Am Wochenende vor der Art Basel trafen sich jetzt internationale Sammler und Kunstprofis auf dem zweiten Zürich Art Weekend. Das dreitägige Programm mit Ausstellungen, Talks, Performances und Partys konnte sich sehen lassen
Das Löwenbräu-Areal in der Zürcher Limmatstraße war am vergangenen Wochenende einer der Hot Spots für Kunstliebhaber aus der ganzen Welt. Egal, ob aus New York angereiste asiatisch-stämmige Kunststudentinnen, Sammlerpaare aus Berlin oder Galeristen aus Beijing – sie alle trafen sich wenige Tage vor der Art Basel, der nach wie vor wichtigsten Kunstmesse der Welt, im nahe gelegenen Zürich zur zweiten Ausgabe des Zürich Art Weekends (ZAW). Und das Programm konnte sich sehen lassen. Die rund 20 wichtigsten Zürcher Galerien warteten mit teils hochkarätigen Präsentationen auf. Dazu kamen die Ausstellungen in den wichtigen Museen und Ausstellungshäusern der Stadt, die durchweg ein hohes internationales Niveau aufweisen.
Ebenfalls ins Programm aufgenommen wurden acht lokale Off-Spaces, die in Zürich mit seiner vitalen Kunstszene stets für Überraschungen und Neuentdeckungen gut sind. Performances, Book-Signings, Poster-Give-Aways, Release Partys, Konzerte, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Künstlergespräche und Kuratorenführungen machten das Zürich Art Weekend zu einem spannenden Kunstevent mit vielen Alleinstellungsmerkmalen gegenüber ähnlichen Veranstaltungen in Berlin oder Brüssel etwa.
Die dichteste Konzentration von Galerien findet der Zürich-Besucher im 2012 komplett renovierten Löwenbräu-Areal im Zürcher Westen. Neben etablierten Galerien wie Barbara Seiler, die mit der neuen, literarisch inspirierten Serie „Den Haag – Zürich, 1934-1936“ (bis 6. Juli) erstmals Leinwandarbeiten des niederländischen Zeichners Marcel van Eeden präsentierte, oder Gregor Staiger, dessen abgedrehte Ausstellung mit aufregenden Objekt-Gemälden der Londoner Performance-Künstlerin Monster Chetwynd (bis 20. Juli) schnell zum Talk of the Town wurde, machen im Löwenbräu-Areal auch die beiden auf eher konzeptuelle zeitgenössische Kunst spezialisierten Institutionen Migros Museum für Gegenwartskunst und Kunsthalle Zürich auf sich aufmerksam.
Das Migros Museum zeigt unter dem Titel „Languages of Dissent“ (bis 18. August) eine umfassende Werkschau des 1943 in London geborenen, britischen Konzeptkünstlers Stephen Willats mit vielen politisch unterfütterten Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren. In der Kunsthalle Zürich hingegen wird der norwegische Shooting Star Ida Ekblat mit neuen skulpturalen Arbeiten, originellen Sitzbänken und farbenfrohen, graffitiartigen Gemälden gefeiert (bis 8. August).
Die 1992 gegründete, international operierende Galerie Hauser & Wirth eröffnete dann am Samstag die mit Spannung erwartete Ausstellung „Louise Bourgeois & Pablo Picasso: Anatomies of Desire“ in ihrem Zürcher Headquarter. Mit der französischen Kuratorin Marie-Laure Bernadac hat sich die Blue Chip-Galerie eine sowohl auf das Werk Pablo Picassos als auch auf die Arbeit von Louise Bourgeois spezialisierte Fachfrau an Bord geholt. Marie-Laure Bernadac kann auf Tätigkeiten im Louvre, dem Musée Picasso und dem Centre Pompidou zurückblicken. Obwohl sich der spanische Ausnahmekünstler und die spät entdeckte, in Paris geborene New Yorkerin niemals persönlich begegnet sind, ist bekannt, dass Louise Bourgeois die Arbeit von Pablo Picasso sehr schätzte und ihn als Künstler für überaus authentisch hielt. In der präzise und auf Museumsniveau kuratierten Ausstellung werden in spannenden Gegenüberstellungen Themen wie Sexualität, Gewalt, Körperlichkeit und Paarbeziehungen in den Fokus gerückt. Insgesamt sind 90 Werke, darunter Gemälde, Skulpturen, Arbeiten auf Papier und Objekte zu sehen.
Im zweiten Galerieraum von Hauser & Wirth im zweiten Stock des Löwenbräu-Areals hat dann die Kunsthistorikerin Angela Thomas, die zweite Frau und Witwe des Schweizer Architekten und Bauhaus-Künstlers Max Bill eine kunsthistorisch sehr aufschlussreiche Präsentation mit Arbeiten und Hinterlassenschaften des 1994 verstorbenen Konstruktivsten zusammengestellt. Neben hochkarätigen Gemälden und Skulpturen ist in der Schau auch selten gezeigtes Archivmaterial aus der privaten Sammlung des Bauhaus-Künstlers zu sehen. Fotografien, Zeichnungen, Briefe, Dokumente und Arbeiten befreundeter Künstler wie T. Lux Feininger, Paul Klee, Vassily Kandinsky oder Hilde Rantzsch machen den Weg Max Bills vom jungen Autodidakten in Zürich zum dreifachen Documenta-Teilnehmer und gefeierten Träger des Premium Imperiale nachvollziehbar.
Wer den dezent aufgesprühten, weißen Pfeilen auf dem Boden folgte, konnte in einem noch weitgehend original belassenen, ehemaligen Silo des Löwenbräu-Areals den Auftritt der chinesischen Gastgalerie Magician Space erleben. Kein Geringerer als der Schweizer China-Spezialist und Sammler Uli Sigg hatte zwei Galerien aus Beijing ausgewählt, die in Kooperation mit dem Gallery Weekend Beijing beim Zürich Art Weekend zu Gast sein durften.
Während die in Asien äußerst erfolgreiche Galerie Tang Contemporary Art eine Ausstellung des Konzeptkünstlers Zhao Zhao mit nach Zürich gebracht hatte, sorgte der Magician Space mit der Soloschau „Hypercenter“ von Jiang Zhi für Aufmerksamkeit. In seiner auf den Boden projizierten Videoinstallation „Tremble“ (2009) sind sieben unbekleidete Menschen in alltäglichen Posen zu sehen, deren Muskelpartien unablässig zittern, so als litten sie unter dem Parkinson Syndrom oder wären unter Strom gesetzt. Das Phänomen des Tremors als Metapher für die Fremdbestimmung des Individuums in Zeiten digitaler Überwachung durchzieht verschiedene Serien des 1971 geborenen, mehrfach ausgezeichneten Künstlers (bis 22. Juni).
Nur ein paar hundert Meter vom Löwenbräu-Areal entfernt zeigte die Galerie Peter Kilchmann in der Zahnradstraße gleich drei im Ausstellungskontext zur Zeit sehr gefragte weibliche Positionen. Die in Berlin lebende Italienerin Monica Bonvicini überzeugte in ihrer existenziellen Solo-Show „bind me! torture me!“ mit starken Setzungen in den Medien Malerei, Skulptur und Installation. Höhepunkt der Eröffnung war hier aber die stimmgewaltige Performance einer physisch äußerst präsenten Darstellerin vom Zürcher Schauspielhaus, die zu Texten aus Puccinis „Turandot“ mit zwei von LEDs beleuchteten Käfigen auf Rollen zu kämpfen hatte. Im Projektraum dann ein völliges Kontrastprogramm: Die mehrfarbigen Lithografien auf Baumwollpapier der in Teheran geborenen Schweizer Künstlerin Shirana Shahbazi entstanden während eines Indien-Aufenthalts. Vervollständigt wurde das Frauenpower-Trio durch die 1938 geborene kolumbianische Künstlerin Beatrice González, deren plakative Motive zur Zeit auch im Zürcher Stadtraum überaus präsent sind (alle bis 26. Juli).
Nicht nur die Galerie-Ausstellungen beim Zürich Art Weekend bestachen durch ihre hohe Qualität. Auch in den Museen außerhalb des Kulminationspunktes Löwenbräu-Areal wird zur Zeit in Zürich Kunst auf höchstem Niveau gezeigt. Ein kunsthistorisches Highlight dieses Sommers ist sicherlich die Mitte Mai eröffnete Gruppenausstellung „Spiegel. Der Mensch im Widerschein“ im Museum Rietberg. Hier hat der Schweizer Kurator Albert Lutz einen fulminanten Parforceritt zum Thema Spiegel in der Kunst- und Kulturgeschichte unternommen, der von frühgeschichtlichen Spiegel-Exponaten über Gemälde aus allen Epochen bis hin zu zeitgenössischen Spiegelarbeiten etwa von Gerhard Richter oder Anish Kapoor reicht. Es ist die letzte von Albert Lutz kuratierte Ausstellung vor seiner Pensionierung.
Einen breiten Raum nimmt auch das Motiv des Spiegels in der Fotografiegeschichte ein mit wegweisenden Selbstporträts etwa von Claude Cahun oder Ilse Bing aus den 1920er und 1930er Jahren bis hin zur berühmten Badezimmer-Aufnahme von Nan Goldin. Eine weitere Besonderheit der sehenswerten Ausstellung sind zahlreiche Kabinette, in denen Ausschnitte aus Kinofilmen das Thema Spiegel auf ganz unterschiedliche Art und Weise reflektieren. Von Wim Wenders „Paris Texas“ über Martin Scorseses „Taxi Driver“ bis hin zu verschiedenen Versionen von Dracula-Gruselklassikern ist hier alles vertreten – ein Augenschmaus nicht nur für Cineasten (bis 22. September).
In der Schweiz noch ein Geheimtipp, einem größeren Publikum jedoch spätestens seit ihrem Auftritt auf der Biennale Venedig 2017 bekannt, als sie dort den Dänischen Pavillon bespielte, ist die Dänin Kirstine Roepstorff. Im Haus Konstruktiv zeigt sie unter dem Titel „Ex Cave“ eine spektakuläre Gesamtinstallation mit Betonelementen, Skulpturen, Gemälden, Glasvitrinen und Collagen im Dämmerlicht. Der Besucher durchschreitet die zwei oberen, dezent ausgeleuchteten Ausstellungsetagen, die abwechselnd mit knirschendem Schotter und weichem Sand ausgelegt sind. Ein stimmiges Raumkonzept mit vielen formschönen Elementen und poetisch betitelten Einzelarbeiten (bis 8. September).
Die auf dem Zürich Art Weekend eröffneten Ausstellungen sind während der Art-Basel-Woche fast alle noch geöffnet – viele auch weitaus länger. Viele Sammler und Kunstfreunde werden sich sicherlich auch während der Art Basel auf den Weg nach Zürich machen, um sich eine Auszeit vom Messetrubel zu gönnen und die ein oder andere Schau anzusehen. Auch wer sich für hochwertige Kunstpublikationen interessiert, hat seit dem letzten Wochenende in Zürich eine neue Anlaufstelle. Der Verlag Hauser & Wirth Publishers eröffnete am Samstag in den ehemaligen Räumen der 1925 gegründeten, lange Zeit auf Exilliteratur spezialisierten Buchhandlung Oprecht & Helbling einen neuen repräsentativen Bookstore. Hier in der Rämistraße, direkt gegenüber der Kronenhalle und unweit des Galerienquartiers Bellevue kann man nicht nur den gerade erschienenen, vorzüglichen Katalog zur Ausstellung „Louise Bourgeois & Pablo Picasso“ erwerben.
Auch zahlreiche weitere Titel aus dem umfangreichen Verlagsprogramm sind in der neuen Verlagsbuchhandlung erhältlich. So auch der frisch erschienene Interviewband „Der innere Spiegel“. Auf knapp 200 Seiten sind hier Gespräche zwischen Michaela Unterdörfer, der Verlagsleiterin von Hauser & Wirth Publishers, und der Kuratorin Laura Bechter mit der Galeriegründerin und Sammlerin Ursula Hauser versammelt. Ursula Hauser schildert in diesen Gesprächen sehr offen ihren persönlichen Werdegang, sie erzählt von prägenden Reisen und inspirierenden Begegnungen mit Künstlern und vor allem auch Künstlerinnen. Ein historischer Bücheraufzug sowie eine kleine Sonderausstellung zur Geschichte der ehemaligen Buchhandlung Oprecht & Helbling im ersten Stock machen die galerieeigene Buchhandlung zu einem spannenden neuen Recherche-Ort und Treffpunkt für Angehörige der Kunstszene und Liebhaber schöner Bücher.
www.zurichartweekend.com