Mit der Berlin Art Week und der 8. abc art berlin contemporary wurde jetzt in der Hauptstadt die Herbstsaison eröffnet. Eine innovative Ausstellungsarchitektur auf der abc sorgte für neu entfachte Schaulust und tiefenentspannte Kunstdialoge.
Berlin. Es braucht immer wieder einen Anlass in Berlin, damit der Kunstmotor auf vollen Touren läuft. So wurden in der vergangenen Woche wieder einmal alle Kräfte in der Kunstszene der Hauptstadt gebündelt, um Sammlern, Kuratoren, Künstlern, Museumsleuten, Kunstjournalisten und anderen Interessierten ein dichtes Programm mit vielen Ausstellungseröffnungen, Happenings, Performances und anderen Get-togethers zu liefern. Die Berlin Art Week bündelt die unterschiedlichsten Museen, Kunstvereine, Ausstellungshäuser und Galerien der Kunstmetropole Berlin und setzt den Startschuss für die Herbstsaison auf dem dortigen Kunst- und Ausstellungsmarkt. Für internationales Flair und eine Prise Glamour im stets etwas selbstverliebten Berlin sorgten Top-Sammler wie die Turinerin Patricia Sandretto Re Rebaudengo, die gezielt ihre Lieblingsgalerien in Berlin-Mitte ansteuerte, aber auch die nur für einen kurzen Zwischenstopp eingeflogene Star-Fotografin Cindy Sherman. Sie legte bei der Einrichtung ihrer Einzelausstellung im me Collectors Room Berlin der Sammlung Olbricht in der Auguststraße letzte Hand an und war der Ehrengast beim Sammlerdinner, bevor sie gleich am nächsten Morgen wieder Richtung Los Angeles entschwand. Dort galt es schließlich, die Eröffnung des spektakulären 11.000 Quadratmeter großen Sammlermuseums von Eli und Edythe Broad zu feiern.
Berlin ist eben nicht immer der Nabel der Kunstwelt. Doch während der Berlin Art Week machte schnell die Runde, welche der unzähligen Ausstellungsprojekte einen zweiten und intensiveren Blick lohnte. Zu den kuratorischen Höhepunkten zählt sicherlich die an zwei Orten stattfindende Schau „Ich kenne kein Weekend“, die die Wirkungskreise des legendären Galeristen, Ausstellungsmachers und Künstlerfreundes René Block, Jahrgang 1942, erforscht. In der Berlinischen Galerie und im Neuen Berliner Kunstverein haben die Kuratoren Annelie Lütgens und Marius Babias unzählige Plakate, Einladungskarten, Briefe, Multiples, Editionen, historische Fotos, Videomaterial und viele andere Ephemera aus dem Archiv René Block zusammengetragen, um die Pionierrolle des wegweisenden Galeristen und Ausstellungsmachers zu untermauern. Künstler wie Hanne Darboven, Joseph Beuys, Nam June Paik, Allen Kaprow, Blinky Palermo oder Gerhard Richter waren Teil des Netzwerks von René Block, dem einst jüngsten Galeristen Deutschland. Bis heute ist der 73-Jährige in Berlin und andernorts aktiv.
Das Engagement der heute tonangebenden Galeristen aus Berlin und anderen Städten im In- und Ausland konzentrierte sich in der letzten Woche vor allem auf die abc art berlin contemporary, der Veranstaltung, die sich zwar nach wie vor nicht als Messe versteht, aber dennoch eine Verkaufsplattform im Ausstellungsformat darstellt. Die 8. Ausgabe der abc fand wiederum in der Station Berlin am Gleisdreieck unweit des Potsdamer Platzes statt. 105 Galerien nahmen in diesem Jahr teil, das sind zwar weniger als im vergangenen Jahr, als noch 120 Teilnehmer dabei waren, doch die Künstlerische Leiterin Maike Cruse rechtfertigt die konzentriertere Form: „Im Vordergrund stand, die Produktionsweisen der Künstler zu verbessern: Wie kann man die abc für Künstler besser ordnen und die Orientierung in den Hallen optimieren?“
Um die Bespielung der Hallen zu optimieren, haben die Macher der abc das in Berlin und New York beheimatete Architekturbüro June14 Meyer-Grohbrügge & Chermayeff gewinnen können. Und die sind ganz konzeptuell an die Aufgabe herangegangen. „Wir haben ein Raumcluster mit den Grundmaßen zehn mal zehn Meter entwickelt, wie eine Wolke von Räumen, in denen die Ausstellung stattfindet“, sagt Johanna Meyer-Grobrügge. Die Galerien konnten wählen, ob sie bis zu 100 Quadratmeter alleine bespielen oder den Raum mit bis zu drei weiteren Händlern teilen wollten. Weiße, kreuzförmige Wandelemente standen in Längen von ein, zwei, drei oder vier Metern zur Auswahl. Zwecks Präsentation von Skulpturen oder Bodenarbeiten konnte aber auch ganz auf Wände verzichtet werden. Ein ebenso reduziertes, wie raffiniertes Konzept. Endgültig passé jedenfalls ist das ins Leere gelaufene Ansinnen der vergangenen Jahre, mit Ökobauplatten, Bauzäunen und Gerüstbauelementen eine funktionierende, nachhaltige und gleichzeitig auch ästhetisch überzeugende Ausstellungsarchitektur zu entwickeln. „Die Idee ist, dass man aus dem Grundelement Kreuz viele neue Raumsituationen generieren kann.“ Das klar gegliederte, neuerdings halbkreisförmige Foyer im Eingangsbereich funktionierte zudem wie eine weitläufige Piazza. Der Hallenkomplex gliederte sich in offene und geschlossene Zonen, die den Galerien, je nach Bedarf, größere Wandflächen oder Freiräume für Bodenarbeiten und Skulpturen boten. „Wir sind mit einer simplen Organisationsform auf die vielen Anforderungen der Galerien eingegangen“, so Johanna Meyer-Grobrügge.
„Im Prinzip sind wir abhängig vom Feedback der Galerien“, sagt Maike Cruse. „Die abc hat einen Ausstellungscharakter. Die einzelnen Galerien und Künstler stehen miteinander im Dialog. In diesem Jahr sind wir strukturierter als in den letzten drei Jahren, als die abc noch den Charakter eines „open space“ hatte.“
So hatten die Galerien und Künstler Gelegenheit, aufeinander zu reagieren und zu kooperieren. Gleich zu Beginn des Hallenparcours am Gemeinschaftsstand von Karin Günter (Hamburg) und Barbara Gross (München) war die Installation „In a Mist“ mit sechs frei im Raum hängenden Glasbildern der Münchner Künstlerin und Musikerin Michaela Melián zu sehen. Die in einem mehrstufigen technischen Prozess hergestellten Objekte beziehen sich formal und inhaltlich auf Utopien der sowjetischen Avantgarde der 1920er Jahre. In zwei Glasmalereien verwendet Melián auch Textilmuster der Bauhaus-Künstlerin Anni Albers und der russischen konstruktivistischen Künstlerin Warwara Stepanowa aus dem Jahre 1929. Die einzelnen Glasbilder wurden für je 11.000 Euro angeboten.
Gleich nebenan zeigte die Berliner Galerie neugeriemschneider eine Bodenarbeit aus roten Glaselementen von Pae White, die in enger Korrespondenz zu den Glasarbeiten Meliáns stand. „Das ist typisch für die abc“, erläuterte Maike Cruse beim Presserundgang. „Hier wird nicht territorial gedacht wie auf anderen Messen, sondern wir wollen anregen, dass sich man sich untereinander austauscht und verbindet.“
Die führenden Berliner Galerien wie Esther Schipper, Sprüth Magers, Capitain Petzel oder Neu hinterließen auf der abc ihre Duftmarken und setzten gleichzeitig Akzente mit starken Auftritten ihrer Künstler in den angestammten Galerieräumen. So zeigt Sprüth Magers in der Oranienburger Straße eine stimmige Gruppenausstellung mit überwiegend älteren Arbeiten von Rosemarie Trockel, Cindy Sherman, Jenny Holzer und Louise Lawler. Capitain Petzel dagegen präsentiert in der Ausstellung „Bereitschaftsgrad“ ganz neue, überraschende Arbeiten von Peter Piller. Der Hamburger Künstler mit einer Professur an der HGB in Leipzig fotografierte während langer Autobahnfahrten zwischen den beiden Städten an Tankstellen und Raststätten für seine Serie „Erscheinungen“ LKW-Rückseiten mit posierenden weiblichen Werbefiguren. Seine äußerst präzisen, seriellen Aufnahmen befreite er anschließend am Computer von allen typographischen Elementen. Im Format 1,52 x 1,52 Meter entstanden so seltsam dekontextualisierte Porträts von Frauen, die der Künstler aus dem immerwährenden kapitalistischen Warenfluss auf Straßen und Autobahnen herausgenommen und isoliert hat.
Doch zurück zur Station Berlin. „Es gibt auf der abc auch Einzelpräsentationen, die wie in einer Ausstellung präsentiert werden“, erläutert Maike Cruse. Auf besonders großes Interesse stieß die 100 Quadratmeter-Koje von Johann König. Hier waren atelierfrische Arbeiten von Jorinde Voigt im Angebot, die zur Zeit auf dem internationalen Sammlermarkt sehr stark nachgefragt sind. Die mit schwarzen Vogelfedern versehenen Zeichnungen kosteten je nach Format zwischen 17.500 und 185.000 Euro. Ein paar Kojen weiter setzte die Galerie Neu auf einen Shooting Star aus der Generation der Digital Natives, der dem Spekulativen Realismus verhaftet ist. Der 1982 geborene Berliner Künstler Yngwe Holen hat handelsübliche, höhenverstellbare Bühnenpodeste mit Leuchtstreifen versehen wie sie auf dem Boden von Flugzeugkabinen üblich sind. Darauf präsentiert er unter anderem im 3D-Scan-Verfahren hergestellte Marmorblöcke in Form von schlachthoftypischen, großen Fleischstücken (je 24.000 Euro).
Zu den internationalen Neuentdeckungen auf der abc zählte die Galerie Magician Space aus Beijing, die zum ersten Mal teilnahm. Sie zeigte zum ersten Mal in Europa Arbeiten von Li Jinghu, der in der als „Fabrik der Welt“ bekannten südchinesischen Stadt Dogguan lebt. Ausgehend von den entbehrungsreichen Lebensumständen in der für ihre High-Tech-Industrie bekannten Industriestadt und dem Nachahmen mechanischer Produktionsprozesse entstand die minimalistische Arbeit „Powder“. Auf kleinen quadratischen Flächen waren kegelförmige Schüttungen in unterschiedlichen Größen und Farben zu sehen. „Alltagsgegenstände wie eine Bierflasche, eine Reisschüssel, eine Neonröhre oder ein Goldfischglas werden von Li Jinghu zu feinem Puder zerrieben“, erläutert der Kurator der Galerie, Billy Tang.
Was wäre Berlin ohne seine Sammler? Erstmals in diesem Jahr präsentierte die abc unter dem Titel „Proximities and Desires“ in der offen gehaltenen Halle C, der sogenannten „Bananenhalle“ des ehemaligen Güterverladezentrums, eine kuratierte Auswahl von Werken aus Berliner Sammlungen. Die Berliner Kuratorin Nikola Dietrich hat sich in den Lagern, Ausstellungsräumen und Depots von stadtbekannten Berliner Kunstsammlern umgesehen und prägnante Arbeiten ausgewählt. So findet sich ein auf dem Boden liegender Druck der Bernadette Corporation aus der Sammlung des Galeristen Alexander Schröder, ein versperrtes Zirkuszelt von Elmgren & Dragset aus der Sammlung Olbricht oder die frühe Videoarbeit „Pool“ von Stefan Panhans aus der Sammlung Ivo Wessel.
Die zu Begegnungen und Gesprächen anregende Marktplatzatmosphäre der 8. abc mit variantenreichen Raumclustern, überzeugenden dialogischen Standkonzepten sowie koreanischen und anderen Street-Food-Ständen für die kleine Pause zwischendurch hat sich in diesem Jahr bewährt. 30.000 Besucher und damit 2.000 mehr als 2014 besuchten bis zum Sonntagabend die diesjährige Ausgabe. Verkauft wurde die Kunst zwar auch. Von sensationellen Umsätzen ist jedoch im Abschlussbericht der abc nicht die Rede. Doch darum geht es bei diesem entspannten Format auch gar nicht. Die meisten Händler sind schon mit guten Gesprächen und neue Kontakten zufrieden. Die großen Geschäfte werden dann woanders gemacht. Maike Cruse resümiert und freut sich bereits aufs nächste Mal: „Mit der neuen Architektur und der Reaktion der Galerien wird es spannend für uns, wie die Weiterentwicklung des Projektes abc vorangeht“.
www.artberlincontemporary.com
www.berlinartweek.de