Eskapismus pur: Das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zeigt jetzt eine umfassende Werkschau der Pariser Fotografin Sarah Moon.
Hippiehafte Kindfrauen, schwerfällige Elefanten in der Manege, ein verhuschtes Mannequin in Rückenansicht – das ist die Welt der Fotografin Sarah Moon. Die 1941 als Marielle Varin geborene Tochter eines Franko-Amerikaners wuchs in Frankreich und England auf. Den Künstlernamen Sarah Moon legte sie sich erst später zu. Das ehemalige Fotomodell machte ab Ende der 1960er Jahre als Autodidaktin eine zweite Karriere als Modefotografin und arbeitete für große Labels wie Cacharelle, Dior oder Chanel. Als freie Fotografin und Filmemacherin hat sie sich insbesondere in den 1970er Jahren einen Namen gemacht. Das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zeigt jetzt die weltweit erste umfassende Retrospektive zu Sarah Moon.
Auf den Titel „Retrospektive“ möchte die kapriziöse Foto-Diva jedoch lieber verzichten. „Ich bin noch nicht tot“, kokettiert die 74-Jährige. Sie schlug deshalb „Now and then“ als Ausstellungstitel vor. Zu sehen sind rund 350 Exponate, darunter aktuelle Arbeiten, aber auch ältere Serien und Kurzfilme. „Das „then“ im Titel verweist sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft“, so Sarah Moon.
„Die unscharfen und grobkörnigen Fotografien Sarah Moons sind stark von der Malereigeschichte geprägt“, erläutert Deichtorhallenintendant Dirk Luckow. Ihre narrativ angelegten Bildfolgen greifen oft märchenhafte Sujets auf. Zirkusbilder von Jongleuren und Seiltänzern verweisen auf eine magische Parallelwelt. Daneben sind zahlreiche poetische Bilder von Paris, wo Sarah Moon zu Hause ist, zu sehen. „Die Hippie-Zeit war für Sarah Moon eine »Vergangenheit voller Bilder und ohne Fotografien« (Sarah Moon).
In ihren Auftragsarbeiten ist die Rebellion der Entschleunigung und des Ausstiegs mitten in der Arbeit zu spüren“, erläutert Ingo Taubhorn, der die Ausstellung zusammen mit der ehemaligen Moderedakteurin Brigitte Woischnik kuratiert hat, die eigenwillige Ästhetik ihres Werks.
Sarah Moon experimentiert mit verschiedenen fotografischen Techniken. Sie favorisiert einen bestimmten Polaroid-Film, der heute allerdings nur noch schwer zu bekommen ist. Ihre oft dunkeltonigen, bewusst unscharf gehaltenen Fotografien weisen große Ähnlichkeit zu dem der Malerei nacheifernden, fotografischen Pictorialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Ihren kleinen Bilderzählungen verleiht sie häufig eine zusätzliche, rätselhaft aufgeladene Bedeutung, indem sie Textfragmente hinzufügt und dem Betrachter so bestimmte Lesarten vorgibt.
Sarah Moons Kurzfilme, die fast alle erst in den letzten Jahren entstanden sind, kommen in Form sehr bildbasierter, assoziationsreicher Erzählungen daher. Da putzt eine elegant wirkende Frau in langsamen Bewegungen ein übergroßes Aquarium oder ein verträumt wirkendes, modisches Paar vergnügt sich auf einer sommerlichen Wiese.
Sarah Moon bleibt auch in ihren freien Arbeiten der Welt des schönen Scheins verhaftet. Sie vermeidet politische Statements oder Gesellschaftskritik. Vielmehr entwirft sie eine romantisch-poetische Gegenwelt, ein eskapistisches Zauberland, in das der Betrachter flüchten kann, ohne sich allzu großen intellektuellen Anstrengungen zu unterwerfen. Man kann das kitschig oder kunstgewerblich finden. Doch ganz offenbar hat Sarah Moon ihre treue Fangemeinde. Ihre seltenen Fotobände jedenfalls sind regelmäßig vergriffen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Sarah Moon – Now and Then
Ort: Deichtorhallen Hamburg, Haus der Photographie
Zeit: 27.11.2015 – 21.2.2016, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr, Heiligabend geschlossen, 1. und 2. Weihnachtstag 11-18 Uhr, Silvester geschlossen, Neujahr 13-18 Uhr
Katalog: Kehrer Verlag, ca. 160 S., 180 Abb., 49,90 Euro, erscheint im Januar
Internet: www.deichtorhallen.de