Menschen und Landschaften in Ost und West: Die Hamburger Deichtorhallen präsentieren die erste gemeinsame Werkschau des ostdeutschen Fotografenpaars Ute und Werner Mahler.
Ein frisch verheiratetes Paar in seinem Schlafzimmer. Die Wände sind nahezu komplett mit Markenlogos aus dem kapitalistischen Ausland bedeckt: Verpackungen von Nylonstrümpfen, Waschmitteln und Süßigkeiten gängiger Westmarken. Wir befinden uns in der DDR im Jahr 1974. Die Aufnahme von den geheimen Sehnsüchten eines jungen Ostpaares stammt von der 1949 geborenen Fotografin Ute Mahler. Die Fotografie ist Teil ihrer zwischen 1972 und 1988 entstandenen Schwarz-Weiß-Serie „Zusammenleben“. In dieser Werkgruppe porträtiert Ute Mahler Menschen, die eine besondere persönliche oder familiäre Bindung haben wie Paare oder Geschwister.
Einfühlsame Reportagefotografien in Serien sind charakteristisch für das Werk von Ute und Werner Mahler, die bis heute zu den bedeutendsten und stilprägendsten Fotografen Deutschlands zählen. Beide begannen ihre Arbeit als freiberufliche Fotografen in der DDR. Das Fotografenpaar lernte sich vor 40 Jahren noch zu Schulzeiten kennen. Beide erwarben ihr Fotografiediplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Bis 2009 arbeitete jeder für sich an einem eigenständigen Werk.
Die Hamburger Deichtorhallen präsentieren jetzt im Haus der Photographie die weltweit erste gemeinsame Werkschau der Mahlers. Gezeigt werden Vintage-Aufnahmen nahezu aller Fotoserien der beiden Zeitdokumentaristen. Die ausnahmslos analogen Fotografien entstanden einerseits in Ostdeutschland vor der Wende, nach der Maueröffnung aber auch in Ost und West, immer mit dem für beide charakteristischen, humanistisch geprägten Blick, dem alles Sensationalistische fremd ist.
Langzeitbeobachtungen sind typisch für die Arbeiten des Fotografenpaars. So fotografierte der 1950 geborene Werner Mahler 1978 ein Jahr lang Dorffeste, Hausschlachtungen und Jugendweihen im thüringischen Berka, dem Geburtsort seiner Frau. Die Aufnahmen zeigen das Zusammenleben in einer dörflichen, dem Fotografen vertrauten Gemeinschaft. „Charakteristisch für die Arbeiten von Ute und Werner Mahler ist die fotografische Beschreibung bestimmter Milieus“, so Ingo Taubhorn, der Kurator der Schau. „Die Aufnahmen sind nicht inszeniert, sondern entstehen vielmehr aus einer beobachtenden Position heraus.“
Auch Ute Mahler interessierte sich für bestimmte Milieus.
Für ihre Diplomarbeit von 1973-1974 über den Zirkus Hein erhielt sie 1978 den Preis der Kölner photokina-Sonderschau „Arbeit und Freizeit“: eine Flugreise nach Paris. Selbstverständlich nahm sie ihre Kamera mit und fotografierte ein Paris jenseits aller touristischen Klischees: etwa eine gefangene Taube im Käfig neben einer frei fliegenden Taube auf dem Trottoir. Diese symbolträchtige Aufnahme verschaffte ihr in den 1980er Jahren große Anerkennung in der Musik- und Künstlerszene der DDR. Ute Mahler ist bekannt für ihre fast beiläufigen Porträts von Prominenten: Von Sophie Rois, dem weiblichen Star der Berliner Volksbühne, über den Hamburger Schriftsteller Ralph Giordano bis zur Bundeskanzlerin.
1990 gründeten die Mahlers in Berlin „Ostkreuz“, mit 18 Mitgliedern die heute erfolgreichste von Fotografen geführte Agentur Deutschlands. Schon zu DDR-Zeiten hatten beide regelmäßig Modeaufnahmen für die legendäre Kult-Zeitschrift Sibylle gemacht. Nach der Wende bereiste Ute Mahler im Auftrag westdeutscher Magazine die Republik. Sie fotografierte den 24-jährigen Neonazi „Bomber“ in Berlin-Lichtenberg oder begleitete in einer einfühlsamen Serie den mit Stasivorwürfen konfrontierten SPD-Politiker Ibrahim Böhme.
Seit 2009 arbeiten die Mahlers auch an gemeinsamen Werkgruppen, zum Beispiel an der Serie „Monalisen der Vorstädte“ (2009-2011). Das Fotografenpaar bereiste fünf europäische Städte und bat junge Frauen an der Schwelle zum Erwachsensein, ein Lächeln im Stil der Mona Lisa aufzusetzen. Mit dieser Porträtserie erlangten sie große Anerkennung.
Die Hamburger Werkschau nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise quer durch Deutschland. Ob die 1977 von Werner Mahler begonnene und längst noch nicht abgeschlossene fotografische Langzeitbeobachtung einer Oranienburger Abiturientenklasse oder Ute Mahlers Serie über das Frauengefängnis Hoheneck: Der fotografische Blick der Mahlers ist nie provozierend, nie voyeuristisch. Die zurückhaltenden Aufnahmen sind geprägt von einem unaufgeregten Umgang mit der Wirklichkeit.
Auf einen Blick
Ausstellung: Ute Mahler und Werner Mahler. Werkschau
Ort: Deichtorhallen Hamburg/Haus der Photographie
Zeit: 11. April bis 29. Juni 2014, Di bis So 11-18 Uhr
Jeden 1. Donnerstag im Monat: 11−21 Uhr (außer an Feiertagen)
Katalog: Kehrer Verlag, 304 S., ca. 150 Abb., 49,90 Euro
Internet: www.deichtorhallen.de