Édouard Manet galt zu Lebzeiten als Provokateur, der den übelsten Beschimpfungen ausgesetzt war. Heute gilt er als einer der Großmeister der französischen Malerei im 19. Jahrhundert. Hubertus Gaßner, der scheidende Direktor der Hamburger Kunsthalle, stellt ihn nun in seiner fulminanten Abschiedsausstellung als Meister der Blickregie vor.
Hamburg. Édouard Manet ist in den Sammlungen deutscher Museen nur vereinzelt vertreten. Umso glücklicher schätzt sich die Hamburger Kunsthalle, hierzulande als einziges Haus gleich drei repräsentative Gemälde dieses wichtigen Wegbereiters der modernen Malerei zu besitzen. Die 1877 entstandene „Nana“, das Bildnis einer kokottenhaften jungen Frau bei der Morgentoilette, ist wohl das berühmteste davon. Diese Tatsache war für Hubertus Gaßner, den scheidenden Direktor des Hauses, Anlass genug, um die eigenen Bestände herum eine Ausstellung mit über 60 weiteren Meisterwerken des Franzosen zusammenzustellen. In der Hamburger Schau „Manet – Sehen. Der Blick der Moderne“ sind jetzt bedeutende Leihgaben aus nahezu allen großen Museen der Welt zu sehen.
Édouard Manet (1832-1883) wurde als Kind eines hohen Justizbeamten und einer vermögenden Diplomatentochter in Paris geboren. Die finanzielle Absicherung durch die Familie garantierte ihm zeitlebens eine große Unabhängigkeit. Die Tatsache, dass er nicht vom Verkauf seiner Bilder leben musste, mag aber auch dazu beigetragen haben, dass er selbstbewusst Neues ausprobierte, malerische Gewissheiten in Frage stellte und Kritik und Anfeindungen souverän parierte.
Der dunkelrot gehaltene, große Oktogonsaal bildet den Auftakt des Parcours. Hier begegnen dem Besucher der Schau repräsentative Beispiele für Manets meisterhafte Blickregie. Die beiden mannshohen Gemälde „Jean-Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet“ und „Philosoph (Bettler mit Wintermantel)“ etwa zeigen Protagonisten, die beinahe aus dem Bild herauszutreten scheinen. Bilder, die zurückblicken? Dabei galt es zu Manets Zeiten doch bereits als ungeheure Provokation des bürgerlichen Geschmacks, Bühnenkünstler und Bettler überhaupt als bildwürdige Sujets zu betrachten.
„Der Blick aus dem Gemälde direkt auf den Betrachter ist das eigentliche Thema dieser Ausstellung“, sagt Hubertus Gaßner, der sich mit dieser Schau der Superlative in den Ruhestand verabschiedet. Bei Manet, so Gaßner, sei das Bild nicht mehr eine Projektionsfläche, in die der Betrachter wie in eine andere Welt hineinschaue. Ganz im Gegenteil: Das Bild wird zur reinen Oberfläche. Die darauf dargestellten Personen schauen den Betrachter jetzt frontal und herausfordernd an. Mit dieser radikalen Abwendung vom illusionistischen Bildraum der Vergangenheit erweise sich Manet als einer der zentralen Türöffner für die Gegenwartskunst. Er läute damit eine Entwicklung ein, ohne die selbst die noch relativ junge Performance als unmittelbarste Form der Bild-Betrachter-Konfrontation nicht denkbar wäre.
Anhand von Karikaturen, Zeitungsausschnitten und Persiflagen zeigt die Hamburger Ausstellung Manet allerdings auch im Kugelhagel der zeitgenössischen Kritik: „Exzentriker“, „miserabler Maler“, „Apostel des Hässlichen und Abstoßenden“, „Gespött aller Leute mit Geschmack“. So lauteten die Schmähungen der Fachwelt. Er selbst äußerte sich dazu 1867 so: „Der Künstler sagt heute nicht etwa: Kommt her und seht tadellose Kunstwerke, sondern: kommt und seht ehrliche Werke. Und die Wirkung dieser Ehrlichkeit ist es, die diese Werke als einen Protest erscheinen lässt, während doch der Maler an nichts anderes dachte, als seinen Eindruck wiederzugeben.“
Wer jetzt allerdings erwartet, auch das wohl berühmteste Gemälde Manets, das 1863 entstandene „Frühstück im Grünen“ leibhaftig zu Gesicht zu bekommen, der dürfte ein ganz klein wenig enttäuscht sein. Dieses Bild ist exklusiv im Pariser Musée d’Orsay zu besichtigen. Die imposante Auswahl der anderen Werke und die mustergültige kunsthistorische Aufarbeitung des Themas entschädigen jedoch dafür. Zu seinem Abschied ist Hubertus Gaßner mit „Manet – Sehen“ noch einmal eine fulminante Ausstellung gelungen, die seine Kernkompetenz als Experte für den Aufbruch der Kunst in die Moderne im 19. Jahrhundert eindrucksvoll unter-streicht.
Auf einen Blick
Ausstellung: Manet – Sehen. Der Blick der Moderne
Ort: Hamburger Kunsthalle, Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart
Zeit: 27. Mai bis 4. September 2016. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
Katalog: Michael Imhof Verlag, 256 S., ca. 140 Abb., 24 Euro (Museum), 30 Euro (Buchhandel)
Rahmenprogramm: zu der Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Sonderführungen, Lesungen, Konzerten, Theaterabenden, etc.
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de