In ihrer ersten Einzelausstellung als bildende Künstlerin verwandelt die international gefeierte kanadische Electroclash-Queen Peaches den Kunstverein in Hamburg in einen genreübergreifenden Erlebnispark voller Sex, Humor und subtiler Gesellschaftskritik
Es sollen sich sogar schon Peaches-Fans aus Paris gemeldet haben, die spontane Fahrgemeinschaften bilden wollen, um zu diesem Ereignis nach Hamburg zu reisen. Und auch ein extra gecharterter Bus aus Berlin war zur Eröffnung am Freitagabend unterwegs. Der Grund: Peaches ist in der Stadt. Die feministisch-queere Undergroundmusikerin, bekannt für ihre aufwändigen Bühnenshows und ihren offenen, mitunter provokanten Umgang mit allen möglichen Spielarten der Sexualität, zeigt im Kunstverein in Hamburg jetzt unter dem Titel „Whose Jizz Is This?“ ihre erste institutionelle Einzelausstellung als bildende Künstlerin. Der Slang-Ausdruck „jizz“ steht im Übrigen für Sperma. „Es ging uns nicht darum zu zeigen, wie man aus einer Musikerin eine Künstlerin macht“, betont Bettina Steinbrügge, die Direktorin des Kunstvereins in Hamburg. Vielmehr gehe es darum, in einem Performancedisplay mit vielen Bühnenelementen eine „intelligente Popstar-Ausstellung“ zu entwickeln. „Ein Transfer, der, so glauben wir, gelungen ist“, so Steinbrügge.
In einer Kooperation mit dem gerade eröffneten Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel wird dann am kommenden Donnerstag sowie an den zwei darauffolgenden Abenden die Weltpremiere des neuen Bühnenstücks von Peaches gezeigt. Der in Berlin lebende kanadische Underground-Star ist bereits seit einer ganzen Weile in Hamburg, nicht nur um die Ausstellung im Kunstverein zusammen mit Architekten, Lichttechnikern, Assistenten und Performern zu installieren. Auch für die Bühnenshow mit dem Titel „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ wurde bereits intensiv mit fast 40 Performern, Musikern und Tänzern geprobt.
Das transdisziplinäre Arbeiten, für das die Musikerin, Performerin, Gender-Aktivistin und bildende Künstlerin Peaches steht wie kaum eine andere, bestimmt seit vielen Jahren auch das Programm im Kunstverein in Hamburg. Dazu Bettina Steinbrügge: „Ich glaube, dass es heute eine Zeit ist, wo es unheimlich viele Überschneidungsmöglichkeiten gibt, die interessant sind.“
Was ist in der Ausstellung „Whose Jizz Is This“ zu sehen? Die von einer eigens komponierten Klanglandschaft und einer ausgetüftelten Lichtdramaturgie unterlegte Show versteht sich als „dekonstruiertes Musical“. Peaches selbst bezeichnet sie als „eine postmoderne Oper in einer immersiven Installation“. Die begehbare Show ist in 14 Szenen unterteilt, in welchen jeweils kleine Geschichten erzählt werden. In dem rund eine Stunde dauernden, choreographierten Rundgang geht es unter anderem um die Auflösung tradierter Geschlechterzuschreibungen.
Dabei stehen im Mittelpunkt einer jeden Station animierte, beleuchtete und skulpturale Sexspielzeuge, die offenbar speziell für die männliche Masturbation designt wurden. Diese aus Silikon gefertigten sogenannten „Double masterbators“ reduzieren den weiblichen Körper auf lediglich zwei Öffnungen: Vagina und Mund. Das Video „Have An Awesome Day“ im Eingangsbereich der Schau preist die Vorzüge des handlichen Accessoires im marktschreierischen Stil eines Shopping-Kanals an. Bei Peaches jedoch brechen diese radikal reduzierten Surrogate des Körperlichen aus ihrer Versklavung durch die wohl überwiegend männlichen Konsumenten aus und reklamieren für sich ein selbstbestimmtes Eigenleben.
So erzählen sie in dem grotesk-humorvollen Video „Fake It Till You Make It“ von ihrer eigenen Lust und Lustlosigkeit, ihren Begierden, Gefühlen, Zwängen und (Zukunfts-)Ängsten. Die von ihren Besitzern achtlos auf der Fensterbank oder auf dem Schreibtisch abgelegten oder im Kühlschrank zwischen Lebensmitteln versteckten „Sexualhilfsmittel“ begehren also auf. Sie nennen sich plötzlich „Fleshies“ und verbünden sich gegen ihre Benutzer. Am Ende des mit Höhen und Tiefen gespickten Parcours‘ steht eine autarke Gemeinschaft der Sexspielzeuge, die die Zudringlichkeiten ihrer im wahrsten Sinne des Wortes penetranten Anwender hinter sich gelassen hat.
Durchgängiges Motiv der Schau ist die variantenreiche Präsenz der als „Double masterbators“ oder „Fleshies“ bezeichneten Sex-Toys. Sie tauchen auf Bannern auf, als leicht lädierter Ausstoß maschinenartiger Produktionsstätten oder als discoartig beleuchtete Akkumulation.
Alles nur ein frivoler Spaß-Parcours für Fans der kanadischen Electropunk-Queen? Keineswegs! Peaches’ ironisierende Vermenschlichung der zur billigen Massenware verkommenen Silikon-Geschlechtsteile weist neben subtiler Kritik an der Kommodifizierung des weiblichen Körpers auch zahlreiche kunstgeschichtliche Bezüge auf. Die in „Fake It Till You Make It“ unablässig über ihr Schicksal räsonierenden Münder zum Beispiel erinnern an die sogenannten „Dummies“ in den unheimlich aufgeladenen Videoskulpturen des kalifornischen Künstlers Tony Oursler. Bei anderen Arbeiten entdeckt man Bezüge zu Hans Bellmers Fotografien von verrenkten Puppen aus den 1930er Jahren. Doch auch Cindy Shermans geradezu inflationärer Umgang mit Körperteil-Prothesen und anatomischen Modellen oder die überästhetisierten Aufnahmen von Bondage-Girls des japanischen Fotokünstlers Nobuyoshi Araki kommen einem beim Rundgang durch dieses ebenso innovative wie kurzweilige Klang-, Licht- und Skulpturen-Environment in den Sinn.
Eine maschinenähnliche Skulptur und der titelgebende, ziemlich spektakuläre Springbrunnen ganz hinten in der Ausstellungshalle erweisen sich wiederum als postfeministische Adaptionen und Wiedergängern einer für den öffentlichen Raum entwickelten kinetischen Kunst, wie sie seit den 1960er Jahren von Protagonisten wie Jean Tinguely oder Niki de Saint Phalle praktiziert wurde.
Egal ob als Musikerin, Performerin, Choreographin, DJ oder Aktivistin. Bei allem, was sie macht, bricht die 1966 als Merrill Beth Nisker in Toronto geborene Allround-Künstlerin Peaches auf humorvoll-entwaffnende Art und Weise sexuelle Tabus und stellt tradierte Rollenzuschreibungen radikal in Frage. Gleichzeitig dekonstruiert sie aber auch die lange Zeit dominierende Vorstellung vom primär männlichen Popstar, indem sie eine neue Art der pansexuellen Bühnenpräsenz erfindet, die sie jetzt auf ihre Ausstellung im Kunstverein in Hamburg überträgt. Banner, Spotlights, Sounds, Peepshow-Elemente, Vorhänge, Podeste und Videoscreens lassen die Hamburger Ausstellung zu einem viele Genregrenzen überschreitenden Erlebnisparcours werden, auf dem auch der Besucher zum Performer wird.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Peaches – Whose Jizz Is This?
Ort: Kunstverein in Hamburg
Zeit: 10.8. bis 20.10.2019. Di-So 12-18 Uhr
Katalog: Kurzführer, 20 S., 0,50 Euro
Künstlerinnengespräch: 24.8. um 15 Uhr
Internet: www.kunstverein.de
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Peaches beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel:
„There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“, Welt-Premiere: Do 15.8. um 19:30 Uhr. Weitere Vorstellungen: Fr 16.8. um 19:30 Uhr und Sa 17.8. um 21 Uhr