Bereits zum zweiten Mal lockt das Festival Meraner Frühling mit einem internationalen Kunstprogramm Besucher an. Ortspezifische Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Natur.
Meran. Fragt man Einheimische, was denn das Typische an Meran sei, so geraten diese schnell ins Schwärmen: Die Verortung zwischen alpiner Kulisse und mediterranem Flair, die gute Luft, die über 300 Sonnentage im Jahr, das dichte Netz an Promenaden, die prächtige Flora, die qualitativ hochwertigen Erzeugnisse der Apfel- und Weinbauern, die Spitzenköche und so vieles mehr. Von historischer Bedeutung sind natürlich auch die prominenten Gäste, die hierher zum Kuren kamen und die Stadt prägten, allen voran Kaiserin Sisi, von deren legendären Aufenthalten die Bewohner der Stadt noch heute ins Schwärmen geraten. Mit ihr, so sind viele überzeugt, kam der Tourismus erst richtig in Schwung. Aber auch viele bildende Künstler kamen in das Südtiroler Städtchen an der Passer, etwa Alfred Kubin, Franz Marc oder Wassily Kandinsky in Begleitung seiner Frau Gabriele Münter.
Warum nicht anknüpfen an diese Traditionen, dachten sich vor einigen Jahren die Verantwortlichen in der Gemeinde Meran und der Kurverwaltung. Flugs wurden diverse Arbeitsgruppen gebildet und die Nachbargemeinden Naturns, Schenna und Dorf Tirol mit ins Boot geholt. Das Festival „Meraner Frühling“ war geboren. Nicht zuletzt geht es den Verantwortlichen natürlich auch darum, die Destination Meran im Frühling, der einzigen der vier Jahreszeiten, die touristisch durchaus noch ausbaufähig ist, zu beleben.
Im letzten Jahr fand die Premiere statt. Der kanadische Kunstkritiker und Landschaftskurator John K. Grande konzipierte unter dem Titel „Merano Art & Nature – Spring 2015“ einen abwechslungsreichen Erlebnisparcours mit Arbeiten lokaler und internationaler Künstler. Allen Arbeiten gemeinsam war der nachhaltige Umgang mit Naturmaterialien.
Auch der diesjährige Kunstparcours firmiert wieder unter dem Motto „Art & Nature“. Verantwortlich für die aktuelle Ausgabe ist das in Bozen ansässige, international erfahrene Kuratorinnentrio BAU, bestehend aus den beiden Italienerinnen Simone Mair und Lisa Mazza sowie der Portugiesin Filipa Ramos. Die drei entschieden sich in diesem Jahr für den programmatischen Zusatz „Walking with Senses“. Die Kuratorinnen dazu: „Kunstwerke laden ein zu berühren und sich berühren zu lassen, ziehen mit unentdeckten Formen des Hörens, Riechens, Spürens und Sehens in ihren Bann und ermöglichen so einen neuen Blick auf die Umgebung. In diesen Sinne lädt »Walking with Senses« dazu ein, unsere Stadt- und Naturlandschaften neu zu entdecken und als ein Kontinuum jenseits der dualistischen Trennung zwischen Natur und Kultur, Stadt und Land, Straße und Gehweg, Mensch und Tier, Tag und Nacht zu verstehen.“
BAU versteht sich als Initiative für Kunstproduktion in Südtirol und wurde 2014 von den drei Kuratorinnen gegründet. Über einen professionellen internationalen Background verfügt jede von ihnen. Simone Mair etwa sammelte kuratorische Erfahrung bei der Liverpool Biennale, Lisa Mazza war für die Manifesta tätig und Filipa Ramos arbeitete im Team der Documenta 13.
Für ihr Kunstprojekt im öffentlichen Raum in Meran und drei umliegenden Ortschaften haben die Ausstellungsmacherinnen von BAU neun Einzelkünstler beziehungsweise Künstlerkollektive ganz unterschiedlicher Disziplinen eingeladen. Neben dem Schwerpunkt Bildende Kunst sind auch Architektur, Design, Performance und Tanz vertreten. Alle Teilnehmer hatten Gelegenheit, sich vor Ort mit den Gegebenheiten und der Stadtgeschichte auseinanderzusetzen und ortsspezifische Arbeiten zu entwickeln.
So hat sich die in Kopenhagen und New York lebende Dänin Nanna Debois Buhl, Jahrgang 1975, mit den auf den ersten Blick für Meran so typischen, in Wahrheit aber exotischen Palmen auseinandergesetzt. Die auf Postkarten und Tourismusplakaten seit mehr als hundert Jahren beliebte Kombination aus Palmen vor schneebedeckten Berggipfeln repräsentiert wie kein anderes Symbol die für Meran spezifische Mischung aus mediterranem Flair und alpiner Topographie. Die Künstlerin untersucht in einer temporären Wandarbeit und in einem profund recherchierten Künstlerbuch das Auftauchen der ursprünglich in Südostasien beheimateten Fächerpalme. Um 1880 wurde diese in Meran erstmals angepflanzt. Auf der Außenmauer von Schloss Kallmünz am Sandplatz hat die Dänin eine großformatige Fototapete mit abstrahierten Palmensilhouetten angebracht. Die Arbeit trägt den Titel „Trajectories of the Trachycarpus Fortunei“. Nanna Debois Buhls Projekt kann aber durchaus auch politisch ausgedeutet werden. Wenn man so will, symbolisiert die von einer kleinen Minderheit der Südtiroler als „invasive Art“ und „Bedrohung der ursprünglichen“ Fauna gescholtene Pflanze auch ein mögliches Konfliktpotenzial in der stark von Bilingualität und Zuwanderung geprägten Region. Zumal vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen am Brenner.
Geht man ein paar Straßen weiter, gelangt man an den Fuß des berühmten Tappeinerwegs, eines historischen Wanderwegs, der oberhalb der Stadt entlangführt. Hier hat die Düsseldorferin Kristina Buch, Jahrgang 1983, eine Rasenfläche an der Galilei-Straße mit geheimnisvollen Spielfeldmarkierungen aus weißem Südtiroler Marmor versehen. Aufmerksame Besucher der letzten Documenta werden sich sicherlich noch an ihren Schmetterlingsgarten mit dem Titel „The Lover“ erinnern. Buch war damals die jüngste Teilnehmerin der Kasseler Weltkunstschau. Während man noch darüber nachdenkt, ob hier das strenge Regelwerks einer nicht näher definierten Sportart oder einfach nur die Willkür von Grenzmarkierungen thematisiert wird, beobachtet man, mit welcher spielerischen Nonchalance die Arbeit von den Schülern der gegenüberliegenden Schule in den Pausenalltag integriert wird. So gesehen hat dann auch der Titel „It’s normal that reality happens“ etwas durchaus Beruhigendes.
Nimmt man ein paar Schritte weiter den nostalgisch anmutenden Sessellift hoch nach Dorf Tirol, begegnet man der Arbeit „My Boy, with such Boots, we may Hope to Travel Far“ von Alvaro Urbano. Der 1983 geborene spanische Architekt und Künstler nimmt die Kryptogramme aus Jules Vernes Abenteuerroman „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ zum Ausgangspunkt seiner 15 an prähistorische Schriftzeichen erinnernden Skulpturen. Die vor Ort produzierten Betonskulpturen platziert Urbano entlang des Tiroler Steiges, im Park und am Marktplatz. Wer mag, kann auf ihnen auch sitzen, picknicken oder der Natur lauschen. Ganz bewusst hat Urbano den Beton mit lokalen Gesteinsarten „geimpft“, um Moosen und anderen Pflanzenarten die Möglichkeit zu geben, die Skulpturen nach und nach zu überwuchern.
Ebenfalls benutzbar ist die temporäre Arbeit „Tube Meran“ des 1998 gegründeten österreichisch-ungarischen Künstlerkollektivs Numen/For Use. Das dreiköpfige Team ist bekannt für seine partizipativen Projekte an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Design und Architektur. Im Meraner Bahnhofspark haben sie zwischen neun majestätische Bäumen eine tunnelartige Skulptur aus schwarzen Auffangnetzen gespannt, die man kletternd erfahren kann. Gut abgefedert zwischen den Baumstämmen herumhüpfend, erlebt man Stadt und Natur völlig neu. Die „Tube Meran“ ist besonders bei jüngeren Besuchern des Meraner Frühlings beliebt.
Bereits am 22. April fand in der Wandelhalle der Winterpromenade die Performance „Returning from places I have never been II“ von Michael Fliri statt. Der 1978 geborene, in Zürich lebende Südtiroler transferierte sich selbst während der einstündigen Performance in eine futuristische Figur zwischen Mensch und Maschine. Eine weitere Performance findet Mitte Mai im Palais Mamming Museum statt. Das rumänische Künstlerduo Manuel Pelmus & Alexandra Pirici, bekannt von der Biennale Venedig 2013, auf der sie den Rumänischen Pavillon bespielten, plant, mit verschiedenen Objekten aus Holz, Stein oder Stahl aus dem Stadtmuseum zu interagieren.
Die als permanente Installation angelegte Arbeit des in Berlin lebenden Dänen Tue Greenfort, Jahrgang 1973, trägt den einer Aufforderung gleichkommenden Titel „Listen to Nature“. An fünf verschiedenen Stellen hat Greenfort bearbeitete Findlinge platziert. Die maschinell begradigten Oberflächen der Felsen können wahlweise als Sitzfläche oder Kletterhilfe benutzt werden. Aufgestellt wurden sie an ganz unterschiedlichen Orten. Etwa an einem idyllischen Wasserlauf in der Nähe der Quelle des Schnuggenbachs im Dörfchen Schenna, aber auch direkt neben der dortigen Bushaltestelle am belebten Dorfplatz. Die fünf zwischen Schenna und Meran verteilten Findlinge scheinen wie zufällig an ihre Aufstellplätze geraten zu sein. Doch in Tue Greenforts durchaus auch kritisch unterfütterter Kunst geht es immer auch um ökologische Gesamtzusammenhänge. Und so lädt er den Betrachter ein, der Spur der Steine zu folgen, Platz zu nehmen und der mal mehr und mal weniger präsenten Natur kontemplativ zu lauschen. Ganz beiläufig lenkt Greenfort den Betrachterblick aber auch auf die omnipräsenten Monokulturen mit den berühmten Südtiroler Äpfeln.
13 Kilometer östlich von Meran liegt auf einer Höhe von 500 Metern die Ortschaft Naturns, ein sonnenreiches Feriendomizil, das viele Urlauber anzieht. Hier haben zwei weitere Künstler ihre Spuren hinterlassen. Unter dem Titel „Extropic Optimisms 2“ hat der 1974 geborene Athener Angelo Plessas am zentral gelegenen Gemeindehaus sieben farbige Neonsymbole angebracht. Diese erinnern einerseits an Bausteine digitaler Kommunikation wie Emojis, gleichzeitig spielt ihre Ikonographie aber auch auf die Geschichte des Ortes, etwa das aus einem gelben Dreieck bestehende Stadtwappen, an. Die Installation bleibt permanent in Naturns.
Fünf Gehminuten entfernt auf dem kleinen Bahnhof von Naturns steht die begehbare Skulptur „Blue Wave“ von Andreas Angelidakis, Jahrgang 1968. Der Grieche ist ursprünglich als Architekt ausgebildet. Seine von Flugrost überzogene, ebenfalls dauerhaft aufgestellte Stahlskulptur in Form einer Welle ist begehbar und durchaus multifunktional. Sie kann als Treffpunkt, Versteck oder Wartehäuschen genutzt werden. Eine Welle mitten in den Bergen mutet zunächst etwas ungewöhnlich an. Doch ganz in der Nähe befindet sich der für die Südtiroler Historie nicht ganz unbedeutende Fluß Etsch (italienisch: Adige), der später in die Adria mündet.
Wer nach diesem Rundtrip voller Kunst und Naturerlebnissen noch Hunger auf mehr hat, kann sich noch auf die Spuren eines Kinderbuchs begeben. Im Rahmen des Meraner Frühlings erschien auch das liebevoll aufgemachte Bilderbuch „Luca im Museum“ von Katrin Stangl und Michael Heinze. Im Buch wird die landschaftliche Vielfalt Merans dargestellt. Anhand von Workshops und Wanderateliers wird das Kinderbuch aber auch unmittelbar im Stadt- und Naturraum erfahrbar gemacht.
Das Kuratorinnentrio von BAU hat mit seiner Ausstellung „Walking with Senses“ im Rahmen des jährlichen Projekts „Art & Nature“ gezeigt, auf welch hohem Niveau man auch abseits der großen Metropolen Kunstprojekte von internationalem Rang realisieren kann. Einige der diesjährigen Arbeiten werden wieder abgebaut, etliche aber dauerhaft installiert bleiben. Bleibt zu hoffen, dass alle am „Meraner Frühling“ beteiligten Gremien, Institutionen, Politiker und Tourismusfunktionäre auch in Zukunft den Mut haben werden, auf dem einmal eingeschlagenen Qualitätslevel weiterzumachen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Meraner Frühling. Art & Nature. Walking with Senses
Ort: Meran, Schenna, Naturns, Dorf Tirol
Zeit: bis 5.6. 2016. Viele der Arbeiten sind aber von nun an permanent zu sehen
Kurzführer: 42 S., kostenlos in der Kurverwaltung
Internet: www.merano.eu
Hoteltipp: Das an der Passerpromenade gelegene, familiengeführte „Hotel Aurora“ bietet vom Economy-Zimmer bis hin zum futuristischen Designerzimmer des Florentiner Stararchitekten Simone Micheli Komfort für jeden Geldbeutel. Angeschlossen sind das Restaurant „Fino“, das kreative Küche mit regionalen Produkte bietet, sowie die vom Juniorchef betriebene Cocktailbar „Sketch“.
www.hotel-aurora-meran.com
Restauranttipp: Die Gastwirtevereinigung „Südtiroler Gasthaus“ www.gasthaus.it legt Wert auf beste Südtiroler Produkte und regionaltypische Zubereitung. Die Mitgliedsbetriebe sind meist in historischen Gebäuden ansässig. So zum Beispiel der „Thurnerhof“ unweit der Arbeiten von Tue Greenfort in Schenna, ein uriges Wirtshaus aus dem 15. Jahrhundert. Vorwiegend alpenländische Spezialitäten wie Spinatnockerln oder Schlutzkrapfen stehen hier auf der Speisekarte.
www.thurnerhof-schenna.com