Spot aus! Das FRAC in Marseille präsentiert den Schweizer Adrian Schiess in einer sehenswerten Einzelausstellung. Lichtdurchflutet und spirituell: Als i-Tüpfelchen gestaltete der Zürcher auch noch die Kirchenfenster im nahe gelegenen Küstenort Six-Fours-les-Plages.
„Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper“, sagte einst die französische Architekturikone Le Corbusier. Das 2013 von dem japanischen Architekten Kengo Kuma errichtete FRAC Provence Alpes – Côte d’Azur im Stadtteil Joliette in Marseille bildet ein Beispiel für eine moderne, lichtdurchflutete Museumsarchitektur, die sich selbstbewusst ins Stadtbild der quirligen Metropole am Mittelmeer einfügt.
Alle Spots aus im FRAC. Der Schweizer Künstler Adrian Schiess, Jahrgang 1959, hat sich entschlossen, für die Präsentation seiner Ausstellung „Peinture“ nur mit dem natürlichen Tageslicht zu arbeiten. Eine Entscheidung, die seit vielen Jahren seiner Ausstellungspraxis entspricht. Um zwölf Uhr, kurz nach Öffnung des Ausstellungshauses, liegen die Räume daher noch im etwas diffusen Mittagslicht.
Der Besucher muss nahe an die abstrakten Bilder herantreten, um einzelne Details zu erkennen. Der gebürtige Zürcher ist ein Maler durch und durch, geprägt von der Punk-Bewegung der 1980er Jahre, einer, der sich den unterschiedlichen Malereidiskursen aber stets verweigert und seinen ganz eigenen Weg beschritten hat. Der brachte ihn schon 1990 auf die Biennale Venedig, wo er für die Schweiz die Kirche San Stae bespielte. 1992 nahm er dann an der Documenta teil. „Ein wichtiger Gedanke war von Anfang an das Zerstreuen des Sinns und die Probleme der Repräsentation. Ich habe mich in der Zeit intensiv mit Roland Barthes beschäftigt. Die Anliegen der größtmöglichen Offenheit und der Zerstreuung des Sinns, der immer wieder durchzudringen versucht, waren die Leitlinien bei diesen Werken“, resümiert er die künstlerischen Impulse seiner Anfangsjahre.
In seinen beiden Ateliers in der Stadt Zürich und auf dem Lande in Le Locle bei Neuchâtel entstehen in langwierigen Prozessen seine Bilder. Adrian Schiess legt immer wieder feinmaschige Gaze als Malgrund auf den Boden. In einem geradezu sinnlichen Akt trägt er Farbe auf, rollt die Gaze zusammen, so dass die halb trockene Farbe aneinander klebt. Diesen Prozess wiederholt er, wobei einzelne Blätter oder Pflanzenteile aus seinem Ateliergarten, wie der Zufall es will, eingearbeitet werden. Wann ein Bild als fertig gilt, entscheidet der Maler intuitiv.
In der Ausstellung im FRAC in Marseille geht es jedoch nicht nur um die reine Malerei. Zwar hängen einige der Großformate ganz klassisch an den Wänden. Doch Adrian Schiess arbeitet vor allem mit den architektonischen Vorgaben des Museums, das mit seinen Ausstellungsräumen auf zwei Etagen, seinen Durchsichten und Panoramafenstern zur Terrasse nicht unbedingt leicht zu bespielen ist. Der Schweizer ist jedoch ein Meister der räumlichen Intervention mit einfachen, aber dafür umso effektiveren Mitteln. So hat er die Ausstellungsräume teilweise mit in verschiedenen Farbtönen lackierten Spanplatten ausgelegt, die er wiederum auf Kanthölzern platziert.
Dieses Bodenrelief darf jedoch nicht betreten werden. Dennoch macht es den Raum mit seinen Reflexionen, seinen Gebrauchsspuren und seinen Farbvariationen für den Besucher körperlich und sinnlich erfahrbar. Gerade hier spiegelt sich das Licht je nach Tages- und Jahreszeit, abhängig von den Wolken oder den gerade herrschenden Wetterbedingungen. Genau auf diese im Grunde unendliche Variabilität, was die Wahrnehmung der Farben betrifft, kommt es ihm an. Schiess: „Durch den Glanz auf einer Oberfläche kann sich eine Farbe öffnen. Dann malt es! Das Licht und die Reflexe, das malt dann da! Und das alles kann das natürlich viel besser, als ich es je könnte“
Seine Bilder genügen sich also nicht selbst, sie bedürfen der wechselnden Lichtstimmungen und der Partizipation des Betrachters, der idealerweise die unterschiedlichsten Standpunkte einnimmt, um sie in Augenschein zu nehmen. Das FRAC mit seinen Blickachsen von einer Etage auf die darunterliegende bietet seinen Werken da eine ideale Bühne. In der mediterranen Abendsonne bekommt der Raum dann einen nahezu poetischen Glanz. Einzelne Bodenplatten sind auch mit Fotos bedruckt, die etwa den beklecksten Atelierboden des Malers sowie Pflanzen aus seinem Ateliergarten zeigen. Schiess bewegt sich bewusst in einer Grauzone: „Manchmal werde ich gefragt, ob meine Arbeiten denn nun Skulpturen seien oder Malerei. Die Frage ist für mich nicht so eindeutig zu beantworten. Ich nenne meine Arbeiten darum Dinge. Eigentlich sind es eher Halbfabrikate, die wir aus dem Anwendungsbereich der Architektur kennen. Dieser architektonische Bezug ist mir wichtig – der Bezug zu einem Ort.“
Adrian Schiess ist an der Côte d’Azur kein Unbekannter. Mehrere Jahre arbeitete er in seinem Atelier im kleinen Ort Mouans-Sartoux. Mit der Ausstellung im FRAC erfährt sein Werk in Südfrankreich nun wieder eine große Aufmerksamkeit. Während eine Museumsausstellung jedoch nur auf mehrere Monate beschränkt ist, bleibt Adrian Schiess dem FRAC in Marseille verbunden, da Werke von ihm bereits seit 1996 in der Sammlung sind. Davon, in einer relevanten Sammlung vertreten zu sein, träumt wohl jeder Künstler.
Eine noch stärkere Verankerung in der öffentlichen Wahrnehmung, ja sozusagen eine Art Ewigkeitsversprechen, bietet jedoch die Einladung, einen Sakralbau mitzugestalten. Adrian Schiess hat solch einen Auftrag bekommen. Im kleinen Küstenort Six-Fours-les-Plages, rund eine Stunde von Marseille entfernt, durfte er jetzt die Kirchenfenster der auf einem Hügel gelegenen Kirche Saint-Pierre-aux-Liens aus dem 12. Jahrhundert neu gestalten.
Im Zuge der Renovierung der idyllisch gelegenen Stiftskirche beschloss der Bürgermeister des Ortes, einen zeitgenössischen Künstler zu beauftragen, alle 22 Kirchenfenster neu zu entwerfen. Die Wahl fiel auf Adrian Schiess. Der Zürcher reiste fünf Mal nach Six-Fours, um den Auftrag zu konzipieren und auszuführen. Jedes Fenster ist einzigartig, was Farbe und Form betrifft. Die gekurvte Lineatur der stützenden Metallstege wurde in die künstlerische Formfindung integriert. Auf Geraden oder rechte Winkel wurde hier konsequent verzichtet. Ähnlich wie in der Ausstellung im FRAC geht es auch in Saint-Pierre-aux-Liens um den natürlichen Lichteinfall, das Wechselspiel von Innen und Außen, aber natürlich auch um die Spiritualität. Adrian Schiess hat begriffen, dass künstlerisches Gestalten, sei es in der Malerei, mit Bodenreliefs oder mit Kirchenfenstern, immer auch mit dem Ort, dem Prozess und dem Licht zu tun hat. In Südfrankreich feiert man den Schweizer jetzt als großen Visionär unserer Zeit.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Adrian Schiess: Peinture
Ort: FRAC Provence Alpes – Côte d’Azur
Zeit: bis 30. August 2014, Di – Sa 12-19 Uhr
Katalog: erscheint im Juni 2014 im Verlag Analogue, maison d’edition pour l’art Contemporain, 28 Euro
Internet: www.fracpaca.org
Stiftskirche Saint-Pierre-aux-Liens, Montée du Fort, 83140 Six-Fours-les-Plages
Galerie: Adrian Schiess wird von der Galerie nächst St. Stephan – Rosemarie Schwarzwälder in Wien repräsentiert