Vier Jahre Public-Private-Partnership zwischen den Hamburger Deichtorhallen und der Privatsammlung Falckenberg: Die Ausstellung „Selbstjustiz durch Fehleinkäufe“ zieht jetzt Zwischenbilanz und räumt mit alten Vorurteilen auf.
Eine schwerbepackte Frau auf dem Heimweg vom Einkaufen. Bis auf eine rote Schärpe ist sie nackt und schaut etwas unzufrieden und melancholisch drein.„Selbstjustiz durch Fehleinkäufe“ lautet der ironische Titel dieses 1984 entstandenen Gemäldes von Martin Kippenberger. Bei der Dargestellten handelt es sich wohl um die Künstlerkollegin Rosemarie Trockel, mit der „Kippy“ damals kurzzeitig liiert war. Doch deren Vorliebe für Discounter-Ware und sein Faible für Kaviar und andere Köstlichkeiten passten wohl nicht so recht zusammen. Man trennte sich wieder, und der Maler verarbeitete die Affäre auf seine Weise. Der Titel darf natürlich auch als kleiner Seitenhieb auf die Fehlgriffe von Kunstsammlern gedeutet werden.
Gekauft hat der Hamburger Sammler Harald Falckenberg, 71, dieses programmatische Werk erst im letzten Jahr. Nun hängt es als titelgebendes Bild in der aktuellen Sammlungspräsentation in den Phoenix-Hallen in Hamburg-Harburg, der Dependance der Deichtorhallen. Zu sehen sind dort rund 140 Neuerwerbungen von 60 Künstlern, die in den Jahren 2011 bis 2014 erfolgt sind. Deichtorhallenintendant Dirk Luckow rechtfertigt die Kaperung des Bildtitels als Ausstellungstitel als einen „kreativen Diebstahl für eine außergewöhnliche Präsentation“. Harald Falckenberg fragt schlagfertig zurück: „Wer beklaut hier wen?“
Seit 1994 hat der Hamburger Unternehmer eine international beachtete Sammlung von Gegenwartskunst mit mehr als 2.100 Werken aufgebaut, darunter Schlüsselarbeiten von Mike Kelley und Paul McCarthy, Jonathan Meese und Christian Jankowski, große Konvolute von Außenseiterkünstlern wie Öyvind Fahlström oder Paul Thek, aber auch eher stille, konzeptuelle Arbeiten etwa von Hanne Darboven oder der Künstlergruppe General Idea. Mit dieser Präsentation möchte Falckenberg aber auch ein Vorurteil aus der Welt schaffen: Seine Sammlung wird fast unisono als laut, ungestüm und rebellisch bezeichnet, dabei umfasste sie von Anfang an auch einen großen Bestand an Konzeptkunst. „Vielfach wurde angenommen, in der Sammlung Falckenberg gehe es nur um Kunst als Waffe gegen das Ungemach der Welt“, erläutert Dirk Luckow. Doch wer genau hinsehe, finde hier auch viel Ideenkunst statt bloß Sex and Drugs and Rock ’n‘ Roll.
Die Ausstellung macht deutlich, was bisher geflissentlich übersehen wurde: Gerade in den letzten Jahren hat Falckenberg auch die konzeptuelle Schwarz-Weiß-Fotografie für sich entdeckt. Die eher spröde Serie „Park City“ des Konzeptfotografen Lewis Baltz ist ebenso vertreten wie überwältigende Street-Photography-Konvolute der US-Amerikaner Lee Friedlander, Dennis Hopper und Jerry Berndt. Frühe Arbeiten von Konzeptkunstpionieren wie Art & Language finden sich bei den Neuerwerbungen ebenso wie eine politische Arbeit des Kaliforniers John Baldessari gleich im Eingangsbereich. Harald Falckenberg legt Wert darauf, klarzustellen, dass Konzeptkunst durchaus auch politisch sein kann: „Die Counterculture lässt sich ohne die Konzeptkunst gar nicht begreifen. Diese bildet ihre absolute Basis.“
Seit 2011 kooperieren die Deichtorhallen mit der Sammlung Falckenberg. Privates Sammeln und öffentliches Ausstellen greifen in den Phoenix-Hallen Hand in Hand. Zumindest bis 2023 soll sich daran nichts ändern. So ist es vertraglich festgelegt. Harald Falckenberg definiert die Kooperation so: „Es ist kein Sammlermuseum, weil die Sammlungen Falckenberg und F.C. Gundlach hier nicht ständig präsentiert werden. Es ist ein Ausstellungshaus mit Sammlungen als Basislager und Ideengeber.“ Eine Konstellation, mit der er ganz offensichtlich sehr glücklich ist.
Auf einen Blick
Ausstellung: Selbstjustiz durch Fehleinkäufe. Eine Auswahl von Neuerwerbungen der Sammlung Falckenberg 2011-2014
Ort: Deichtorhallen Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg
Zeit: 1. März bis 25. Mai 2015. Besuch nur im Rahmen einer öffentlichen Führung möglich. Do und Fr 18 Uhr. Sa 12 und 15 Uhr. So 12, 15 und 17 Uhr. Anmeldung erforderlich unter www.deichtorhallen.de/buchung
Katalog: keine Publikation
Internet: www.deichtorhallen.de/sammlungfalckenberg