Die Ausstellung „ReVision“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe wirft einen neuen und erfrischenden Blick auf die 75.000 Werke umfassende Fotografiesammlung des Hauses.
Andrzej Steinbach, aus der Serie Figur I, Figur II, 2013/2014, Ohne Titel, 2013/2014, Digital Fine Art Print, 110 x 74 cm, © Andrzej Steinbach, Galerie Conradi
Die fotografische Sammlung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) umfasst Werke von den Anfängen des Mediums in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart. Sie ist damit eine der bedeutendsten institutionellen Fotografiekollektionen in Deutschland. Wohl nirgends anders ist das Medium seit dem Ende des 19. Jahrhunderts so kontinuierlich gesammelt worden wie am MKG. „Wir waren eines der ersten Häuser, in denen man verstanden hatte, dass Fotografie Kunst ist“, resümierte denn auch MKG-Direktorin Sabine Schulze anlässlich der Präsentation der Ausstellung „ReVision“.
Helmar Lerski, aus der Serie Köpfe des Alltags, 1928-1930, Stenotypistin, 1928-1930, Silbergelatineabzug, 23,1 x 17,2 cm, © Nachlass Helmar Lerski, Museum Folkwang, Essen
Eingerichtet hat die sehenswerte Schau die Fotohistorikerin Esther Ruelfs. Sie ist seit 2012 Leiterin der fotografischen Sammlung. Neben dem Kuratieren von Ausstellungen hat sie es sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht, die vorhandenen, zum großen Teil noch ungeordneten Bestände zusammen mit einem kleinen Team von Mitarbeitern zu sichten, dauerhaft zu konservieren und zu ordnen. Herausgekommen ist dabei ein ebenso umfangreicher wie wissenschaftlich anspruchsvoller Bestandskatalog und eben die Ausstellung „ReVision“, die jetzt rund 220 teils nie zuvor ausgestellte Exponate aus den Beständen des Hauses versammelt. Die Heterogenität der Sammlung ist dabei nicht zuletzt am Spektrum der fotografischen Techniken abzulesen, das von frühen Daguerreotypien über Albumindrucke, Gummidrucke, Glasnegative, Silbergelatineabzüge bis hin zu modernen C-Prints reicht.
Hedda Walther, Löwe und Dompteur, um 1930, Silbergelatineabzug, 17,6 x 23,6 cm, © Werner Kourist
„Die Sammlung Fotografie umfasst weit über 75.000 Aufnahmen“, so Esther Ruelfs. „Aus diesem einzigartigen Bestand eine vergleichsweise kleine Auswahl zu treffen und mit dieser Auswahl die Sammlung stellvertretend vorzustellen, war eine großartige und herausfordernde Aufgabe.“ Die Schau ist in fünf Kapitel gegliedert: Porträt, Reportage, Piktorialismus, Reproduktion und Abstraktion. Weltberühmte deutsche und internationale Repräsentanten des Mediums wie Diane Arbus, Duane Michals, August Sander, Hugo Erfurth, Otto Steinert oder Herbert List sind selbstverständlich vertreten. Was die Bestände des MKG jedoch auszeichnet, ist auch die Vielzahl an Exponaten weniger oder nahezu unbekannter Fotokünstler, darunter – in einer Hafenstadt wie Hamburg naheliegend – auch etliche Konvolute mit Reisefotografie aus anderen Kulturkreisen wie Ägypten, Südostasien oder Japan. Und natürlich spielt in der Medien- und Verlagsstadt Hamburg auch die fotojournalistische Annäherung an die Wirklichkeit eine große Rolle. Prominent vertreten etwa durch Thomas Hoepkers Street Photography aus dem gesellschaftlich zerrissenen Amerika der frühen 1960er Jahre.
Heinrich Riebesehl, aus der Serie: „5 Stunden und 35 Minuten mit der Kamera im Fahrstuhl eines Verlagshauses, 20. November 1969, 10:35 bis 12:30, 13:30 bis 17:10 Uhr“, Silbergelatineabzug, 25,8 x 38,3 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn
Den Ausgangspunkt der Schau bilden aber sechs Aufnahmen aus der Porträtserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ des Kölner Fotografen August Sander (1876-1964). Sanders typologischer Blick erfasste alle Alters- und Berufsgruppen, Gesellschaftsschichten, Stadt- ebenso wie Landbewohner. Er war stilprägend für etliche nachfolgende Künstlergenerationen bis hin zu den Vertretern der Düsseldorfer Becher-Schule. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Porträtfotografie unserer Zeit liefert dann die 1945 geborene amerikanische Fotografin Tina Barney. Ihre nahezu lebensgroße Aufnahme „The Young Lady“ (2002) stammt aus der Serie „The Europeans“, in welcher Barney Repräsentanten der europäischen Oberschicht in ihren mit Kunst und Antiquitäten dekorierten Interieurs porträtiert.
Tina Barney, „The Young Lady” aus der Serie “The Europeans”, 2002, C-Print, Edition 1/10, gerahmt, 121,9 x 152,4 cm, © Tina Barney, Courtesy of the artist and Paul Kasmin Gallery
Die New York Times prognostiziert für 2017 die schier unvorstellbare Zahl von 1,3 Billionen Fotos, die weltweit, überwiegend mit Smartphones aufgenommen, auf Internetplattformen hochgeladen – und schnell wieder vergessen werden. Angesichts dieser Bilderflut tut es gut, innezuhalten. Die konzentrierte Auswahl qualitätvoller Fotografie in der Ausstellung „ReVision“ funktioniert wie eine Sehschule. Sie kann auch als Appell an uns alle gesehen werden, genauer hinzuschauen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und vielleicht erst dann auf den Auslöser zu drücken.
Duane Michals, „Nude painting, interior Magritte home“ aus dem Portfolio „A Visit with Magritte by Duane Michals“, 1970er Jahre, Silbergelatineabzug, 17 x 25 cm, © Duane Michals. Courtesy of DC Moore Gallery, New York
Auf einen Blick
Ausstellung: ReVision – Fotografie im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Zeit: bis 17. April 2017, Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr
Katalog: Steidl Verlag, 380 S., 224 Abb., 48 Euro
Internet: www.mkg-hamburg.de
ReVision: Ausstellungsansicht, Foto: Michaela Hille/MKG