„Endlich mal wieder nichts verstehen.“ Das ist das Motto, einer breitan-gelegten Kampagne, mit der der Hamburger Kunstverein jüngst um neue Mitglieder warb. Ein bisschen fragwürdig dürfte hierbei die Auffassung des Kunstvereins über seinen Vermittlungsauftrag erscheinen. Völlig überraschend traf es jedoch drei Ausstellungsbesucher: Denn die machte die Agentur Publicis Pixelpark ohne ihr Wissen zu den Gesichtern der Kampagne.
Der Hamburger Kunstverein feierte dieses Jahr stolzes 200-jähriges Bestehen. Passend dazu eröffnete am 27. Januar mit „The History Show“ das Jubiläumsprogramm. Für die nötige Publicity wollten die Werber von Publicis Pixelpark sorgen. Die Agentur mit einem Zähne fletschenden Löwen auf zu dem Slogan „Lead or Follow“ auf der Homepage lässt verlauten, sie würde nichts geringeres als „Innovation, Kreativität,
Effizienz und Leidenschaft“ produzieren. Sicherlich ging es ihr auch in der Kunstverein-Kampagne um nicht weniger als das.
In den Videos und auf Plakaten lockt der Kunstverein mit den Worten „endlich mal wieder nichts verstehen“. Dazu sieht man drei Personen, die im Pressetext der Agentur unter Version „Junges Mädchen“, Version „Herr mit Jacke“ und Version „Älterer Herr“ laufen. Jedes Gesicht soll eine eigene Geschichte erzählen, eine Identifikationsfläche bieten. Namen sind da irrelevant. Vielleicht ist die unpersönliche Bezeichnung der Protagonisten aber auch eher der Tatsache geschuldet, dass ihre Namen Publicis Pixelpark schlichtweg unbekannt waren. Von offizieller Seite wird erklärt: Für die Werbeaktion seien in Arbeiten der Künstlerin Lily Reynaud Dewar kleine Kameras versteckt worden, die Vernissage-Besucher fotografierten und deren authentische Reaktionen auf die Kunstwerke fest-hielten. So seien vom Fotografen Dirk Weyer „ehrliche Portraits des Nicht-Verstehens“ produziert worden.
Ehrliche Portraits aufgenommen mit einer versteckten Kamera? Das allein klingt schon fragwürdig genug. Dazu kommt, dass die Agentur es auch im Nachhinein versäumt hat, eine Erlaubnis für die Verwendung der Bilder einzuholen. Somit erfuhren die drei unfreiwillig Portraitierten von der Teilnahme in einer groß angelegten Werbekampagne komplett überraschend und erst zu dem Zeitpunkt, als diese schon lief. Was zugegebenermaßen ganz witzig klingt, offenbart jedoch einen bedenklich leichtfertigen Umgang mit den Persönlichkeitsrechten Dritter. Man würde eigentlich meinen, dass sich eine renommierte Agentur mit dem Thema auskennen sollte. Wahrscheinlich hat man sich dort zu sehr auf die hohen Ideale von „Innovation, Kreativität, Effizienz und Leidenschaft“ konzentriert, sodass derart langweilige Formalien nicht für nötig befunden wurden. Hoffentlich hat der Kunstverein in nächster Zeit keine Ausstellung zum Thema Überwachung und Datenschutz geplant. Denn zumindest für die drei Betroffenen dürfte er auf diesem Feld an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben.
Bleibt die Frage: Reicht eine erzwungene „Authentizität“ aus, um „ehrliche Porträts des Nicht-Verstehens“ zu produzieren? Das gestische Repertoire der Protagonisten in den Bildern und Videosein umfasst ein Nicken, ein Kopfschütteln, gekräuselte Lippen, ein Lächeln, hochgezogene Augenbrauen und schließlich bei allen ja – das Betrachten. Nach Auffassung von Publicis Pixelpark sollen das eindeutige Indizien für ein Nicht-Verste-hen sein. Lassen wir Google entscheiden!
Gibt man „Verständnislosigkeit“ in die Bildersuche ein, so taucht als sich wiederholendes Bild einzig ein Piktogramm auf; ein rundes Gesicht mit geradem Mund und Fragezeichen über dem Kopf. Sonst ist allerdings kein universelles Bild zu finden, kein Gesichtsausdruck, der ganz klar Unverständnis mitteilt.
Wie kommt die Agentur also darauf, den nichts ahnenden Besuchern so selbstverständlich ein Unverständnis zu unterstellen? Die Antwort liegt nahe: Es wird sich hier einer Auffassung bedient, die so alt ist wie die Abstraktion. Aktuelle Kunst gilt per se als unverständlich. Timm Weber, seines Zeichens Chief Creative Officer von Publicis Pixelpark, sagt selbst dazu: „Die neuen Eindrücke beim Betrach-ten von Kunstwerken führen beim Betrachter oft zu leichter bis schwerer Ratlosigkeit und Unverständnis“ Die Gleichsetzung des Betrachtens von Kunst mit Unverständnis begründet sich also in der Überzeugung, dieses sei der aktuellen Kunst in jedem Falle inhärent, ja, unausweichlich. Mit dieser Meinung steht Weber bei weitem nicht alleine dar. Tatsächlich machen es die oft vorherrschende Selbstrefentialität in der Kunst und der theoretische Unterbau vieler Arbeiten, dem Publikum nicht selten schwer, gedanklich Schritt zu halten. Doch dafür gibt es Institutionen wie den Kunstverein, deren Aufgabe nicht nur das Zeigen von Kunst, sondern auch die Kunstvermittlung ist. Anders ausgedrückt: Den Betrachtern soll dabei geholfen werden, Bezüge herzustellen und das Gesehene in einen Kontext zu bringen, der ihnen dann im besten Falle ermöglicht, sich über diese von Weber thematisierte „leichte bis schwere Ratlosigkeit“ hinaus zu bewegen. Nur auf diese Weise kann eine Debatte darüber entstehen, warum und ob das Gesehene überhaupt interessant oder wichtig ist.
Bei Publicis Pixelpark – das muss der Agentur zugestanden werden – sieht man auch Licht im Dunkel des Nicht-Verstehens: „Längerfristige und regelmäßige Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst“ (in diesem Kontext ist damit wohl eine Mitgliedschaft im Kunstverein gemeint) führe „zu neuen Sichtweisen, Denkanstößen und Aha-Erlebnissen“. In der Kampagne allerdings bleibt die Möglichkeit von „neuen Sichtweisen“ und „Denkanstößen“ seltsamerweise gänzlich unerwähnt. Natürlich ist das Nicht-Verstehen kein Makel. Doch wenn Unverständnis die einzige Erfahrung ist, die der durchschnittliche Besucher aus dem Besuch einer Ausstellung im Kunstverein mitnehmen kann, drängt sich die Frage auf, ob der Kunstverein nicht an seiner Vermittlung arbeiten sollte. So erscheint das Verstehen als etwas äußerst seltenes, das nur schwer zu erreichen ist und allein einer elitären Minderheit offen steht. Dabei ist nicht das tiefe Eintauchen in die Materie gemeint, das selbstverständlich viel Zeit und Auseinandersetzung in Anspruch nimmt. Gemeint ist vielmehr das Verstehen, das ermöglicht, den Besuch einer Ausstellung als etwas Bereicherndes zu sehen. Deswegen ist es unklar, ob diese Kampagne tatsächlich so ihre Zielgruppe erreicht. Da darin um neue Mitglieder geworben wird, wären das Menschen die sich nicht intensiv mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen, aber nicht unbedingt uninteressiert wären. An-statt Türen zu öffnen, funktioniert der ironisch provokative Ton der Kampagne eher als kleiner Schulterklopfer innerhalb des Zirkels derer, die sich selbst als bereits verständig bezeichnen würden.
Grundsätzlich wäre es wünschenswert, in Bezug auf aktuelle Kunst öfter und selbstverständlicher einen lockeren Ton – wie den der Kampagne – anzuschlagen. Nicht alles muss kontextualisiert und interpretiert werden, vielleicht auch erst recht nicht eine kurzlebige Werbekampagne für den Kunstverein. Doch durch Nichtbeachtung verschwinden Probleme eher selten. Dabei müssen sich Sensibilität und humoristische Provokation nicht ausschließen.
Wie wäre es denn zum Beispiel gewesen, zusammen mit dem Spruch „Endlich mal wieder nichts verstehen“ Menschen auf einer Ausstellung abzubilden, die sich unterhalten, sich etwas durchlesen, die zufrieden aussehen? Wahrscheinlich hätte eine solche Kampagne die Agentur etwas mehr Mühe gekostet, weil Protagonisten hätten ausgewählt und instruiert werden müssen. Wenigstens hätten diese Menschen dann aber gewusst, dass sie gefilmt werden und hätten ihre Zustimmung für die Verwendung der Bilder erteilen können. Ohne Zweifel wären für diese Kampagne leicht Teilnehmer zu finden gewesen, hätten die Agenturmitarbeiter doch nur jemanden gefragt. Zweifellos ist auch, dass sich in den Archiven des Kunstvereins genug Bilder befinden, die Momente gelungener Kunstvermittlung festhalten (zum Beispiel von dem Workshop für Ge-flüchtete – aktuell auf der Homepage des Kunstvereins zu sehen). Aus diesen Bildern, kombiniert mit dem Slogan hätte eine eingängige und ironische Kampagne entstehen können. Aber auch eine Kampagne mit mehr Tiefe, die zeigt, dass der Umgang mit zeitgenössischer Kunst keine Einbahnstraße sein muss.
Scheinbar hat es sich Publicis Pixelpark mit dieser Kampagne, sowohl in der Ausarbeitung als auch in der Durchführung, sehr einfach gemacht. Somit bleibt nach der Betrachtung der Kampagne vor allem Unverständnis zurück. – Aber keins, das zum Feiern anregt.