Zwischen Kommerz und Diskurs: Rund um die Kunstmesse FIAC häuften sich vergangene Woche Eröffnungen, Lectures und andere Events in der französischen Hauptstadt. Dabei ging es durchaus nicht immer nur um Big Business…
FIAC: Blick in die Hallen es Grand Palais, Foto: Heiko Klaas
Paris. Wer in der vergangenen Woche in Sachen Kunst unterwegs war, den zog es nach Paris. Die 43. Ausgabe der Kunstmesse FIAC, Foire Internationale d’Art Contemporain, fand im Grand Palais unweit der Champs-Élysées statt. In diesem Jahr wurde aber erstmals auch das gegenüberliegende Petit Palais miteinbezogen. Unter der Bezeichnung „On Site“ waren hier 37 teilweise raumgreifende Arbeiten von Künstlern wie Jimmie Durham, Manfred Pernice oder Damien Hirst zu sehen. Ein wenig Art Unlimited à la Basel? Diesem Anspruch genügte die etwas disparat wirkende und dicht an dicht in die Foyers gestopfte Präsentation allerdings nicht ganz. Auch auf der erstmals für den Verkehr gesperrten Avenue Winston Churchill zwischen den Gebäuden sowie unter dem Motto „Hors les Murs“ in den Tuilerien wiesen ortsspezifische Arbeiten etwa von Lawrence Weiner oder Michael Sailstorfer den Weg.
FIAC: Eingang Grand Palais mit Außenarbeit von Lawrence Weiner, Foto: Heiko Klaas
Auf der Messe selbst war die Stimmung unter den Besuchern und den 186 angereisten Galeristen aus 27 Ländern durchaus positiv. Knapp über 72.000 Besucher und damit 0,5% mehr als im vergangenen Jahr verzeichnete die Messe. Während im lichtdurchfluteten Hauptsaal des Grand Palais die etablierteren Händler ihre hochpreisige Ware anboten, boten besonders die Säle in der oberen Etage Raum für neue Entdeckungen. Hier präsentierten sich jüngere Galerien wie die Zürcher Karma International und RaebervonStenglin, der Wiener Emanuel Layr oder der Pariser Jocelyn Wolff. Das günstigste Werk auf der FIAC war eine versiegelte Schachtel Schmelzkäse der Marke „La Vache Qui Rit“, die der Brite Jonathan Monk mit einem spiegelverkehrten Etikett bedrucken ließ und für 5 Euro als limitierte Edition anbot. Vorsicht Sammler: Den Käse sollte man nicht essen, sondern in der unversehrten Dose langsam trocknen lassen.
FIAC: Galerie Francesca Pia, Zürich: Thomas Bayrle: Anzug (Suit), 1967/1999, Foto: Heiko Klaas
FIAC: The Fisheries, Mark Dion, 2016 Installation variable, the artist and Galerie Nagel Draxler, Berlin, Cologne
Am Stand von Esther Schipper/Johnen aus Berlin dann aus den 1980er Jahren stammende Zeichnungen an der Schnittstelle von Kunst, Mode und Kostüm von Wiebke Siem, der Trägerin des Goslarer Kaiserrings von 2014, für 3.700 Euro. Der diesjährige Kaiserringträger Jimmie Durham war dann unter anderem am Stand von Kurimanzutto aus Mexiko City mit einer neuen Skulptur vertreten. Ein Eyecatcher von Mark Dion dann bei Nagel Draxler aus Berlin: Der US-Amerikaner präsentierte in seiner großen Installation „The Fisheries“ an einem Balken hängende, lebensgroße Skulpturen derjenigen Fischarten der Weltmeere, die durch die Überfischung vom Aussterben bedroht sind. Ebenfalls Arbeiten von Mark Dion zeigte die Galerie In Situ – Fabienne Leclerc aus Paris: „Between Voltaire and Poe“ ist ein hölzernes Schrankmöbel mit allerlei gestapelten Büchern, Saurier-Modellen und anderen Fundstücken aus der Natur. Ein weiterer, häufig fotografierter Eyecatcher dann bei Larry Gagosian: Die lebensecht wirkende, polychrom bemalte Bronzeskulptur „Old Couple on a Bench“ von 1994 zeigt ein älteres Paar in Freizeitkleidung, das sich, fast so, als wäre es vom Überangebot an Kunst ermattet, auf einer Bank ausruht. Ein extra für die Messe engagierter Sicherheitsmann bewachte die wertvolle Skulptur.
FIAC: Gagosian Gallery: Duane Hanson: Old Couple on a Bench, 1994, Foto: Heiko Klaas
Bereits am Mittwochabend, dem Abend der Vernissage der FIAC, eröffnete Gagosian in seinen großzügigen Räumen auf der Rue de Ponthieu zwei bemerkenswerte Ausstellungen: Schlüsselwerke von Duane Hanson wie ein übergewichtiger Gärtner auf einem Aufsitz-Rasenmäher, ein farbiger Anstreicher mit rosa Farbrolle, ein junger Surfer oder eine nachlässig abgestellte Kinderkarre mit schlafendem Kind kamen vor der abstrakten Malerei von Olivier Mosset besonders gut zur Geltung.
Eröffnung von Duane Hanson bei Gagosian, Foto: Heiko Klaas
Im Project Space und im Schaufenster an der Straße präsentierte sich dann zum ersten Mal bei Gagosian in Paris die New Yorkerin Josephine Meckseper. Die in Worpswede aufgewachsene und seit 1992 in den USA lebende Deutsche zeigt neben perfekt verarbeiteten, verspiegelten Vitrinen, in denen banale Alltagsgegenstände auf Kunstobjekte treffen, auch einige an Plakatabrisse erinnernde Motive, die sie auf Leinwand drucken ließ – eine Hommage an die Praxis der Nouveaux Réalistes und an die Stadt Paris. Das direkt auf Bürgersteigniveau gelegene, großzügig bemessene Schaufenster der Galerie hat sie komplett verspiegelt und mit für ihr Werk typischen Readymades etwa in Form einer verchromten Autofelge und eines Warenständers mit Birkenstock-Sandalen ausgestattet. Eine geradezu provozierende Hyper-Inszenierung von Konsumgütern also – durchaus auch als Anspielung darauf, dass es auch in Paris eine gewisse Tradition gibt, aus Demonstrationen heraus Schaufensterauslagen zu zerstören und zu plündern. Man darf gespannt sein, wie die hochästhetischen, dabei aber durchaus auch kapitalismus- und gesellschaftskritisch unterfütterten Arbeiten Mecksepers beim Pariser Publikum ankommen.
Schaufenster von Josephine Meckseper bei Gagosian, Paris, Foto: Heiko Klaas
Josephine Meckseper: Deutscher Werkbund, 2013 bei Gagosian, Foto: Heiko Klaas
Zu den weiteren Höhepunkten der Galerienschauen während des Eröffnungsreigens am Donnerstagabend gehört die Gruppenschau „Ether“ bei Chantal Crousel im Marais. Sie versammelt Arbeiten, die sich mit dem Ätherischen, also dem laut Aristoteles „fünften Element“, auseinandersetzen, darunter ein imposantes Aquarium mit schwebendem Felsbrocken und lebendem Urgetier von Pierre Huyghe, Inkjet-Prints von Wade Guyton und Landschaftsaufnahmen von Wolfgang Tillmans. Im multikulturell geprägten Künstlerstadtteil Belleville hingegen zeigt die Galerie Jocelyn Wolff neue, unter die Haut gehende Filme von Clemens von Wedemeyer, die auf gefundenem Amateur-Material aus der Zeit des Dritten Reiches basieren. Wedemeyers Ausstellung „P.O.V.“ (point of view) basiert auf 16mm-Filmmaterial, das ein deutscher Wehrmachtsoffizier zwischen 1938 und 1942 aufgenommen hat. Zu sehen sind neben zerstörten Städten und aufgedunsenen Pferdekadavern auch zackige Begrüßungsrituale unter Offizieren und daneben das gemeinsame nackte Baden im Teich eines von der Wehrmacht beschlagnahmten Schlosses. Das Erschreckende daran: Die scheinbare Vereinbarkeit soldatischer Grausamkeiten mit nahezu kindischer Ausgelassenheit.
Clemens von Wedemeyer: Die Pferde des Rittmeisters (Still), 2016, Cortesy: Galerie Jocelyn Wolff
Eröffnung Robert Rauschenberg bei Thaddaeus Ropac, Paris, Foto: Heiko Klaas
Ein Paukenschlag dann bei Thaddaeus Ropac im Marais: Der Salzburger präsentiert ein Konvolut mit überwiegend großformatigen Werken von Robert Rauschenberg aus den 1980er Jahren. Daneben ist es ihm gelungen, einen original Flaschentrockner von Marcel Duchamp anbieten zu können. Dieses signierte Exemplar aus dem Jahre 1959 mit dem offiziellen Titel „Replik des verlorenen Originals von 1914“ stammt aus dem Besitz des 2008 verstorbenen Robert Rauschenberg. Es ersetzt praktisch das verschollene Ur-Exemplar, also das erste Readymade der Kunstgeschichte überhaupt. Anlässlich der Ausstellung „Kunst und das gefundene Objekt“ 1959 in New York hatte Duchamp seinen Freund Man Ray gebeten, in einem Pariser Kaufhaus einen Flaschentrockner zu kaufen und diesen nach New York zu verschiffen. Später hatte Rauschenberg das Exemplar dann direkt von Duchamp zum Freundschaftspreis von drei US-Dollar erworben. Die Rauschenberg Foundation bietet es jetzt zum Kauf an, um damit andere Aktivitäten zu finanzieren. Eingebettet in eine Schau mit Notizen, Briefen und Fotografien in Vitrinen, schwebt das eigens von einem Wachmann beschützte Objekt der Begierde jetzt frei von der Decke hängend im Raum. Perfekt ausgeleuchtet, verdoppelt es seine besondere Aura noch durch einen kühnen Schattenwurf. Einzige Voraussetzung des Verkaufs: Ropac soll den „Porte-bouteilles“ in eine Museumssammlung vermitteln, wo er dann dauerhaft präsentiert werden soll.
„Porte-bouteilles“ (Flaschentrockner) von Marcel Duchamp bei Thaddaeus Ropac, Paris, Foto: Heiko Klaas
Maurizio Cattelan: „La Nona Ora“ 1999, Foto: Heiko Klaas
Ortswechsel: Der von einem Meteoriten erschlagene Papst Johannes Paul II., der betende, knieende Hitler en miniature, ein Blechtrommler auf einer barocken Ballustrade: Die Ausstellung „Not Afraid of Love“ in den prächtigen, opulenten Räumen der Monnaie de Paris Rive gauche versammelt jetzt ausgewählte Werke des 1960 in Padua geborenen Italieners Maurizio Cattelan. Der Clou: Der selbstironische Künstler tritt in seinen naturalistisch gehaltenen Skulpturen häufig als sein eigenes Alter Ego auf. Aus einem Loch im Parkett herauslugend, an einem Garderobenhaken hängend oder mit seinem eineiigen Zwilling in einem altmodischen Ehebett liegend.
Maurizio Cattelan: Untitled, 2001, Foto: Heiko Klaas
Maurizio Cattelan: Him, 2001, Foto: Heiko Klaas
The place to be am Freitagabend war dann der neue Hot Spot der Pariser Kunstszene: „La Colonie“, der frisch bezogene Ausstellungsraum mit angegliederter Bar und Restaurant von Kader Attia auf der Rue Lafayette unweit des Gare du Nord im multikulturell geprägten 10. Arrondissement. Der diesjährige Gewinner des Marcel Duchamp Preises hat ein ganzes Gebäude gekauft und es zu einem Zentrum für Ausstellungen, Musik und politisch-intellektuellen Diskurs umgebaut. Eröffnung war am 17. Oktober. Das Datum war bewusst gewählt. Es ist der Jahrestag der Pariser Demonstrationen für die Unabhängigkeit Algeriens am 17. Oktober 1961, die in einem Massaker endeten, in dessen Verlauf bis zu 300 Algerier von der Polizei getötet wurden. Am Freitagabend gab es dann ein Gespräch zwischen Kader Attia und dem italienischen Künstler Michelangelo Pistoletto über die Bedeutung und metaphorische Aufladung von Spiegeln. Außerdem Couscous für 300 Gäste, von der Mutter des Künstlers gekocht. Für Musik und Getränke sorgten seine Brüder – alles also ein Family Business. „La Colonie“ ist aber auch ein experimenteller und für alle offener Ort, auf den Paris lange gewartet hat. Attias erklärtes Ziel ist es, „Leute mit den unterschiedlichsten Horizonten zusammenzubringen – vom Akademiker bis hin zum Sozialarbieter aus den Banlieues und den Jungen und Mädchen, die er betreut“. „Solche Räume gibt es ja in Berlin zuhauf, aber hier fehlte so etwas bisher“, so eine französische Kuratorin.
La Colonie von Kader Attia, Maman bereitet Couscous, Foto: Heiko Klaas
La Colonie von Kader Attia, Foto: Heiko Klaas
Es tut sich also etwas in Paris in Sachen Kunst. Neben dem Aspekt des Verkaufens kommt auch die inhaltliche Auseinandersetzung nicht zu kurz. Und schon Mitte November trifft sich dann die internationale Fotoszene wieder im Grand Palais bei der Paris Photo, der wichtigsten Fotomesse der Welt. Bienvenu!
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