Mehr Transparenz wagen: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gewährt jetzt Einblicke in den schwierigen Umgang mit Werken der NS-Raubkunst.
Die große historische Holzvitrine im Foyer des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) fällt sofort ins Auge. Darin: Jede Menge Tafelsilber, Teekannen, Trinkbecher, Schalen, Saucieren oder Salzfässchen. Alle Stücke sind angelaufen und offenbar seit Jahrzehnten nicht mehr geputzt oder verwendet worden. Vergilbte Zeitungen auf den Regalböden deuten auf eine längst vergangene Zeit hin. Was da so prominent im Eingangsbereich eines der größten Kunstgewerbemuseen Deutschlands präsentiert wird, entstammt ehemals jüdischem Besitz, der während der NS-Diktatur beschlagnahmt wurde und nach Ausgleichszahlungen an die „Jewish Trust Corporation“ in den 1960er Jahren dem Museum übergeben wurde.
Seitdem wurden diese Objekte weder ausgestellt noch weiter wissenschaftlich erforscht. Ein dunkles Erbe, das bei den heute Verantwortlichen Scham, aber auch den Willen zur Aufarbeitung auslöst. Die Vitrine bildet den denkwürdigen Auftakt der Ausstellung „Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des MKG“.
Rund 100 weitere, bereits recherchierte Exponate sind samt Angaben über ihre früheren Besitzer in der in einem großen Ausstellungssaal konzentrierten Schau zu sehen. Auf orangefarbenem Fond sind prachtvolle chinesische Vasen, etruskische Kannen, großbürgerliche Möbel, Bronzestatuetten aus der Renaissance und eine Vielzahl weiterer antiker Funde oder Asiatika arrangiert. Exemplarische Schicksale prominenter Sammler, etwa des jüdischen Ehepaars Henry und Emma Budge, werden anhand von Wandtexten und Dokumenten nachvollziehbar gemacht.
Darüberhinaus wurden überall in der Dauerausstellung, wo Objekte mit einstmals oder heute fragwürdiger Provenienz präsentiert werden, orangefarbene „Warndreiecke“ angebracht, die den Besucher auf die Herkunfts-Problematik aufmerksam machen sollen. „Wir wollen zeigen, dass es wichtig ist, das Vorleben der Dinge im Museum zu prüfen. Wir sagen ganz bewusst, wir wollen nichts haben, was uns nicht gehört. Deshalb forschen wir auch nicht erst auf Anfrage sondern proaktiv“, betont Sabine Schulze, die Direktorin des MKG.
Silke Reuther, die Kuratorin der Schau, will aber auch Einblicke in die geradezu kriminalistische Arbeit einer Provenienzforscherin geben. Dazu gehört das Sichten und Auswerten von Beschriftungen, Etiketten, NS-Akten, Gestapo-Unterlagen, Auktionskatalogen, Geschäftsbüchern von Kunsthändlern, Inventarverzeichnissen, Zeitungsartikeln, Briefwechseln oder privater Fotoalben. Ebenso aber auch der Austausch mit Kollegen an anderen Häusern. Mit der Unterzeichnung der „Washingtoner Erklärung“ 1998 hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, Provenienzforschung für deutsche Museen verbindlich zu machen.
Die Hamburger Ausstellung begreift sich nicht als statische Bestandsaufnahme sondern ausdrücklich als „Work in Progress“. Dazu Silke Reuther: „Einzelne Objekte werden die Schau möglicherweise verlassen, weil über Wiedergutmachungsansprüche entschieden wurde. Andere werden hinzukommen, weil die Recherchen kontinuierlich weitergehen.“
Auf einen Blick
Ausstellung: Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des MKG
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Zeit: 12. September 2014 bis 1. November 2015. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
Katalog: 144 S., zahlreiche Abb., 19,90 Euro
Internet: www.mkg-hamburg.de