Malakoff Kowalski komponiert Stimmungen. Sein Album Kill Your Babies war Filmmusik ohne Film. Dreizehn leisetreterische Stücke die roh, herzzerrissen und melodisch wie ein Kinderlied daherkamen. Bleibt bei seinem Nachfolger I Love You wieder kein Herz kalt?
Das neue Album ist schwer zu ertragen. Hier in Hamburg oder an anderen Orten, wo die Sonne kurz antäuscht und flugs wieder abhaut. Es will schnurstracks nach Süden – ich zögere. Komme ich mit?
Hinein, in die Selbstvergessenheit einer Seitengasse. Eine Zigarette rauchen gegen die entspannte Luft eines späten Sommerabends. Backgammon spielen. Und den Kellnern zuschauen, wie sie – fernab der Touristenschwemme vergangener Tage – sonntagsleere Tische abräumen, Späßchen treiben, so dass ich laut mitlachen muss, obwohl ich kein Wort verstehe. Erinnerungen, die es nie gab, werden plötzlich wach. Sie haben eine schönere Zukunft verdient.
Beim ersten Hören entstehen Bilder. Irgendwie kann ich mich in der Musik von Malakoff Kowalski gut einrichten, denke ich. Warum eigentlich?
Im November 2012 begleitet mich seine Instrumental-Platte Kill Your Babies – Filmscore For An Unknown Picture. Miniaturen, vornehmlich Klavier. Es sind Nacht werdende Stücke der Bekümmerung, die dann aufklaren. Ein Akkordeon schwingt auf, hier ein Fingerschnippen, ein Pfeifen, eine Basslinie mit sachtem Bums und ein schwer zu bezifferndes weißes Rauschen, das sich über die Aufnahme legt. Wie das Atmen von Instrumenten und Menschen in einem Raum.
FAS-Feuilleton-Chef Claudius Seidl schreibt zum Release: „Die Sehnsucht, die diese Musik beschwört ist nicht die nach der Vergangenheit. Sondern die nach einer anderen Gegenwart.“
Vom Hadern eines vermeintlichen Hundertsassas
Er hat Recht. Am Klavier sitzt ein sich selbst befragender Romantiker, der die Hoffnung auf eine bessere Welt noch nicht aufgegeben hat. Und ein smarter Schlawiner, der in seiner Jugend den Kanon von Arthouse-Filmen aus Italien und Frankreich aufsaugt und sich mit Codes und Gesten aus Ganovenfilmen feit.
Malakoff Kowalski ist in Hamburg aufgewachsen. In den USA geboren. Als Sohn persischer Eltern. Seine Mutter ist Pianistin. „Artur Rubinstein war mein Hendrix, Tschaikowskys Jahreszeiten – meine Abbey Road“, sagt Kowalski.
Als Kind liegt er unter dem Flügel seiner Mutter und lauscht andächtig, während sie Chopin, Brahms oder Schubert spielt. Und die Sturmsonate von Beethoven. Manchmal weint er vor Rührung. Sie spielt es wie Meisterpianist Maurizio Pollini, erinnert er sich. Weil sie manche Töne liegen lässt. Weil sie eben an manchen Stellen die Töne liegen lässt. Wie Pollini.
Das sind Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, die groß werden, wenn man später federleichte Stücke komponieren will, die Augenblicke eine größere Dichte bescheren sollen.
Malakoff ist Perfektionist und darauf bedacht, Stimmungen zu lesen und sie dann zu vertonen, bis sie sich mit seiner Vorstellung eines passenden Momentes reimen. Zu der Beerdigung seines Vaters hat er eine Playlist klassischer Musik erstellt. Bloß kein falscher Ton, zur falschen Zeit! Es läuft ein persisches Stück, Brahms und ein Adagio von Albinoni.
Doch die Vorliebe zur Klassik ist tricky. In das Fahrwasser der allergrößten Musiker einzuschwenken – da fühlt sich man sich schnell klasse. Kreisklasse. Malakoff bringt sich zwar bei, viele Instrumente zu spielen. Das Hadern eines vermeintlichen Hundertsassas bleibt: Wo finde ich Berechtigung in der Musik?
Auf der Probebühne
Er testet sich aus. Nach Hip-Hop, Ruinen-Elektro und Krautrock, lernt er schließlich 2008 den Regie-Desperado Klaus Lemke kennen. Malakoff schickt ihm eine Klaviermusik zu seinem neuen Film. Lemke sagt: „Cowboy, iz ein Hit!“, und schneidet das Instrumentalstück rein. Malakoff firmiert fortan als Filmkomponist. Bis heute hat er Originalmusiken zu fünf veröffentlichte Spielfilmen von Lemke beigesteuert.
2012 folgt das besagte Album Kill Your Babies, im gleichen Jahr noch die Zusammenarbeit mit Theaterregisseurin Angela Richter. Am 18. September 2015 kommt schließlich das Album I Love You raus.
Musik als dritter Darsteller
I Love You ist prädestiniert für die Weltflucht der Woche. Am besten zu Zweit. Ja, es ist geradezu geschaffen für Begegnungen. Für Momente, wo die Zentrifugalkräfte der eigenen Lebenswirklichkeit nicht mehr wirken, weil die Begebenheit mit dem Anderen einem plötzlich neue Rätsel aufgibt.
Erleben steht hier vor Erinnern. Die Musik gesellt sich als Komplize hinzu, als dritter Darsteller, mit dem man einen Illusionspakt schließt und der sagt: „Los Leute, ihr beide seid jetzt eine Anspielung auf die Ewigkeit. Macht was draus.“
Egal ob sich der ganze Zauber frei nach Boethius in der „Glut eines Dreitagefiebers“ auflöst oder noch ein letzter Tanz bleibt. Wo Liebe möglich ist, da hat sie Recht. Immer. Und sei es nur die Liebe zur eigenen Seinsvergessenheit, die in einem gemeinsam verbrachten Nachmittag mündet.
Wenn Songs so kompromisslos auf die Melodie reduziert werden, schrammen sie manchmal haarscharf am Kitsch vorbei. Mulholland Chocolate Martini – what a name! – plätschert in einem gesäuselten „Doo-doo-doo“ dahin. An einigen Stellen ist das Album mir zu voll mit Hauch, Schmacht und Pfeifen.
Verzeihbar. Denn Malakoff Kowalski erschafft insgesamt Sehnsucht al dente. Keinen klebrigen Songbrei. Sondern Werke von einfacher Schönheit und überdauernder Weite. Karg instrumentierte, kurze Skizzen, die Imaginationsräume öffnen und gleichzeitig zu Wirkungsverstärkern für das eigene Handeln werden.
Carcosa packt mich im Luftzug einer Sekunde. Staubtrockene Ekstase. Hitze. Der Bass zuckelt los. Ein Motor startet und ich wähne mich mitten in einem halsbrecherischen Abenteuer. Stattdessen stehe ich immer noch mit Kopfhörern in Wuppertal an einer Tankstelle.
Ich sage zu dem Kassierer: „Eine Apfelschorle.“
Er sagt: „Einsfünzig.“
Bei der ersten Single How I Think Of You samt Video steigt die Temperatur auf 100 % Lustfeuchtigkeit. Bei The Western Belafonte geht es auf Into the Mild, Mild West. Kinder-Yorn ist einfach herzergreifend. Die Klavier-Miniatur The Scent of Wood schwebt.
Das Album ist vielgestaltig. Es wechselt auf irrwitzige Weise Stil und Stimmung. Wenn formale Kriterien nicht mehr greifen, wird der Künstler als letzte Instanz wichtiger und muss durch seine Person, die Integrität seines Werkes mitunter befähigen.
Malakoff Kowalski glaubt an Liebe. Tief und fest. Das nehm ich ihm ab. Deswegen läuft I Love You bei mir mittlerweile im Modus der Gelassenheit. Und mit diesem Vorschuss an Vertrauen, wird die Gegenwart leichter; das dubiose Geschäft des Argumentierens unnütz.
Ich fange an zu pfeifen. Zeit ist kein Angstgegner mehr.
Denn gibt es jemals eine größere Versicherung als diesen Augenblick?
Auf einen Blick
Malakoff Kowalski – I Love You
Release: 18.09.2015 (CD/Vinyl/Download)
Internet: www.malakoffkowalski.de
Bildnachweis
Titelfoto von Pepper Levain.
1 Comment
[…] Malakoff Kowalski und die Sehnsucht al dente. Click me, read me. […]