Gemeinsam wollen sie stark sein. CAHF (Contemporary Art Heritage Flanders) ist eine Plattform, auf der sich vier staatliche Museen in Flandern zusammengeschlossen haben: das S.M.A.K. in Gent, das Mu.ZEE in Ostende und die beiden Museen M HKA und Middelheimmuseum in Antwerpen. Trotz erheblicher Etatkürzungen in der jüngsten Vergangenheit stellen diese vier Museen ein beachtliches Ausstellungsprogramm auf die Beine – und sie kämpfen um ihre Zukunft. Die Autoren Nicole Büsing und Heiko Klaas haben jetzt alle vier Häuser besucht.
Im Süden von Antwerpen liegt der Nachtegalen-Park mit vielen Grünflächen, Wasserläufen und einem altem Baumbestand. Hervorgegangen aus der 1951 gegründeten Middelheim Biennale, eröffnete hier im Jahr 1989 das Middelheimmuseum.
Es ist eines der größten europäischen Open-Air-Museen. Seine über 400 Werke umfassende Sammlung wird in einem 30 Hektar großen Skulpturenpark präsentiert, der sommers wie winters geöffnet ist. Der Besucher begibt sich auf Schnitzeljagd. Ausgestattet mit einem Plan, macht er sich auf die Suche nach den Arbeiten internationaler Künstler wie Erwin Wurm, Henk Visch, Franz West, Henry Moore oder Auguste Rodin. Neben der ständigen Sammlung, die Werke von 1900 bis heute umfasst, veranstaltet das Middelheimmuseum regelmäßig Wechselausstellungen.
Zur Zeit wird dort eine Schau des in Berlin lebenden französisch-algerischen Künstlers Kader Attia gezeigt. Dafür steht „Het Huis“, ein luftiger Pavillon, zur Verfügung. Hier präsentiert Attia dreizehn neue Holzskulpturen. Er hat sie in enger Zusammenarbeit mit Handwerkern in Mali und im Kongo produziert. Sie basieren auf Fotografien von afrikanischen Kriegsversehrten, die im Ersten Weltkrieg von den europäischen Kolonialmächten als billig verfügbares Kanonenfutter eingezogen worden waren.
Auf der Wiese davor hat Attia die 2009 entstandene Installation Untitled („Al Aqsa“) mit 350 Schlagzeug-Becken aufgebaut, die einander leicht berühren. Der Besucher ist eingeladen, mit den Metallbecken einen Sound zu erzeugen. Bei Regen oder starkem Wind entsteht jedoch ganz von alleine ein leises, kontemplatives Klirren, das unter Umständen zu einer lauten und bedrohlichen Kakophonie anschwellen kann.
Neben der akustisch-poetischen Komponente hat die Arbeit aufgrund des Titels, der auf die in Jerusalem befindliche, drittwichtigste Kultstätte des Islam anspielt und so den Nahostkonflikt in Erinnerung ruft, auch eine politische Dimension.
Das Schlaginstrument, das wir im Westen so gerne mit Jazz, Percussion, klassischer Musik, Rock oder sogar Heavy Metal assoziieren, ist in Wirklichkeit ein ostasiatischer Immigrant. Erfunden wurde es vor rund 5.000 Jahren in China. Attia erweist sich einmal mehr als tief schürfender Erforscher verschütteter interkultureller Traditionslinien und kritischer Rechercheur subtiler Bedeutungsverschiebungen zwischen Orient und Okzident, Gegenwart und Vergangenheit.
Eine weitere Ausstellung veranstaltet das Middelheimmuseum zur Zeit in Zusammenarbeit mit der Extra City Kunsthal Antwerpen. An gleich zwei Ausstellungsorten versammelt die Gruppenausstellung „Allegory of the Cave Painting“ zeitgenössische Künstler, deren Arbeiten zu prähistorischen Höhlenmalereien in Bradshaw, Australien in Bezug gesetzt werden.
Diese weltweit einzigartigen „lebenden Bilder“ zeichnen sich dadurch aus, dass die im Schattenreich der Höhle verwendeten Farben aus lebenden Organismen wie Pilzen und Bakterien bestehen, die sich seit der Entstehung der Zeichnungen kontiniuerlich erneuern. Arbeiten von über 60 Künstlern, darunter Ann Veronica Janssens, Dan Graham, Tacita Dean, Harun Farocki oder Ciprean Muresan, untersuchen Themen wie kunsthistorische Mythenbildung, Ewigkeit, Vergänglichkeit, Licht und Schatten, belebte und unbelebte Formen von Materie.
Zurück in die Innenstadt von Antwerpen. In der Nähe der Schelde liegt das 1987 eröffnete M HKA (Museum for Heedendaagse Kunst). Der Architekt Michel Grandsard transformierte einen alten Kornspeicher in einen Museumsbau, den er zehn Jahre später noch um einen Erweiterungsbau ergänzte. Direktor Bart de Baere präsentiert zur Zeit unter dem Titel „Panamarenko Universum“ eine umfassende Schau des aus Antwerpen stammenden Künstlers, Jahrgang 1940.
Bekannt geworden ist der als Henri Van Herwegen geborene Panamarenko in den 1960er Jahren zunächst mit Performances, Happenings und Aktionen im Stadtraum. Später dann betätigte er sich als Konstrukteur fantastischer Maschinen, Flugobjekte und Unterwasserfahrzeuge.
In einer Zeit, als die bemannte Raumfahrt ihren Höhepunkt erreichte und die Concorde in drei Stunden den Atlantik überquerte, entwarf er ganz simple Dinge wie Ein-Mann-Jets, von Insektenflügeln inspirierte Fluggeräte oder Propeller zum Umschnallen – und regte so auf humorvolle Art und Weise zum Nachdenken über die Rasanz des technischen Fortschritts an. Kein Leonardo da Vinci, vielmehr ein Poet, eine Art Jules Verne der bildenden Kunst, der den alten Menschheitstraum vom Fliegen in seine Kunst integrierte. Panamarenkos Werke sind von einem unbändigen nahezu kindlich-naiven Optimismus getragen, der gleichzeitig von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Schau versammelt Skulpturen, Objekte, Konstruktionszeichnungen, aber auch dokumentarisches Material wie Skizzen und Plakate, Einladungskarten, Notizen und Briefe.
Somit vermittelt sie einen profunden Eindruck in den tragikomischen Kosmos und die schräge Denkweise des scheuen Belgiers mit dem Hang zum Exaltierten. Panamarenko selbst hat sich, für einen Künstler sehr ungewöhnlich, 2005, mit der Vollendung seines 65. Lebensjahres, aus dem aktiven Schaffensprozess zurückgezogen und sich (zumindest einstweilen) in den Ruhestand verabschiedet.
Von Antwerpen sind es nur 70 Autominuten nach Ostende, dem größten Seebad Belgiens. Apartmenthäuser aus den 1960er und 1970er Jahren dominieren die Strandpromenade, in einer Fußgängerzone liegt etwas versteckt das James Ensor-Haus. Der bekannteste Maler der Stadt ist gleichzeitig prominent in der Sammlung der Mu.ZEE vertreten. Das modernistische, jedoch etwas verwinkelte Museum ist in den Räumen eines ehemaligen Kaufhauses aus den späten 1940er Jahren beheimatet.
Hier ist zur Zeit die Ausstellung „De Zee“ (Das Meer) zu sehen. Im Sommer 2013 hat Belgiens bekanntester Kurator, der Ex-Documenta-Leiter Jan Hoet, das Konzept dieser Ausstellung grob skizziert. Im Februar 2014 ist er verstorben. Die Eröffnung der Schau hat er nicht mehr erlebt. Das Kuratorenteam um Phillip Van den Bossche versteht die Ausstellung als „salut d’honneur“, also als letzten Ehrengruß und Hommage an Hoet.
Van den Bossche hat noch einmal zahlreiche von Hoets Lieblingskünstlern versammelt, die sich im weitesten Sinne mit dem Themenkreis Meer, Wasser, Horizont, Unendlichkeit, Schiffbruch und Untergang beschäftigen. Da ist eine großformatige, pastellige Strandszene von Alex Katz, ein schlichtes Seestück von Gerhard Richter, der unverzichtbare, überdimensionale Muscheltopf „Grande casserole de moules“ (1966) von Marcel Broodthaers oder eine vielteilige Schriftarbeit von Hanne Darboven. Diese umfangreiche Hommage an Jan Hoet und das Meer versammelt rund 150 Künstler. Einige Arbeiten sind auch an Außenstationen in der Stadt installiert. So wird etwa ein großer Leuchtkasten von Rodney Graham, der den Künstler selbst als Leuchtturmwärter der 1950er Jahre zeigt, im Kulturzentrum „De Groote Post“ präsentiert.
Im selben Raum hängen auch die „Matrozen van de Aurora“ (1993), drei S/W-Porträts von Seeleuten des aus der Geschichte der Oktoberrevolution bekannten russischen Panzerkreuzers, die die zur Zeit wiederentdeckte belgische Malerin Ilse D’Hollander (1968-1997) im Jahre 1993 gemalt hat. Bill Violas 1992 für die Documenta IX entstandene Videoarbeit „The Arc of Ascent“, sie zeigt minutenlang das Eintauchen eines Männerkörpers in schwarzes Wasser, wird in einem seit fast 30 Jahren leerstehenden Kinosaal gezeigt.
Am Strand von Ostende, direkt vor dem beeindruckenden Säulengang mit abbröckelndem Charme des Grandhotels Thermae Palace, hat der in Gent lebende Belgier Kris Martin den Umriss des berühmten Jan van Eyck-Altars aus der Kathedrale von Gent aus Metall nachgebaut. Wie durch ein Fenster schaut der Betrachter durch das Rahmengerüst des Flügelaltars auf das Meer, den Horizont und die Unendlichkeit.
Letzte Station der Flandern-Tour ist das S.M.A.K. in Gent. Auch hier begegnet man erneut Jan Hoet, denn er war Gründer und Direktor des Museums und hat vor allem in der Sammlung seine Spuren hinterlassen. Zur Zeit präsentiert S.M.A.K.-Direktor Philippe van Cauteren die Ausstellung „Sculptures & Drawings 2000-2014“ von Berlinde de Bruyckere. Die 1964 in Gent geborene Künstlerin bespielte im Jahr 2013 den belgischen Pavillon der Biennale Venedig. Ihre dort gezeigte Arbeit „Kreupelhout“, die akribische Nachbildung eines waagerecht gewachsenen Baumes aus Wachs, Stoffen und anderen Materialien, steht, etwas vergrößert, auch im Zentrum ihrer Schau im S.M.A.K.
Berlinde de Bruyckere ist bekannt für ihre mit existenzieller Unmittelbarkeit aufgeladenen Skulpturen aus Haut, Fell und Schweifhaar von Pferden, aus nachgeformten Geweihen, menschlichen Körpern und Gliedmaßen. Bei Privatsammlern und in Institutionen hoch geschätzt, verkörpert de Bruyckere eine radikale und oft schonungslose Form der Bildhauerei, die Extreme ausreizt und in ihrer ganz eigenen Bildsprache an mittelalterliche Darstellungen sakraler Themen, aber auch an den Reliquienkult der katholischen Kirche anknüpft. Flankiert werden die Skulpturen von Zeichnungen, Aquarellen und Skizzen, die ebenso verstörend wie ästhetisch sind.
Am Ende der Flandern-Tour steht die Erkenntnis, dass die Museumsarbeit in den vier Häusern des CAHF bisher auf sehr hohem Niveau funktioniert. Die Kooperationsplattform CAHF versteht sich dabei keineswegs als reines Kostensparmodell. Worauf es den vier Häusern vielmehr ankommt, ist die inhaltlich-programmatische Bündelung ihrer Kräfte, die Entwicklung gemeinsamer Sammelstrategien und die Konzeption häuserübergreifender Ausstellungsprojekte auch in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern.
Um Ankäufe zu tätigen, Ausstellungen, Kataloge und ein anspruchsvolles Begleitprogramm weiterhin engagiert produzieren zu können, muss von Seiten des Staates ein gewisser Etat zur Verfügung stehen. Knappe Mittel lassen sich durch weniger Ausstellungen und verlängerte Laufzeiten eine gewisse Zeit lang kompensieren. Auf Dauer leidet darunter aber das Profil der Häuser.
Die neue belgische Mitte-Rechts-Regierung unter Beteiligung der flämischen Separatisten ist Anfang Oktober vereidigt worden. Die rechtspopulistische Partei N-VA (Neu-Flämische Allianz) stellt nun den Innen- und den Finanzminister. Mit drastischen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben hat sie in den letzten Wochen wütende Demonstrationen und Ausschreitungen ausgelöst. Für den 15. Dezember ist in Belgien ein Generalstreik angekündigt. Man muss darauf gefasst sein, dass sich die weitere haushaltspolitische Entwicklung zunehmend negativ auf die ohnehin schon stark eingeschränkten Handlungsspielräume der Museen auswirkt.
Auf einen Blick
Middelheimmuseum Antwerpen
Kader Attia, bis 29.3.2015
Allegory of the Cave Painting. The Other Way Around, bis 29.3.2015
www.middelheimmuseum.be
M HKA Antwerpen
Panamarenko Universum, bis 22.2.2015
www.muhka.be
Mu.ZEE Ostende
De Zee/Das Meer – salut d’honneur Jan Hoet, bis 19.4.2015
www.muzee.be
S.M.A.K. Gent
Berlinde de Bruyckere: Sculptures & Drawings 2000-2014, bis 15.2.2015
www.smak.be