Die pure Lust am Zeichnen: Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zeigt Zeichnungen, Illustrationen und Animationen des Berliners Christoph Niemann.
„Mitte der neunziger Jahre schlug der Puls der Grafikszene in London, aber alles, was mich interessierte, gab es in New York“, sagt der 1970 in Waiblingen geborene Illustrator, Künstler und Autor Christoph Niemann. Zur Zeit zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Unterm Strich“ mit über 200 Cartoons, Zeichnungen, Drucken und Animationen des Künstlers. Darunter von Hand beschnittenes und dann eingescanntes Herbstlaub, das Niemann nonchalant zu Porträts von „Ernie und Bert“ oder „Laurel und Hardy“ deklariert.
New Yorker Wahrzeichen wie die Freiheitsstatue, die gelben Taxis oder den von Dauerstaus geplagten Holland-Tunnel hat er aus Legosteinen nachgebaut und für die Serie „I lego New York“ abfotografiert – der „Big Apple“ reduziert auf das Wesentliche.
„Für mich bedeutet das Zeichnen, die Welt auseinanderzunehmen und auf dem Blatt wieder zusammenzusetzen“, erläutert der dreifache Vater, der nach einem fast 11-jährigen New-York-Aufenthalt seit 2008 in Berlin lebt. In New York hat er jedoch nach wie vor wichtige Auftraggeber: Der vielfach ausgezeichnete Grafiker ist mit Illustrationen im „New York Times Magazine“ vertreten, und er entwirft regelmäßig Titelbilder für das renommierte Magazin „The New Yorker“, die wöchentliche Pflichtlektüre aller Ostküsten-Intellektuellen. In Deutschland kennt man ihn durch seine humorvoll auf den Punkt gebrachten Bild-Text-Kombinationen etwa für das ZEIT Magazin oder die Weltkunst.
„Es ist wie bei Hänsel und Gretel“, erläutert Christoph Niemann augenzwinkernd seinen Arbeitsstil. „Man muss Brotkrumen auslegen, damit der Betrachter die Fährte aufnehmen kann.“ Und die Fährten, die Christoph Niemann legt, sind oft verblüffend einfach: Das Foto einer aus der Form geratenen Haussocke verwandelt er mit ein paar zusätzlichen Tuschestrichen in einen Dinosaurier. Den Vorgang des Spaghettikochens übersetzt er in minimalistische Siebdrucke. Reduce to the max – weniger ist mehr. „Es geht darum, dass der Inhalt konkret realistisch ist und die Darstellungsweise komplett abstrakt“, erläutert Niemann.
Über sein extrem ausgefeiltes zeichnerisches Talent hinaus, zeichnet sich die Arbeit von Christoph Niemann durch seine genaue Beobachtung der unvermeidbaren Fallstricke des Alltags und seinen lakonischen Sprachwitz aus. Stadtpläne werden da plötzlich zu labyrinthischen Sprachsystemen. Das Hipster-phänomen der bis ins letzte Detail perfektionierten Espresso-zubereitung überführt Niemann auf einer vor Ort entstandenen Wandzeichnung in eine detailreiche und verspielte Apparatur, an deren Endpunkt ein ernst dreinschauender Forscher im Laborkittel ein Tässchen Kaffee abzapft.
Ob die untergehende Titanic, ausgerollter Plätzchenteig als Folie für kreatives Denken oder pointierte Tagebuchzeichnungen, die immer wieder auf den Flügen zwischen New York und Berlin entstehen: Die Kunst Christoph Niemanns besteht darin, die Komplexität des Lebens auf einen brillanten Kern zu reduzieren – kleine Wahrheiten bricht er mit Leichtigkeit und Humor auf und macht sie so für jedermann lesbar.
Auf einen Blick
Ausstellung: Christoph Niemann. Unterm Strich
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Zeit: 20.1. bis 10.4.2016, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr, Gründonnerstag 10-18 Uhr, Karfreitag, Ostersonntag, Ostermontag geöffnet
Katalog: Christoph Niemann: Abstract City. Mein Leben unterm Strich, Knesebeck Verlag, 268 S., 19,95 Euro
Internet:
www.mkg-hamburg.de
www.christophniemann.com