Provokant, ungeschönt und anrührend: Der Berliner Martin-Gropius-Bau versammelt in der Ausstellung „Enjoy your Life!“ rund 250 Fotografien des in London lebenden deutschen Fotografen Juergen Teller
Gibt es so etwas wie ein Patentrezept für ein gelungenes fotografisches Porträt? Der 1964 in Erlangen geborene und heute in London lebende deutsche Fotograf Juergen Teller bringt seine Methode jedenfalls so auf den Punkt: „Was mich letztlich einzig und allein interessiert, ist die Interaktion zwischen zwei Menschen. Einer von denen bin ich, der Fotograf. Und wenn mich diese Begegnungen berühren, dann ist es gut.“
Der Berliner Martin-Gropius-Bau widmet dem für die provokante und ungeschönte Direktheit seiner Aufnahmen bekannten Fotografen jetzt unter dem Titel „Enjoy your Life!“ eine umfassende Retrospektive. Rund 250 Aufnahmen vermitteln einen profunden Einblick in das extrem vielfältige, mitunter widersprüchlich wirkende Gesamtwerk dieses seit rund 30 Jahren berserkerhaft arbeitenden Fotomaniacs.
Nach einem Studium an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München ging Teller bereits 1986 nach London, befreite sich vom akademischen Ballast seiner Ausbildung und begann, für angesagte Magazine wie i-D, The Face oder Arena zu fotografieren. Immer ganz nah dran an seinen Modellen, aber immer auch mit einem sehr speziellen Blick, der eher die abgründige Schönheit hinter der perfekt geschminkten Fassade sucht, als herkömmliche Klischees der Modefotografie unkritisch zu bedienen. Seinen Durchbruch erzielte er 1991 mit einer Strecke über Kurt Cobain, den zerbrechlichen Sänger der Band Nirvana, der sich drei Jahre später das Leben nehmen sollte.
In den 1990er Jahren wurde Teller zu einem der gefragtesten Modefotografen der Welt – regelmäßige Flüge mit der Concorde zwischen London und New York gehörten damals für ihn zum Arbeitsalltag. Namhafte Labels wie Marc Jacobs, Vivienne Westwood oder Yves Saint Laurent wollten in dieser Zeit weg vom verklärenden Einheitslook standardisierter Fashion-Kampagnen. Tellers Sinn für absurde, obskure oder abgedrehte Bild-kompositionen, für Makel und Ungeschöntes, Nacktheit und Intimität kam offenbar an. Und mit dem für seine freche und unangepasste Art bekannten britischen Anti-Modell Kate Moss hatte er sowieso schon seine Muse gefunden.
Teller jedoch auf einen reinen Modefotografen reduzieren zu wollen, würde ihm keineswegs gerecht werden. Das stellt jetzt auch die Berliner Ausstellung eindrucksvoll unter Beweis. Überraschungen lauern hier an jeder Ecke. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ein ausgesprochener Provokateur wie Teller einfach in den Wald geht und Bäume im poetischen Gegenlicht fotografiert? Oder dass er in einem Anflug aus Selbstironie und kalauerndem Wörtlichnehmen seine Fotos auf Porzellanteller der unterschiedlichsten Formate druckt?
Natürlich dürfen mitunter anzügliche Aufnahmen von Stars und VIPs in der Berliner Ausstellung nicht fehlen. Das tschechische Supermodel Eva Herzigová etwa postiert er vor einer spießigen Schrankwand im alten Bonner Bundeskanzleramt. Und die in den sozialen Netzwerken in Sachen Selfpromotion allgegenwärtige Kim Kardashian lässt er mit nahezu blankem Po einen Erdhügel hochkrabbeln – und macht sie so zur clownesken Karikatur ihrer selbst.
Zu entdecken ist im Martin-Gropius-Bau aber auch ein anderer, sichtlich gereifter und sensibler gewordener Juergen Teller, der sich selbst und seinen aus der Form geratenen Körper schonungslos aufs Korn nimmt und die Höhen und Tiefen seiner Familengeschichte vor dem Betrachter wie ein offenes Buch aufschlägt. Mitunter ist das harte Kost, doch wer sich für ein ungeschöntes fotografisches Abbild unserer Zeit interessiert, sollte sich dem aussetzen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Jürgen Teller. Enjoy your Life!
Ort: Martin-Gropius-Bau, Berlin
Zeit: 20. April bis 3. Juli 2017. Mi-Mo 10-19 Uhr. Di geschlossen
Katalog: Steidl Verlag, 224 S., 245 Farbabb., 19,80 Euro
Internet: www.gropiusbau.de