Kräfte bündeln: In München haben sich führende Galerien, Museen und Privatsammlungen zu dem innovativen Format „Various Others“ zusammengeschlossen. Der Ausstellungsreigen im Herbst lockt auch viele auswärtige und internationale Kunstinteressierte in die bayerische Metropole
Die Premiere des neuen Münchner Ausstellungs- und Veranstaltungsformats „Various Others“ im Herbst 2018 war offenbar ein voller Erfolg. Nicht anders ist zu erklären, dass die Veranstalter, ein Zusammenschluss von rund 20 Galerien, Off-Räumen, Privatsammlern, aber auch den großen Münchner Institutionen wie Haus der Kunst, Lenbachhaus, Museum Brandhorst, Pinakothek der Moderne oder Museum Villa Stuck, sich in diesem Jahr noch weitaus mehr ins Zeug gelegt haben, um „Various Others“ dauerhaft als attraktives Auftaktformat zum Münchner Kunstherbst zu etablieren. Durchaus auch im Wettbewerb mit Berlin, denn die Berlin Art Week und die art berlin – Fair for modern and contemporary art fanden parallel zum Münchner Eröffnungswochenende statt. „Wir wollen die Stärke Münchens nach außen tragen. Wir wollen zeigen, dass München ein internationaler Standort mit internationaler Strahlkraft ist“, sagt die Mit-Initiatorin Sarah Haugeneder, Vorstandsmitglied von Various Others. „Nur durch Kollaborationen können wir wachsen.“
Am vergangenen Sonntag ist jetzt auch die zweite Ausgabe von Various Others zumindest offiziell zu Ende gegangen, obwohl etliche der Ausstellungen auch über die Mindestlaufzeit hinaus noch in den nächsten Wochen und Monaten zu sehen sind.
Den Auftakt der zahlreichen Eröffnungen, Performances, Panel-Diskussionen, Vorträge und Screenings während des Opening Weekends vom 12. bis 16. September bildete die gut besuchte Eröffnung der Ausstellung „Markus Lüpertz. About the Art of Pictures“ im Haus der Kunst. Nach dem Tod des langjährigen, international ausgerichteten Direktors Okwui Enwezor, hat das Haus verschiedene, von Enwezor noch geplante, wesentlich ambitioniertere Ausstellungsprojekte, so zum Beispiel die monografischen Schauen zum Werk der beiden US-Künstlerinnen Joan Jonas und Adrian Piper, abgesagt und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Mit Lüpertz wird jetzt gewissermaßen einem der hierzulande häufig ausgestellten alten weißen Männer ein Forum geschaffen. Immerhin hat die amerikanische Gastkuratorin Pamela Kort einen neuen Blick auf das Werk gerichtet, indem sie es auf seine Nähe zum Film und den kinematografischen Blick hin untersucht.
Wesentlich mutiger agiert da das Lenbachhaus. Direktor Matthias Mühling und die Kuratorinnen Stephanie Weber und Anna Straetmans präsentieren mit der 1943 geborenen US-amerikanischen Künstlerin Senga Nengudi eine der wichtigsten Pionierinnen feministischer Kunst und zugleich eine der bedeutendsten Repräsentantinnen afro-amerikanischer Kunst. Die als Sue Ellen Irons geborene Künstlerin hat sich 1974 in Senga Nengudi umbenannt. In der Ausstellung „Topologien“ sind zahlreiche Arbeiten zu sehen, die zwischen den Polen Bildhauerei, Performance und Tanz changieren. Viele ihrer Objekte, beispielsweise die aus Nylonstrumpfhosen bestehenden Arbeiten der Serie „R.S.V.P.“ sind nämlich dazu gedacht, in choreographierten Performances aktiviert zu werden. Doch auch so verändern die häufig mit Sand gefüllten und mit kleinen Fundstücken aus dem Alltag versehenen Objekte langsam ihre Form. Assoziationen an sexuell konnotierte Ausstülpungen sowohl weiblicher als auch männlicher Körper sind durchaus beabsichtigt. Nengudi geht es mehr um den Augenblick, in dem Kunst und Betrachter miteinander agieren, als um das Objekt an sich. Da ihre Kunst nicht primär auf Dauerhaftigkeit ausgelegt ist, wurden beispielsweise die Arbeiten ihrer Werkgruppe „Water Compositions“ neu für die Ausstellung gefertigt. Auch diese mit gefärbtem Wasser gefüllten Bodenskulturen aus transparentem Kunststoff zeichnen sich durch ihre formale Instabilität aus. Angesprochen auf die Strahlkraft von „Various Others“ resümiert Lenbachhaus-Direktor Matthias Mühling: „Wir können hier in München mit wenigen Mitteln eine Maximierung erreichen.“
Einen weiteren Höhepunkt im Münchner Kunstherbst stellt die Ausstellung „TUTTO. Perspektiven italienischer Kunst“ in der Sammlung Goetz dar. Die Schau wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Museion Bozen entwickelt und konzentriert sich auf italienische Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist bereits die dritte Kooperation zwischen den beiden Häusern.
Der Ausstellungstitel „TUTTO“ ist von dem gleichnamigen Werk Alighiero Boettis inspiriert, einer Stickerei auf Stoff, die wie ein Gemälde im Keilrahmen präsentiert wird. Unzählige Motive aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen vereint Boetti hier zu einem All-over aus Menschen, Tieren, Pflanzen, mythischen Figuren, antiken Formen, Buchstaben und High-Tech-Erzeugnissen. Von der Amphore bis zum Düsenjet ist alles dabei. Die sehenswerte Ausstellung vereint zudem Arbeiten etwa von Lucio Fontana, Giulio Paolini, Maurizio Nannucci, Giuseppe Penone oder Michelangelo Pistoletto. Zudem sind italienische Designklassiker aus den Beständen der Pinakothek der Moderne ausgestellt.
Zu sehen sind aber auch spannende Filmdokumente. Etwa der von der Musik der Beatles untermalte Experimentalfilm „Buongiorno Michelangelo“ (1968/69) von Ugo Nespolo, in welchem die Kamera zwei Männern dabei zuschaut, wie sie eine große, aus Zeitungspapier bestehende Kugel mit dem Cabrio durch Turin fahren und unter den staunenden Blicken der Passanten durch die Stadt rollen. Die Aktion fand 1968 im Rahmen einer Performance mit dem Titel „Scultura da passeggio“ statt.
Die Villa Stuck wiederum versammelte in der leider schon zu Ende gegangenen überaus sehenswerten Ausstellung „Von Ferne. Bilder zur DDR“ fotografische Bilder aus der und über die DDR. Die beiden Kuratoren Sabine Schmid und Michael Buhrs hatten insbesondere KünstlerInnen eingeladen, die sich auf appropiierende Art und Weise mit gefundenen Fotografien auseinandersetzen, die aus privaten oder staatlichen Konvoluten stammen. So hat etwa Jens Klein für seine Serie „Balloons“ S/W-Fotografien aus dem Archiv der Stasi-Unterlagen-Behörde ausgewählt, die von der Stasi so genannte westliche „Hetzschriftenballons“ an diversen Fundorten in Städten, aber auch auf Feldern oder Waldwegen zeigen. Während des Kalten Krieges war es offenbar üblich, dass die NATO-Staaten über der DDR mit Flugblättern bestückte Heliumballons niedergehen ließen. Die Stasi wiederum dokumentierte jede Landung mit der ihr eigenen Akribie. Unfreiwillig entstanden so Aufnahmen von eigenwilliger Schönheit. In einen Kunstkontext gestellt, erinnern die Bilder der langgestreckten Flugkörper aus semitransparenter Plastikfolie fast an Aufnahmen der „Luftskulpturen“ des ZERO-Künstlers Otto Piene.
Der Berliner Künstler Sven Johne wiederum greift auf privates Material des Mediziners Alfred Kleistner zurück. Dieser hinterließ bei seinem Freitod 1999 ein Konvolut von 358 Amateuraufnahmen von der Ostseeküste. Die sehr sachlich gehaltenen, allesamt menschenleeren Aufnahmen entstanden sowohl vor als auch nach der Wende. 1976 war es Kleistner in einer spektakulären Aktion gelungen, schwimmend in den Westen zu gelangen. Für seine Arbeit „Kleistners Archiv“ hat Johne jetzt jeweils 120 S/W- und 120 Farbaufnahmen ausgewählt, die er in großen Rahmen präsentiert. Sie zeigen auf geradezu beruhigende Art und Weise, dass der ewige Kreislauf von Ebbe und Flut, Sonnenauf- und -untergängen, Tages- und Jahreszeiten vollkommen unabhängig vom jeweils herrschenden politischen System ist. Ob Tina Baras Anfang der 1980er-Jahre entstandenen intimen Aufnahmen von Freunden und Freundinnen aus dem oppositionellen Milieu der DDR-Friedensbewegung, die durchaus an gleichzeitig entstandene Bilder der US-Amerikanerin Nan Goldin erinnern, Katrin Mayers Neu-Kontextualisierung von Bildern aus der Arbeitswelt aus dem Archiv Reinhard Mende oder Simon Menners aus unzähligen Papierschnipseln puzzleartig wieder zusammengeklebte Überwachungsbilder aus den hektisch aufgelösten Stasi-Archiven: „Sortieren, ordnen, gruppieren, auswählen“, zählt Sabine Schmid in ihrem Katalogessay die Methoden der beteiligten KünstlerInnen auf. Und genau darum ging es in dieser Ausstellung, die Vergangenes mit dem Blick von heute in ganz neue, für den Betrachter überaus spannende Kontexte stellte.
„Wenn wir die Stadt verändern wollen, so dass es langfristig funktioniert, müssen wir ein überregionales Publikum anziehen“, sagt Johannes Sperling, zusammen mit Sarah Haugeneder und Timo Geißler einer der Initiatoren des Projekts „Various Others“. Die Münchner Galerien haben sich daher jeweils mit einer Partnergalerie zusammengetan, um im internationalen Austausch neue Akzente zu setzen. Sperling selbst zum Beispiel kooperiert mit der Londoner Galerie Emalin. In seinen Räumen am Regerplatz zeigt er unter anderem eine Installation des 28 Jahre alten litauischen Künstlers Augustas Serapinas, der in diesem Jahr der jüngste Teilnehmer der Biennale Venedig ist. Aus seiner Heimatstadt Vilnius mitgebracht hat Serapinas ein weitgehend zerfallenes Gewächshaus, das er in den Ausstellungskontext überführt. Diese Arbeit ist typisch für den gesellschaftskritischen Ansatz des Künstlers, weist sie doch auf die auch in seiner Heimat nicht aufzuhaltende Überformung gegebener Verhältnisse durch Gentrifizierung und Immobilienspekulation hin. Das Haus, zu dem das Gewächshaus einst gehörte, wurde an Investoren verkauft. In der Doppelausstellung mit dem Berliner Künstler Malte Zenses zeigt Serapinas aber erstmals auch ein selbst hergestelltes Objekt in Form einer Glasscheibe, die er in einem Fensterrahmen präsentiert. Diese wurde gemeinsam mit gefundenen Pflanzenteilen in einem Brennofen so lange erhitzt bis sich ein ganz besonderes Amalgam aus Farben, Lufteinschlüssen und Asche bildete.
Insofern korrespondiert die Arbeit auch perfekt mit den Gemälden, des 1987 in Solingen geborenen Berliner Künstlers Malte Zenses, die ebenfalls von eher ephemeren Spuren und Erscheinungen geprägt sind.
Die Galerie Rüdiger Schöttle in der Amalienstraße zeigt den chinesischen Maler Ding Yi in einer Einzelausstellung in Kooperation mit der chinesischen ShanghART Gallery. In der Ausstellung „Rim Light“ zu sehen sind auf Lindenholz entstandene Gemälde in unterschiedlichen Formaten. Ding Yis Gemälde entstehen stets durch die komplexe Schichtung mehrere Farbschichten übereinander. Mit dem Stichel arbeitet der Künstler dann in größter Präzision durch Freilegung von Farbschichten Kreuzmotive heraus, die sich zu Strukturen verdichten, die unter anderem an Luftaufnahmen nächtlicher Großstädte erinnern.
„Wir wollen mit dem Projekt »Various Others« größere Aufmerksamkeit in die Galerien reinholen“, sagt Ingrid Lohaus von der Galerie Rüdiger Schöttle. „Es ist gut für uns, auch neue Sammler kennenzulernen, die von außen kommen und München aus einer anderen Perspektive erleben.“
Die Galerie Klüser zeigt an ihren zwei Standorten in der Georgenstraße und in der Türkenstraße die Ausstellung „Il Mondo Animale“ mit Arbeiten von insgesamt 17 Künstlern, darunter Stephan Balkenhol, Julian Rosefeldt, Cindy Sherman, Joseph Beuys oder William Wegman. Allen Künstlern gemeinsam ist ihre Annäherung an das Motiv Tier, die in ganz unterschiedlichen Medien umgesetzt wird. Besonders beeindruckend ist Julian Rosefeldts Videoarbeit „Das Wort ist immer die Avantgarde der Handlung“ von 2018, in deren Mittelpunkt vier reiterlose Pferde stehen, die, ausgestattet mit Decken, auf denen Auszüge der italienischen Verfassung abgedruckt sind, durch Rom galoppieren. Die Arbeit ist voller kunsthistorischer und politischer Referenzen. So bezieht sich Rosefeldt einerseits auf ein Happening mit vier Pferden, das Jannis Kounellis vor rund 50 Jahren in der römischen Fondazione Memmo gezeigt hat. Andererseits rekurriert die Arbeit jedoch auch auf die vom Erstarken des Rechtspopulismus geprägte politische Situation im Italien der Gegenwart.
Die Galerie Jo van de Loo hat sich für „Various Others“ mit der 1979 gegründeten Produzentengalerie Hamburg zusammengetan, die mit neuen Arbeiten der in Berlin lebenden, 1982 im tschechischen Falkenau geborenen, Malerin Monika Michalko angereist ist. Inspiriert von den Folkloretraditionen und der Ornamentik ihrer tschechischen Heimat, aber auch von Formen und Farben, Pflanzen und Tieren, die ihr auf ihren zahlreichen Auslandsreisen, so zuletzt nach Sri Lanka begegnet sind, schafft die Norbert Schwontkowski-Schülerin sehr eigenständige, mitunter surrealistisch anmutende Bildwelten. Passend dazu präsentiert der 1970 in Ingolstadt geborene Lorenz Straßl an Altare, Tabernakel oder Wunderkammervitrinen erinnernde, ironisch anmutende Ensembles aus gesammelten Fundstücken und Alltagsgegenständen.
Die Barbara Gross Galerie präsentierte unter anderem neue, großformatige Holzschnitte der Berliner Künstlerin Andrea Büttner. In einem gut besuchten Künstlergespräch während des Auftaktwochenendes erläuterte Andrea Büttner, die lange Zeit in London gelebt hat, die Bedeutung des Holzschnitts für ihr Gesamtwerk. Dabei geht es um Anspielungen auf das Arts and Crafts Movement, auf den modernistischen Holzschnitt bei HAP Grieshaber, aber auch Reminiszenzen, die auf ihre Erziehung in einer Klosterschule verweisen.
Einen Höhepunkt des Auftaktwochenendes stellte gleich am Freitagnachmittag die Live-Performance des in München lehrenden Berliner Künstlers Gregor Hildebrandt in der Musikabteilung des Kaufhauses Ludwig Beck in der Münchner Innenstadt dar. Begleitet von der Indie-Band PAAR, ließ der Künstler das Publikum an der Entstehung eines neuen, großformatigen Bildes aus Magnetbändern teilhaben.
„In München findet ein Diskurs über zeitgenössische Kunst statt“, sagt Patrizia Dander vom Museum Brandhorst. Hier moderierte sie am Samstagabend des Auftaktwochenendes auch eine Podiumsdiskussion, bei der die drei TeilnehmerInnen neue Vermittlungskonzepte in Schweden, dem Schweizer Engadin und in Bangladesh vorstellten. Unter dem Titel „Various Other Models“ diskutierten Tessa Praun, Direktorin und Chefintendantin der Stockholmer Kunsthalle Magasin III, Mareike Dittmers vom erst im Winter eröffneten privaten Muzeum Susch im schweizerischen Engadin sowie Diana Campbell Betancourt vom international stark wahrgenommenen Dhaka Art Summit „hybride Ansätze, die klassische Museumskonzepte herausfordern“, so Patrizia Dander.
Nach dem sich deutlich abzeichnenden Erfolg auch der diesjährigen Auflage können sich die Münchner Kunstprotagonisten entspannt zurücklehnen und Ideen für die nächste Ausgabe von „Various Others“ im Jahr 2020 sammeln. „Various Others“ ist ein Format, um das einige andere deutsche Städte, deren Kunstszene eine Frischzellenkur ebenfalls sehr gut täte, München nur beneiden können.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Various Others
Ort: München, zahlreiche Museen, Ausstellungshäuser und Galerien
Zeit: Alle Orte bis 13. Oktober 2019. Einzelne Ausstellungen sind jedoch noch wesentlich länger zu sehen
Internet: www.variousothers.com
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Laufzeiten:
Lenbachhaus: Senga Nengudi: Topologien, bis 19. Januar 2020, www.lenbachhaus.de
Sammlung Goetz: Tutto. Perspektiven italienischer Kunst, bis 29. Februar 2020, www.sammlung-goetz.de
Galerie Sperling: Augustas Serapinas und Malte Zenses, bis 26. Oktober 2019, www.sperling-munich.com
Galerie Ruediger Schöttle: Ding Yi. Rim Light, bis 16. November 2019, www.galerie-schoettle.de
Galerie Klüser: Il Mondo Animale, www.galerieklueser.com
Die Ausstellung in der Türkenstraße ist beendet. In der Georgenstraße ist die Ausstellung noch bis 9. November 2019 zu sehen.
Galerie Jo van de Loo: Monika Michalko und Lorenz Strassel, bis 26. Oktober 2019, www.galerie-jovandeloo.com
Galerie Barbara Gross: Andrea Büttner, bis 31. Oktober 2019, www.barbaragross.de