Noch bis Ende Mai dreht sich hier alles um den Körper: Das CRAC in der malerischen, südfranzösischen Hafenstadt Sète zeigt seit seiner Eröffnung 1997 zeitgenössische Avantgardekunst und neue, junge Positionen. Zur Zeit sind in der ehemaligen Fischkühlhalle vier Künstlerinnen in Einzelausstellungen zu sehen.
Malerisch liegen die Häuser, Restaurants und kleinen Läden am Canal Royal im Zentrum der 45.000-Einwohnerstadt Sète im Départment Hérault, 32 km südwestlich von Montpellier. Der Fischereihafen, die Austernzucht und der Tourismus spielen in dem zwischen dem Mittelmeer und dem „Bassin de Thau“ gelegenen Städtchen in der Region Languedoc-Roussillon eine große Rolle. Aber auch die Kultur prägt Sète, die Geburtstadt des Schriftstellers Paul Valéry und des Musikers Georges Brassens. Beide sind dort mit eigenen Museen repräsentiert.
Doch in Sète kann man auch zeitgenössische Kunst auf internationalem Niveau entdecken, und zwar im Centre Régional d`Art Contemporain Languedoc-Roussillon (CRAC LR). Direktorin Noëlle Tissier ist gleichzeitig auch die Gründerin des ambitionierten Hauses. Sie entwickelte in den 1980er und 1990er Jahren in Sète Ausstellungen, Festivals und ein Artist-in-Residence-Programm. Als Ausstellungsort entdeckte sie damals ein altes, leerstehendes Kühlhaus für Fisch am Quai Aspirant Herber am Canal Royal. Madame Tissier überzeugte den damaligen Bürgermeister, ein Centre Régional d’ Art (CRAC) zu gründen, also eine Art Kunsthalle für experimentelle Wechselausstellungen. Der Pariser Architekt Lorenzo Piqueras baute das Kühlhaus mit seiner Betonfassade und dem herauskragenden Dach behutsam zu einem ebenso großzügigen wie funktionalen Ausstellungsort mit zwei Etagen um. 1997 wurde das CRAC eröffnet und zeigte bisher über 600 künstlerische Positionen.
Zur Zeit sind in dem viel beachteten Haus vier Einzelausstellungen zu sehen, die sich in den Medien Malerei, Zeichnung, Fotografie, Installation und Video mit dem Thema Körper auseinandersetzen.
Die 1953 im kenianischen Nairobi geborene Pariserin Sylvie Fanchon hat ihre Ausstellung „Chair“ („Fleischfarben“) betitelt. Sie zeigt eine Serie neuerer Bilder („Tableaux_scotch“) und Wandarbeiten, die sie mit Hilfe von breiten Scotch-Klebebändern hergestellt hat. Auf schwarzem Fond entstehen reduzierte, geometrische Muster in unterschiedlich nuancierten Hauttönen. Man erkennt die individuellen Abrisse des Tapes, die den Bildern ihre Lebendigkeit verleihen. Die Farbe steht für Fanchon als Metapher für den Körper.
Eine ganz andere Art der Malerei betreibt die Franko-Amerikanerin Nina Childress, geboren 1961 im kalifornischen Pasadena. Sie studierte in Paris und trat in den 1980er Jahren zunächst als Musikerin in diversen Punk-Formationen in Erscheinung. Childress, die mittlerweile in vielen französischen Museumsssammlungen vertreten ist, nimmt Vorlagen aus Film, Theater, Oper, Pantomime und Varieté zum Ausgangspunkt ihrer Malerei. Ihre Ausstellung „Magenta“ versammelt teils in fluoreszierenden Farben gemalte Bühnenszenen mit Akteuren, Tänzern, Vorhängen und Skulpturen. Dominante Farbe ist hier paradoxerweise Grün, eine Farbe, die in Frankreichs abergläubischer Theaterwelt eigentlich als Tabu gilt, weil Molière sie trug, als er starb. Im zweiten Raum zeigt Nina Childress Bilder, die sie nach Filmstills aus Nudistenfilmen der späten 1950er Jahre gemalt hat. Trotz aller organisierten Freizügigkeit vermittelt sich die Spießigkeit der damaligen Zeit – kurz vor dem Durchbruch der Hippiebewegung – anhand der dargestellten Freizeitbeschäftigungen wie Kaffeekränzchen, Vorlesestunde und gemeinschaftlichem Liedersingen. Im dritten Raum schließlich zeigt Childress einen surreal wirkenden, auf eine Leinwand projizierten Film von einer Friseurmeisterschaftsparade aus den 1970er Jahren. Unterlegt mit dem Gesang des lyrischen Tenors Alain Vanzo, defilieren Modelle mit teils turmhoch auftoupierten Haaren.
Nackte Körper dann auch in der Schau „Le Bleu du Ciel“ („Der blaue Himmel“) der Fotografin und Performance-Künstlerin Enna Chaton, Jahrgang 1969, die zeitweise auch in Sète lebt. Sie fotografiert ihre Modelle, ausgestattet mit diversen aus der Natur stammenden Objekten, teils im Studio, teils draußen. Die Posen sind natürlich und unprätenziös. Einige ihrer Fotos präsentiert Enna Chaton ganz klassisch gerahmt, andere wiederum installativ zusammen mit dreidimensionalen Elementen im Raum. Körper und Objekte verschmelzen so zu raumgreifenden skulpturalen Erscheinungen.
Ergänzt hat Noëlle Tissier das Trio noch um eine Entdeckung, die sie im ersten Stock zeigt: Die 1958 geborene Pariserin Mïrka Lugosi stammt aus Rumänien. In ihrer Ausstellung „Figures“ zeigt sie am Surrealismus geschulte Zeichnungen, Aquarelle, Fotografien und Filme mit erotischen und und grotesken Komponenten. Pflanzen kombiniert sie mit zarten, grazilen Frauenkörpern, märchenhafte Traumwelten treffen auf Fantasy-Elemente, Erzählerisches wird kontrastiert mit monochromen, grafischen Partien oder minimalistisch wirkenden Holzstäben.
Alles in allem: Ein abwechslungsreicher, intensiver Ausstellungs-rundgang mit vielen Entdeckungen zu den Themen Körper und Identität, Bild und Abbild, Erzählung und Abstraktion. Das CRAC in Sète – ein Ort, den man zwischen Ausflügen an den Strand, kulinarischen Genüssen und Laisser-faire für einen Besuch unbedingt einplanen sollte.
Auf einen Blick
Ausstellungen:
Sylvie Fanchon: Chair, bis 31. Mai 2015
Nina Childress: Magenta, bis 31. Mai 2015
Enna Chaton: Le Bleu du Ciel, bis 31. Mai 2015
Mïrka Lugosi: Figures, bis 3. Mai 2015
Ort: Centre Régional d’Art Contemporain Languedoc-Roussillon (CRAC LR)
Zeit: Di-Fr 12 Uhr bis 19 Uhr, Sa und So 14-19 Uhr
Internet: crac.languedocroussillon.fr