messing gießen ließ. Josephsohn arbeitete am liebsten nach Modellen, jedoch ohne deren individuelle Züge herauszuarbeiten. Häufig posierten seine wechselnden Lebens-partnerinnen Mirjam, Ruth und Verena. Mit zunehmender Reife des Werkes wurden die mächtigen Skulpturen immer abstrakter und spannungsreicher.
Den Höhepunkt der Hamburger Schau bildet der vorletzte große Raum, in dem drei abstrakte Halbfiguren seiner weiblichen Modelle zu sehen sind. Die amorphen Messingkörper mit ihren rauen, schrundigen Oberflächen wirken zunächst fast wie Gesteins-formationen, auf denen die Natur ihre Patina hinterlassen hat. Nach und nach erkennt der Betrachter jedoch, dass sie klar durchkomponiert sind und über Vorder-, Rück- und Seitenansichten verfügen. „Diese Figuren bringen sehr gut bestimmte Paradoxien auf den Punkt, die das Werk Josephsohns auszeichnen“, so Karsten Müller.
Dem Exildeutschen, der erst 1964 von der Schweiz eingebürgert wurde, ging es in seiner Arbeit zeitlebens um die menschliche Existenz. Unermüdlich strebte Josephsohn danach, sein Werk voranzutreiben. „Die Sache muss leben“, hat er einmal gesagt. „Man muss lernen, eine Sprache zu finden, die parallel zum Leben geht, aber eigenes Leben hat.“ Vielleicht, so darf vermutet werden, ging es ihm in erster Linie darum, der Verwundbarkeit der menschlichen Existenz, wie er sie im Nationalsozialismus erfahren hatte, etwas Solides, Bleibendes entgegenzusetzen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Hans Josephsohn – „Die Sache muss leben“
Ort: Ernst Barlach Haus, Hamburg
Zeit: bis 15. Juni 2014. Di bis So 11-18 Uhr. An Feiertagen auch Montags geöffnet
Internet: www.barlach-haus.de