Mit der Ausstellung „Social Design“ zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, wie Gestalter, Künstler, Architekten und Aktivisten ihr kreatives Können für alle Schichten der Gesellschaft nutzbar machen – insbesondere auch für die Unterpriviligierten
Ein „Solarkiosk“ irgendwo in Afrika. Genauer gesagt, dort, wo der Strom eben nicht aus der Steckdose kommt, weil es diese gar nicht gibt. Das mit Solartechnik betriebene, zerlegbare und daher leicht transportable Modul sichert die Existenz ganzer Familienverbände. Im Franchise-System werden die mobilen Boxen, die von dem Berliner Architekturbüro Graft entwickelt wurden, meist von Frauen betrieben. Ein „Solarkiosk“ ist ein Stück autonomer Infrastruktur in strukturell schwachen Gebieten, eine Mischung aus Mini-Lebensmittelladen, Gaststätte, Versammlungsort oder Aufladestation für Mobilgeräte. Und gut gestaltet ist er auch noch. Ein perfektes Beispiel also für das, was man heutzutage unter „Social Design“ versteht.
Das gleichnamige Ausstellungsprojekt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) widmet sich jetzt diesem zunehmend wichtigeren Aspekt des Designs, der besagt, „dass man sich bei der Entstehung eines Produkts schon Gedanken über gesellschaftliche Zusammenhänge macht“, erläutert Tulga Beyerle, die Direktorin des MKG. Kuratorin Angeli Sachs hat diese brandaktuelle Ausstellung ursprünglich für das Museum für Gestaltung in Zürich entwickelt. Am MKG wurde sie noch um einige spannende Hamburger Projekte erweitert. Unter „Social Design“ versteht Sachs „eine Gestaltung für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft auf der Basis von Dialog und Partizipation“. Gerade in Zeiten neuer gesellschaftlicher Realitäten, die die Menschen verunsichern wie Klimawandel, Endlichkeit der Ressourcen, Rechtspopulismus und ungleichen Bildungschancen werde die Zukunft als Bedrohung empfunden. „In solchen Zeiten wird Design immer wichtiger“, so Angeli Sachs.
Die Ausstellung „Social Design“ stellt anhand von Fotos, Displays, Produkten, Videos und Texttafeln viele Beispiele für nachhaltige Produktion, pfiffige Lösungen mit Menschen vor Ort und einen kreativen Umgang mit Ressourcen und Energie rund um den Globus vor. Aufgeteilt in sechs Kapitel, darunter „Umwelt“, „Urbaner Raum und Landschaft“ oder „Migration“ macht die sehenswerte Schau klar, dass, egal ob in Entwicklungsländern oder in Europa, der Umgang mit schön und funktional gestalteten Dingen lebensverbessernd wirken kann.
So hat das Kollektiv „Assemble“ in Liverpool für das abbruchreife Viertel „Granby Four Streets“ eine nachhaltige Zukunftsvision entwickelt, bei der es um Nachbarschaftshilfe, Eigeninitiative und den behutsamen Erhalt der viktorianischen Bausubstanz ging. Im Jahr 2015 erhielt „Assemble“ sogar den renommierten Turner Prize für dieses Projekt. In Workshops hergestellte Keramik und Kacheln sind in Großbritannien mittlerweile ein Renner, so dass das Projekt auch kommerziell erfolgreich ist.
Das Architekturbüro „AllesWirdGut“ aus Wien hat zusammen mit dem Künstler Daniel Büchel ein ehemaliges Seniorenheim der Caritas nachhaltig und sozial engagiert zu einem Hotel namens „magdas“ umgebaut. Aus altem Mobiliar entstanden durch kreatives „Upcycling“ geschmackvolle neue Möbel. Zudem bieten 20 neue Arbeitsplätze Geflüchteten eine neue Existenz. 2015 gab es dafür den Österreichischen Staatspreis für Design.
Der in Berlin ansässige Architekt Diébédo Francis Kéré stammt ursprünglich aus Burkina Faso. Kéré, der übrigens auch das Operndorf Afrika für Christoph Schlingensief entworfen hat, beweist mit einem gemeinschaftlich geplanten Schulneubau in seiner alten Heimat, dass man regionale Ressourcen wie Eukalyptusholz und lokal produzierte Baumaterialien sinnvoll, effektiv und überaus ästhetisch einsetzen kann.
Der Hamburger Handweber Andreas Möller hingegen hat einen voll funktionstüchtigen Webstuhl aus überall auf der Welt verfügbaren, kostengünstigen Materialien wie Holz und Pappe entwickelt. Seine Bauanleitung setzten bereits zahlreiche kleine Handwerker in Afrika und Indien um. Fans hat seine Idee aber auch in den USA, Dänemark oder den Niederlanden. Somit ermöglicht er lokalen Produzenten eine wichtige Existenzgrundlage und durchbricht die Abhängigkeit von teuren Herstellern.
Um die Unabhängigkeit von industriellen Maschinen geht es auch den Betreibern des 2014 gegründeten „Fab Lab St. Pauli“, die in ihren nicht-kommerziellen Produktionsstätten für Jedermann 3D-Drucker oder andere normalerweise der Großindustrie vorbehaltene Maschinen zur Verfügung stellen. Auch hier geht es um Nachhaltigkeit, das Herstellen von Ersatzteilen und den Grundsatz „Reparieren statt neu kaufen“.
Ein weiteres Beispiel für ein Hamburger Projekt des „Social Design“ ist das Label „Vagabunt“. Hier entwerfen sozial benachteiligte Jugendliche eigene Modekollektionen, die sie mit professioneller Hilfe vermarkten. Ein besonderer Hingucker für das MKG mit seiner großen Mode-Sammlung.
„Diese Ausstellung ist kein perfekt abgeschlossenes Projekt“, sagt Tulga Beyerle. Bis Ende Oktober 2019 wird „Social Design“ in einer partizipatorisch-offenen Art und Weise weiterentwickelt. Eingeladen hat Beyerle auch das Berliner Gestalter-Kollektiv „Construct Lab“, das neue Design-Ideen für die dem Museum unmittelbar gegenüberliegende Drogenkontaktstelle „Drob Inn“ entwickeln soll. Auf jeden Fall will „Social Design“ innovative Lösungen aufzeigen, die Netzwerkbildung anregen und in Zeiten von Schülerdemonstrationen für den Klimaschutz neue Denkanstöße geben für eine lebenswertere Zukunft ohne schlechtes Gewissen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Social Design
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe (MKG), Hamburg
Zeit: 29. März bis 27. Oktober 2019. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr.
Katalog: Lars Müller Publishers, 192 S., 242 Illustrationen, 25 Euro
Internet: www.mkg-hamburg.de