Die Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg präsentieren noch bis Ende Januar die bislang größte Einzelausstellung des in erster Linie als Zeichner bekannten Berliner Künstlers Ralf Ziervogel
Es ist ein zutiefst verstörender Bilderkosmos, mit dem sich der Berliner Zeichner Ralf Ziervogel, Jahrgang 1975, in der letzten Dekade in den internationalen Kunstbetrieb eingeschrieben hat. Die nackten Körper von Frauen, Männern und Kindern sind auf- und auseinandergeschnitten, Köpfe werden mit raketenartiger Geschwindigkeit vom Rumpf abgesprengt, mit Drähten fixierte Zehen streckbankartig vom Fuß getrennt. Anatomische Details sind hier mit geradezu naturwissenschaftlicher Akkuratesse ausgeführt – bestialische und pornografische Motive werden nicht ausgespart. Das Ganze kommt jedoch im distanzierenden Duktus geradezu altmeisterlich ausgeführter Tuschezeichnungen in monochromem Schwarz auf hochwertigem weißen Zeichenpapier daher. Häufig gespickt sind viele Blätter noch mit endlosen Aneinanderreihungen von Four-Letter-Words und anderen Beschimpfungen, die jedoch nur entziffern kann, wer besonders nah rangeht.
Das chaotische All-Over seiner extrem detailreichen Höllenritte durch das Repertoire sadistischer Fantasien enthält daneben allerlei weitere, eher zeitgeistige Details: Mal gibt es da einen DJ mit Irokesenschnitt, der das Grauen am Mischpult zu orchestrieren scheint, dann wiederum jagen Injektionsspritzen wie Geschosse durch den Bildraum, und regelmäßig tauchen auch Anspielungen auf angesagte Lifestyle-Accessoires wie Handys und Tablets oder auf Mode-Labels wie Adidas, Puma oder Hugo Boss auf.
Wenn man die meist sehr großformatigen, äußerst penibel und mit feinsten Strichen ausgeführten Tuschezeichnungen anschaut, denkt man aber unweigerlich auch an die Kriegsszenarien von Francisco de Goya, die Fabelwesen von Hieronymus Bosch, japanische Farbholzschnitte und Manga, die dystopischen Modellbaulandschaften der britischen Brüder Jake und Dinos Chapman oder Comics der etwas härteren Gangart. Ralf Ziervogel behauptet jedoch kokett, Comics hätten ihn nie interessiert.
Die oftmals brutale Fantasiewelt auf seinen in völlig freier Komposition entstehenden Zeichnungen, die seit Anfang der 2000er Jahre entstehen, ist geprägt von einer oft machohaft wirkenden Attitüde und einem sich – zumindest auf den ersten Blick – an Gewaltfantasien delektierenden Gebaren, das durchaus an literarische Männerfantasien wie Ernst Jüngers kriegs-verherrlichenden Roman „In Stahlgewittern“ denken lässt. Oder ist das alles nur eine ins Groteske gewendete, zeichnerische Fabulierlust, die ein bürgerliches Publikum ebenso provozieren wie verführen will? Vom wortkargen Künstler gibt es dazu keine Kommentare.
Unter dem ambivalent gehaltenen Titel „AS IF“ ist jetzt in der mit den Hamburger Deichtorhallen assoziierten Sammlung Falckenberg die bislang größte Einzel-ausstellung von Ralf Ziervogel zu sehen. Ausgangspunkt der sich über vier Etagen erstreckenden Schau ist ein großes Konvolut von Werken, die der Sammlung Falckenberg gehören. Ergänzt wird die rund 130 Werke umfassende Ausstellung um zahlreiche Leihgaben, überwiegend aus Privatsammlungen und dem Besitz des Künstlers. Neben Zeichnungen verschiedenster Formate sind auch einige Videoarbeiten und frühe Installationen zu sehen.
Die umfangreiche Hamburger Ausstellung beschränkt sich also nicht nur auf Ziervogels großformatige Zeichnungen. Sie gibt – und das dürfte für einige Betrachter dann doch überraschend sein – auch Einblicke in seine neueren, wesentlich abstrakteren Arbeiten. So entstehen seit 2014 sogenannte „Körperzeichnungen“. Ziervogel scheint hier die ultramarinblauen, weiblichen Körperabdrücke eines Yves Klein aus den 1960er Jahren in Erinnerung zu rufen, wenn er seinen eigenen Körper mit schwarzer Farbe versieht und Fragmente davon immer wieder auf großformatige Papierbahnen drückt. Dass der Betrachter auch hier wieder mit der ostentativ zur Schau gestellten Virilität des Künstlers konfrontiert wird, versteht sich bei Ziervogel wohl von selbst.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Ralf Ziervogel – As If
Ort: Deichtorhallen Hamburg. Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg
Zeit: bis 27.1.2019. Jeden 1. Sonntag im Monat 12-17 Uhr ohne Anmeldung
In der restlichen Zeit ist die Ausstellung nur im Rahmen einer Führung zugänglich, zu der eine Anmeldung erforderlich ist.
Führungen: Do und Fr 18 Uhr, Sa und So 12 und 15 Uhr
Anmeldung unter: www.deichtorhallen.de/fuehrungen oder Tel: 040-32506762
Email: sammlungfalckenberg@deichtorhallen.de
Katalog: Snoeck Verlag, 184 S., 140 Abb., 42 Euro (Museum), 48 Euro (Buchhandel)
Internet: www.deichtorhallen.de