Fotografie im Doppelpack: Das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zeigt den US-amerikanischen Magnum-Fotografen Alec Soth und den Hamburger Fotografen Peter Bialobrzeski in zwei sehenswerten Solo-Ausstellungen, die mehr miteinander zu tun haben, als man zunächst vermutet
Vorhang auf für die Herbstsaison 2017 heißt es in diesen Tagen im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen. Doch diese startet in diesem Jahr nicht, wie seit vielen Jahren üblich, mit der Ausstellung „Visual Leader“. Die eitle Selbstbespiegelung der Werbe-, Verlags- und Medienbranche – gezeigt wurden prämierte Kampagnen, Zeitschriftencover, Magazinbeiträge und Online-Strecken – wurde in diesem Jahr kurzfristig abgesagt. Ihr Macher Markus Peichl gab dafür ausgerechnet zum 25. Jubiläum finanzielle Gründe an. Angeblich entwickelt man jetzt ein überarbeitetes Konzept für die Zukunft.
Stattdessen startet das Haus mit gleich zwei spannenden fotografischen Einzelpositionen in die Herbstsaison: Der international gefeierte amerikanische Magnum-Fotograf Alec Soth, Jahrgang 1969, zeigt unter dem Titel „Gathered Leaves“ 65 Werke. Und der vielreisende Hamburger Peter Bialobrzeski, Jahrgang 1961, bildet mit seiner neuen Werkserie „Die zweite Heimat“ den Auftakt der von Kurator Ingo Taubhorn neu initiierten Ausstellungsreihe „Hamburger Helden“, in der zukünftig einmal im Jahr Fotografen aus der Hansestadt vorgestellt werden sollen, die international tätig sind.
Alec Soth stellt mit dem Titel „Gathered Leaves“ eindeutige Bezüge zu Walt Whitman (1819-1892), dem wohl wichtigsten Pionier der modernen amerikanischen Dichtung, her. Dessen über mehrere Jahrzehnte immer wieder erweiterter, hymnischer Gedichtzyklus „Leaves of Grass“ gilt als literarischer Urtext eines von Europa emanzipierten, amerikanischen Selbstbewusst-seins. Alec Soths Aufnahmen hingegen zeigen ein Land, dessen Bewohner eher desillusioniert als stolz wirken – und das lange vor Beginn der Trump-Ära. Von ihm zu sehen sind überwiegend großformatige Fotografien aus den vier zwischen 2004 und 2014 entstandenen Serien „Sleeping by the Mississippi“, „Niagara“, „Broken Manual“ und „Song Book“. Soth, der bis heute in Minneapolis lebt, interessiert sich weitaus mehr für das Leben abseits der großen Metropolen New York und Los Angeles.
Ähnlich wie Robert Frank 1958 in seinem berühmten Fotobuch „The Americans“, spürt auch Soth in seinen sozialkritischen, dabei ebenso poetischen wie von leiser Melancholie geprägten Aufnahmen den Befindlichkeiten seiner Landsleute nach. Die Folie seiner Beobachtungen bilden die teilweise grandiosen, mitunter aber auch öden und tristen Landschaften seiner Heimat. So bereiste er 2004 für sein erstes großes Projekt „Sleeping by the Mississippi“ die Uferzonen des fast viertausend Kilometer langen Flusssystems. Soth stieß dabei auf Prediger und Straßenbauarbeiter, Prostituierte und kauzige Einsiedler. Er fotografierte leerstehende Häuser und den Sperrmüll in den Uferzonen des träge dahin fließenden „Old Man River“, der gelegentlich auch als stets übersehene „Dritte Küste“ der Vereinigten Staaten bezeichnet wird.
Eine andere Terra Incognita der amerikanischen Selbstwahrnehmung bilden die Wüsten und die weitgehend unbesiedelten Gebiete des Landes. Viele seiner Aufnahmen entstehen im Niemandsland des Mittleren Westen. So zeigt er in der Serie „Broken Manual“ männliche Einsiedler, die sich in umgebaute Höhlen oder selbst gebaute Hütten zurückgezogen haben. Geradezu ikonisch geworden ist seine 2002 entstandene Aufnahme „Charles, Vasa, Minnesota“, die einen mittelalten, bärtigen Mann im fleckigen Overall zeigt, der mit nahezu kindlicher Begeisterung zwei Modellflugzeuge in die Kamera hält.
Als zweite Schau präsentieren die Deichtorhallen eine Kabinettsausstellung mit 40 Farbfotografien aus der Werkserie „Die zweite Heimat“ von Peter Bialobrzeski, die zwischen 2011 und 2016 entstanden sind. 15 ältere Aufnahmen aus den Jahren 1983-2005 sind dem Zyklus als Prolog vorangestellt. Eisenhüttenstadt, Haßloch, Bottrop, Offenbach oder die Geburtsstadt des Fotografen, Wolfsburg, gehören zu den Entstehungsorten dieser Serie. Ähnlich wie es der amerikanische Konzeptkünstler und Fotograf Stephen Shore vor fast 40 Jahren in seiner berühmten Serie „Uncommon Places“ vorexerziert hat, begab sich auch Bialobrzeski an eher unspektakuläre Orte und versuchte, dort eine Art gesamtdeutsches Heimatgefühl aufzuspüren. Auf seinen Aufnahmen zu sehen sind Bratwurststände, Tankstellen, Garagentore, Kirmesbuden, Einfamilienhäuser oder Campingplätze. Zwischen 2011 und 2016 sind 30.000 Aufnahmen entstanden. Bialobrzeski selbst bezeichnet seine Methode als „Erforschung der sozialen Oberfläche Deutschlands“.
Heimat dies- und jenseits des Atlantik also. Alec Soth rückt eher den Menschen in den Fokus, Peter Bialobrzeski präsentiert uns dagegen mit nüchterner Präzision die oft übersehenen „Unorte“ bundesrepublikanischer Wirklichkeit. Was beide Fotografen jedoch gemeinsam haben, ist das unbändige Interesse an ihren Sujets und die Fähigkeit, ihre Beobachtungen in ästhetisch überzeugende Bilder umzusetzen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Alec Soth – Gathered Leaves
Ort: Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg
Zeit: bis 7. Januar 2018, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat 11-21 Uhr
Katalog: Keine eigene Publikation. Es sind Restexemplare eines 2015 bei MACK erschienenen Künstlerbuches zum Preis von 65 Euro erhältlich.
Internet: www.deichtorhallen.de
www.alecsoth.com
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Ausstellung: Peter Bialobrzeski – Die zweite Heimat
Ort: Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg
Zeit: bis 7. Januar 2018, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat 11-21 Uhr
Katalog: Hartmann Books, 154 S., 78 Abb., Deutsch/Englisch, 38 Euro (Museum) 45 Euro (Buchhandel)
Internet: www.deichtorhallen.de