Spiritualität im Digitalzeitalter: Passend zum 500. Reformationsjubiläum zeigen die Hamburger Deichtorhallen eine große Überblicksschau mit dreizehn Medien-installationen des Amerikaners Bill Viola
Wer durch Feuer? Wer durch Wasser? Wer in der Sonne? Wer in der Nacht? Wer als Strafe Gottes? Wer durch irdisches Gericht? Wer in den Wonnen des Mai? Wer durch Siechtum? Der im vergangenen November verstorbene Sänger Leonard Cohen stellt in seinem von einem jüdischen Gebet aus dem 10. Jahrhundert inspirierten Song „Who by Fire“ existenzielle Fragen, denen sich niemand entziehen kann. Wie und wo werden wir oder diejenigen, die uns nahe stehen sterben? Und was passiert eigentlich danach?
Betritt man die groß angelegte Überblicksausstellung zum Werk des 1951 in New York geborenen Medienkünstlers Bill Viola in den Hamburger Deichtorhallen, so kommt einem Cohens Song gleich in den Sinn. Denn auch in den auf schiere Überwältigung des Betrachters setzenden Klang-Videoinstallationen Violas geht es um die existenziellen Seiten des menschlichen Daseins. Die Schau „Bill Viola – Installationen“ versammelt jetzt dreizehn seiner filmischen Werke aus den Jahren 1992 bis 2014. Der Großteil der Arbeiten wird in Form aufwendiger und technisch perfekter Rauminstallationen präsentiert, einige wenige auf Flachbildschirmen. Violas Protagonisten treten dem Betrachter meist überlebensgroß entgegen. Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow versteht die Schau als Beitrag seines Hauses zum 500. Reformationsjubiläum. Auch ein Gottesdienst ist in der Ausstellung geplant.
Der eigentliche Parcours, der den Besucher durch eine Abfolge verschieden großer Räume vom Hellen ins Dunkle führt, beginnt im hinteren Teil der Halle. Zuvor jedoch, sind in der fast leeren vorderen Hälfte der abgedunkelten Halle zwei der monumentalsten Video-Ton-Installationen Violas im Wechsel zu sehen. Eine zehn Meter hohe vertikale Projektionsfläche hängt hier von der Decke herab. Auf einem großen Teppichbodenquadrat können die Besucher Platz nehmen. Zur Einstimmung in den von mystischen Vorstellungen, trans- und interreligösen Motiven, der Malerei des Mittelalters und der Renaissance gespeisten Bilderkosmos Violas werden hier die aus dem Jahr 2005 stammenden, jeweils rund elfminütigen Werke „Tristan’s Ascension“ und „Fire Woman“ gezeigt. Beide sind ursprünglich für Peter Sellars‘ Inszenierung der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“ entstanden. Ein Mann wird von einem rückwärts fließenden, sich unablässig verstärkenden Wasserfall in ein unbekanntes Nichts gezogen. Eine Frau verschmilzt mit einer Flammenwand. Beide Arbeiten werden vom Klang einer mächtigen Soundanlage begleitet, und beide können als bildgewaltige Metaphern für den Übergang vom Leben zum Tod gelesen werden.
Christliche Mystik, Zen-Buddhismus und islamischen Sufismus nennt Bill Viola als wichtigste Inspirationsquellen. In seiner spirituell aufgeladenen Überwältigungskunst verschmelzen die Körper mit dem Kosmos, schmerzverzerrte Physiognomien spiegeln sich in mal glatten, mal aufgewühlten Wasseroberflächen, und Tränen kullern in extremer Zeitlupe die Wangen der Darsteller herab.
Dass das nicht unbedingt jedermanns Sache ist, war am gut besuchten Vernissageabend zu spüren. Ein Teil des Publikums war sichtlich überwältigt von Violas Kunst, die die großen Fragen der menschlichen Existenz in brillianter technischer Umsetzung erfahrbar macht. Ein anderer Teil gab sich jedoch angesichts des Übermaßes an emotionaler Zwangsvereinnahmung eher genervt.
Am Ende des Parcours steht die vor drei Jahren entstandene Vier-Kanal-Videoinstallation „Earth Martyr – Air Martyr – Fire Martyr – Water Martyr“. Sie zeigt vier Individuen, die durch die Einwirkung der Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser harten physischen und psychischen Prüfungen unterzogen werden. Unbeirrt und voller Willenskraft erdulden sie märtyrerhaft ihr Schicksal und gelangen schließlich durch den Tod ins Licht. Diese Arbeit ist zugleich auch die letzte realisierte Arbeit Bill Violas. Aufgrund einer nach und nach fortschreitenden Erkrankung ist der Künstler, der neben Nam June Paik und Bruce Nauman zu den wichtigsten Pionieren des Mediums Video gehört, nicht mehr in der Lage, neue Arbeiten zu produzieren. Man kann dieses Werk daher als sein künstlerisches Vermächtnis betrachten.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Bill Viola – Installationen
Ort: Deichtorhallen Hamburg
Zeit: bis 10. September 2017. Di-So 11-18 Uhr. Jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr. Mo geschlossen. Pfingstmontag geöffnet
Katalog: Snoeck Verlag, 168 S., 80 Abb., 29,80 Euro (Museum), 36 Euro (Buchhandel)
Internet: www.deichtorhallen.de