Kunst zwischen Traum und Wirklichkeit: Das ARoS Kunstmuseum im dänischen Aarhus präsentiert eine grandiose Schau mit Multimedia-Installationen des kanadischen Künstlerduos Janet Cardiff und George Bures Miller.
Wer auf der letzten Documenta war, wird sich sicherlich erinnern. Im Kasseler Hauptbahnhof konnte man einen iPod und Kopfhörer ausleihen. Derart ausgestattet, nahm einen das kanadische Künstlerduo Janet Cardiff, 57, und George Bures Miller, 54, mit auf einen Spaziergang über das Bahngelände.
Während man auf den kleinen Monitor schaute, sah man bewegte Bilder von genau den Orten, an denen man sich gerade befand. Angeleitet von Cardiffs Stimme, durchstreifte man den Bahnhof, und es verschränkten sich die Realitäten. Welchen Bildern sollte man mehr trauen? Der eigenen Wahrnehmung im Hier und Jetzt oder der inszenierten Wirklichkeit auf dem kleinen Bildschirm? Cardiff und Bures Miller sind bekannt für ihre „Walks“ oder „Video Walks“ – den neuesten haben sie für die gerade eröffnete Fondation Louis Vuitton in Paris entwickelt.
Das Kunstmuseum ARoS im dänischen Aarhus zeigt jetzt einen ganz anderen Aspekt ihres breit gefächerten Werks. Die Ausstellung „Something Strange This Way“, deren Titel sich aus dem Lockruf eines Jahrmarktansagers, zu Deutsch in etwa: „Hereinspaziert!“, ableitet, versammelt sechs teils spektakuläre Multimedia-Installationen aus den Jahren 2001 bis 2010.
Der Titel kommt nicht von Ungefähr. Cardiff und Miller haben einen Parcours aufgebaut, der das Untergeschoss des Museums zu einer Art Jahrmarkt werden lässt. Doch Vorsicht: Wie auch auf echten Jahrmärkten ist nicht alles Dargebotene nur harmlos und vergnüglich.
Cardiff und Miller sind bekannt dafür, den Betrachter mit großer suggestiver Kraft und unter Einsatz theatraler Mittel und technischer Finessen in artistische Paralleluniversen voller Illusionen, Doppeldeutigkeiten und Fallstricke zu entführen. Vergnügliches und Schöngeistiges, aber auch Morbides, Unheimliches und Gesellschaftskritisches haben sie in dieser Schau perfekt miteinander abgemischt.
Los geht es mit der Arbeit „The Carnie“. Ein Kinderkarussell aus den 1940er Jahren haben die Künstler mittels ausgefeilter Lichtregie und weiteren kleinen surrealen Eingriffen in ein zwielichtiges Fahrgeschäft umgewandelt.
Die an Walt-Disney-Figuren erinnernden Karusselltiere tragen Lautsprecher im Maul, aus denen unheilvolle Musik kommt, die von wimmernden Kinderstimmen unterlegt ist. „The Carnie“ ist eine Art Anti-Disney-Installation, die gnadenlos mit den Verführungsmechanismen der Unterhaltungsindustrie abrechnet.
Vorbei an „The Killing Machine“, einer von Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ inspirierten Folterapparatur mit komischen Elementen, etwa einer Discokugel, gelangt man durch dunkle Gänge zum begehbaren „Storm Room“. Hier zeigen Cardiff und Miller, mit welch überwältigender Suggestionskraft sie Räume bauen können. Der Besucher findet sich unvermittelt in der aufgegebenen und schäbigen Praxis eines japanischen Zahnarztes wieder. Während man noch die wenigen Überbleibsel der früheren Nutzung betrachtet, zieht ein heftiges Gewitter auf. Cardiff und Miller gelingt es, die Illusion perfekt zu machen: Die Deckenleuchte flimmert, Regen prasselt an die Fenster, und am Ende regnet es sogar durch die Decke.
Im weiteren Verlauf der Schau erhalten wir noch Einblick in die eremitenartige Klause eines einsamen Opernliebhabers, um ganz am Ende mit einer grandiosen Klangarbeit, dieses Mal von Janet Cardiff allein, wieder ins Helle geschickt zu werden.
„The Forty Part Motet“ besteht aus 40 aufgeständerten Lautsprechern. Jeder davon ist der individuellen Stimme eines Chorsängers zugeordnet. Gemeinsam singen sie eine englische Motette aus dem 16. Jahrhundert. Der Besucher kann sich entscheiden, ob er dem überwältigenden Chorwerk von einer Bank aus lauschen will, oder aber ganz nah an die Lautsprecher herantritt, um jede Stimme einzeln wahrzunehmen. Janet Cardiff und Georges Bures Miller, die seit 1981 ein Paar sind, aber erst seit 1995 auch künstlerisch kooperieren, demonstrieren mit dieser bis ins kleinste Detail stimmigen Austellung ihr ganzes Können: Nämlich den Betrachter mitzunehmen auf eine imaginäre Reise durch Zeit und Raum, wie er sie bisher vielleicht nur aus nächtlichen Träumen oder Alpträumen kannte. Ein für manchen vielleicht ambivalentes Erlebnis, auf das man sich aber unbedingt einlassen sollte.
Auf einen Blick
Ausstellung: Janet Cardiff und George Bures Miller – Something Strange This Way
Ort: Aros, Aarhus Kunstmuseum, Dänemark
Zeit: bis 19. April 2015. Di-So 10-17 Uhr. Mi 10-22 Uhr. Mo geschlossen. 24., 25., 31.12. und 1.1. geschlossen
Katalog: Hatje Cantz Verlag, in dänischer oder englischer Sprache, 200 S., 118 Abb., 39 Euro (Museum), 35 Euro (im deutschen Buchhandel)
Internet: www.aros.dk, www.cardiffmiller.com