Die Widerstandskraft einer Malerei des Körperlichen im digitalen Zeitalter: Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zeigt jetzt die erste große europäische Retrospektive der in Amsterdam lebenden südafrikanischen Malerin Marlene Dumas – provokant und berührend zugleich.
Marlene Dumas, 1953 im südafrikanischen Kapstadt geboren und seit 1976 in Amsterdam lebend, gehört zu den weltweit wichtigsten Repräsentanten einer ästhetisch herausfordernden, aber oft genug auch politisch widerständigen Malerei und Zeichenkunst, die figurative und abstrakte Elemente auf ganz eigentümliche Art und Weise miteinander kombiniert.
Bekannt geworden ist sie unter anderem mit ihrer Ende der 1990er Jahre begonnenen, sexuell expliziten Serie „Stripping Girls“, für die sie gemeinsam mit dem Fotografen Anton Corbijn Peep Shows und Nachtklubs in Amsterdams Rotlichtbezirk besuchte. Repräsentationen des Körpers sowie die existenziellen Menschheitsthemen Liebe, Sexualität, Tod, Gewalt und Schuld charakterisieren ihr Werk. Konzeptuelle Strategien mischen sich bei ihr mit psychologischer Aufladung und durchaus auch humorvoller und selbstironischer Distanzierung.
Mut bewies Marlene Dumas im letzten Jahr, als sie auf der Manifesta 10 in Sankt Petersburg Teile ihrer Serie „Great Men“ präsentierte. Die Serie zeigt 16 mit zarter Hand gezeichnete Porträts berühmter Homosexueller, die in ihrem Leben Verfolgung und Ausgrenzung erlitten haben. Darunter Schriftsteller wie Oscar Wilde und Tennessee Williams, aber auch der Tänzer Rudolf Nurejew und der deutsche Filmemacher Rainer Werner Fassbinder. Präsident Putin hatte gerade ein Jahr zuvor das umstrittene Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ unterzeichnet. Mit ihren Zeichnungen wollte Dumas, wie sie der New York Times sagte, wenigstens ein wenig zu einem „Mentalitäts-Wandel“ beitragen. Außerdem seien es immer wieder schwule Männer gewesen, die sie in ihrer Karriere und in ihrem Denken beeinflusst hätten.
Eine große europäische Retrospektive ihrer Arbeiten war eigentlich längst überfällig. In den USA fand eine Ausstellungstournee durch drei große Museen in Los Angeles, New York und Houston bereits 2008 statt. Europa brauchte dafür etwas länger, wartet aber jetzt mit einem umso breiter aufgestellten Ausstellungsprojekt auf. Nach der Auftakt-Station im Amsterdamer Stedelijk Museum war die Ausstellung in der Tate Modern in London zu sehen.
Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bildet jetzt den Abschluss der europäischen Ausstellungstournee. Jede der drei Stationen wartete mit einer besonderen Sektion auf, die nur dort gezeigt wurde. In Amsterdam war das ein großes Konvolut mit konzeptuellen Collagen aus dem Frühwerk sowie die umfangreiche Zeichnungs-Serie „Models“. Die Londoner Station konzentrierte sich etwas stärker auf die politischen Aspekte in Dumas‘ umfangreichem Œuvre.
Malerische Auseinandersetzungen mit der Apartheid in Südafrika, aber auch Bilder von Ulrike Meinhof oder Osama bin Laden sind aber auch in Riehen zu sehen. Daneben eine aus dem Jahre 1995 stammende Serie mit monumentalen Frauenfiguren, mit der Dumas damals auf der Biennale Venedig für Aufsehen gesorgt hat. Aus der Kunstgeschichte bekannte Darstellungen der Maria Magdalena dienten ihr dafür ebenso als Vorlage wie Aufnahmen des farbigen Supermodels Naomi Campbell.
In der von Theodora Vischer kuratierten Ausstellung in Riehen steht jedoch besonders der Gebrauch des Quellenmaterials im Vordergrund. In einem „Study Room“ sind in zwei Vitrinen Zeitungsausschnitte, Magazinseiten, Polaroids, Notizen, kleinere Gemälde und Vorzeichnungen sowie weitere Materialien aus dem umfangreichen Fundus, den Dumas über Jahrzehnte zusammengetragen hat, zu sehen.
Der bedeutungsvoll aufgeladene Titel der Schau „The Image as Burden“ bezieht sich auf ein 1993 entstandenes, mit 40 x 50 cm eher kleinformatiges Gemälde. Es zeigt einen kräftig wirkenden Mann, der eine ohnmächtige, womöglich bereits tote weibliche Figur auf den Armen hält. Das Gesicht der Frau ist bereits blau angelaufen, ihr Kopf sackt nach hinten weg und lässt die Umrisse ihres Schädels durchscheinen.
Marlene Dumas ist bekannt dafür, dass sie niemals nach der Wirklichkeit oder dem Modell sondern stets nach medialen Vorlagen malt. Sie verfügt über ein schier unendliches Archiv mit Fotos, Filmen, Magazin- und Zeitungsausschnitten. Ihre Quellen legt sie keineswegs immer offen. In diesem Fall aber hat sie es getan. Das an eine klassische Pietà-Szene erinnernde Bild ist inspiriert von dem 1936 gedrehten Hollywood-Film „Camille“ mit Robert Taylor und Greta Garbo in den Hauptrollen. Wenn man so will, führt uns Dumas hier den von Kunst- und Filmgeschichte, Werbung, Fernsehen und Internet ausgebeuteten, vom Massenpublikum bis zur totalen Erschöpfung hin durchkonsumierten weiblichen Körper als ausgelaugten Fetisch des visuellen Zeitalters vor. Am Ende seines Lebenszyklus angekommen, bleibt seinem männlichen Counterpart anscheinend nur noch die Aufgabe, ihn einigermaßen würdevoll aus dem Bild herauszutragen.
Wie sehr auch das Private immer wieder Eingang in ihre Malerei findet, stellt Dumas gleich im ersten Saal der Schau unter Beweis. Das 1994 entstandene Gemälde „The Painter“ basiert auf einem Foto ihrer Tochter. Es zeigt ein maskenhaft wirkendes Kleinkind, das womöglich etwas Traumatisches erlebt hat: Seine Hände sind bis zu den Unterarmen blutrot gefärbt, der Bauch erscheint in wässrigen Blautönen. Und auch das 2009 entstandene Selbstporträt der Malerin mit dem von Francisco de Goyas berühmter Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ abgeleiteten Titel „The Sleep of Reason“ ist alles andere als idealisierend. Dumas porträtiert sich als eine nachdenkliche und in sich gekehrte Frau, der der Ernst der Lage ins Gesicht geschrieben zu sein scheint.
Was passiert mit dem Ursprungsbild im Akt der Malerei? Inwiefern befreit sich das gemalte Bild von seiner im Alltag gefundenen medialen Vorlage? Welche Rückkopplungseffekte entstehen? Was wird durch diesen Akt der Transformation gewonnen? Und was bleibt dabei womöglich auf der Strecke? Grundsätzliche Fragen dieser Art beschäftigen Marlene Dumas, die bereits Mitte der 1980er Jahre ihren künstlerischen Durchbruch schaffte, schon seit dem Beginn ihrer Karriere.
Die Ausstellung in Riehen gibt dem Betrachter jetzt die einmalige Gelegenheit, ihr beeindruckendes Werk in chronologischer Abfolge zu erfahren und das sonst unter Verschluss gehaltene umfangreiche Quellenmaterial der Künstlerin in seiner ganzen Tiefe zu ergründen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Marlene Dumas. The Image as Burden
Ort: Fondation Beyeler, Riehen bei Basel
Zeit: bis 6.9.2015
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 196 S., 258 Illustrationen, 39,50 CHF (Museum), 38 Euro (dt. Buchhandel)
Internet: www.fondationbeyeler.ch
www.marlendumas.nl