Neue Blicke auf einen alten Bekannten: Das Bank Austria Kunstforum in Wien versammelt in der Ausstellung „Pierre Bonnard. Die Farbe der Erinnerung“ zahlreiche Werke aus dem Spätwerk des französischen Post-Impressionisten
Pierre Bonnard galt lange als ein Zeit seines Lebens dem 19. Jahrhundert verhaftet gebliebener Maler gutbürgerlicher Verhältnisse und Interieurs. Kaum einmal ist auf seinen Gemälden ein Motiv außerhalb des Schutzraums seiner eigenen vier Wände zu sehen. Auch die Fährnisse und Widrigkeiten des 20. Jahrhunderts kommen auf seinen Bildern praktisch nicht vor. Dabei hat der 1867 in Fontenay-aux-Roses bei Paris geborene Künstler zwei Weltkriege bewusst erlebt. Auch die maßgeblich von Picasso, später von den Surrealisten angestoßenen Umwälzungen der Kunst scheinen relativ spurlos an ihm vorüber gegangen zu sein. Der spanische Avantgardist bezeichnete ihn gar recht despektierlich als „décadent … am Ende einer Entwicklung, nicht am Anfang einer neuen.“ Andere sahen in ihm gar einen Maler, „der keine Probleme aufwarf“.
Stimmt das überhaupt? Und wären das Gründe, ihm eine größere Ausstellung zu verweigern? Nein, findet Evelyn Benesch, Chefkuratorin und stellvertretende Direktorin am Bank Austria Kunstforum Wien. Mit der Schau „Pierre Bonnard. Die Farbe der Erinnerung“ zeigt das mitten in der Wiener Innenstadt gelegene Ausstellungshaus jetzt eine umfassende Präsentation des späteren Werks. Es ist die überhaupt erste Ausstellung mit Werken Bonnards in Österreich. Zu sehen sind zahlreiche Arbeiten aus der Zeit zwischen 1912 und 1947, dem Todesjahr Bonnards. Das Konzept der Ausstellung wurde von der Londoner Tate Modern, der Kopenhagener Ny Carlsberg Glyptotek und dem Kunstforum Wien gemeinsam entwickelt. Wien ist nun die letzte Station der Ende Januar gestarteten Ausstellungstournee.
„Seine Werke besitzen eine dunkle Seite… eine anrührende Melancholie, die zunimmt, je länger man sie betrachtet.“ Dieses im Katalog abgedruckte Zitat stammt von einem der wichtigsten Maler der Gegenwart, dem 1959 geborenen Schotten Peter Doig. Mit seinem ausdrücklichen Lob Bonnards legt Doig es den heutigen Betrachtern also nahe, einmal genauer hinzuschauen und den Franzosen nicht allzu leichtfertig als harmoniesüchtigen „Maler des Glücks“ abzustempeln, wie es lange Zeit geschehen ist.
„Was auf den ersten Augenschein Bonnard zu sein scheint, nämlich der Maler des Lichts und des Glücks, stimmt nicht. Bonnard braucht den zweiten Blick. Wenn man sich mit ihm beschäftigt, erkennt man die Brüche, die weit in die Moderne hineinreichen, ja, darüber hinaus“, betont denn auch Evelyn Benesch.
Das Themenspektrum des zurückgezogen lebenden Einzelgängers war durchaus reduziert. Nicht das vermeintlich Spektakuläre sondern vielmehr eine subtile Poesie des Alltäglichen interessierte ihn. So malte er immer wieder Marthe de Méligny, seine Frau und Muse, nackt vor dem Spiegel oder am Fenster stehend, in der Badewanne liegend oder gerade aus dieser heraussteigend. Daneben dominieren Blicke aus dem offenen Fenster hinaus in die mit warmen-mediterranen Farben aufgeladene südfranzösische Vegetation und Landschaft, zahlreiche Stillleben oder je nach Anlass und Tageszeit, mal opulenter mal frugaler gedeckte Esstische oder Kaffeetafeln. Als stille Beobachter tauchen auch der Hund und die Katze des Paares immer mal wieder am Bildrand auf. Marthe scheint im Übrigen immer jung zu bleiben. Bonnard malt auch seine ältere Frau noch als junges Mädchen. Mit dem erst 1946 vollendeten Gemälde „Akt im Bad mit kleinem Hund“ scheint er gar den Lauf der Zeit einfrieren zu wollen. Bei der Fertigstellung des Bildes war die Badende schon vier Jahre lang tot.
Was überwiegt auf diesen Bildern? Das melancholische Leiden an der Monotonie eines wenig abwechslungsreichen Alltags oder aber das beruhigende Gefühl, im einsiedlerischen Zuhause weitgehend sicher vor den Gefährdungen der Außenwelt zu sein? Fest steht, es sind intime Bilder einer Jahrzehnte andauernden, gegenüber der Außenwelt weitgehend abgeschotteten Zweisamkeit, die zudem vom neurotischen Waschzwang Marthes und ihrer fortschreitenden Lungenerkrankung geprägt war. Diese Spannungen malerisch subtil festzuhalten – vielleicht ist ja auch das eines der Alleinstellungsmerkmale Pierre Bonnards?
Doch viel wichtiger als das, was er malte, war ihm nach eigener Aussage offenbar das Malen an sich. „Die Gegenwart des Objekts, des Motivs, ist für den Maler im Moment des Malens störend. Der Ausgangspunkt für ein Gemälde ist schließlich eine Idee“, befand Bonnard. Dieser Erkenntnis folgend, malte er denn auch stets aus der Erinnerung heraus und nicht direkt vor dem Motiv. Stark beeinflusst von der intensiven Farbigkeit des japanischen Farbholzschnitts und dem Licht des französischen Südens, das er allerdings erst ab 1909 für sich entdeckte, entwickelte Bonnard eine sehr eigenständige Bildsprache, die insbesondere vom raffinierten Spiel gegen- und nebeneinander gesetzter Farbwerte geprägt ist. Zudem irritiert er den Betrachter immer wieder mit kleinen „Fehlern“ und Unstimmigkeiten. Manchmal passen die Perspektiven nicht, Spiegel führen zu verzerrten Raumwahrnehmungen oder variieren die Proportionen und die Farben dessen, was sie aller Logik nach 1:1 reproduzieren müssten.
Was ihn beim wiederholten Malen seiner Frau Marthe in der Badewanne womöglich primär interessierte, war die Frage, wie man Wasser und den teilweise davon bedeckten weiblichen Körper überhaupt malen, wie die unterschiedlichen Oberflächen, Texturen und Aggregatzustände gleichzeitig voneinander trennen und zusammenführen kann. Mit Bildern wie diesen, auf welchen Details, Figuren und Hintergrund ein komplexes Amalgam bilden, stieß Bonnard durchaus mutig in die Zwischenzonen von Gegenständlichkeit und Abstraktion vor.
Bonnard hat aber auch sichtbar gerne fotografiert. Ab 1920 hat er plötzlich damit aufgehört, dafür aber umso mehr gezeichnet. Meist benutzte er dafür die kleinformatigen Seiten von Tageskalendern. In Bezug auf die Fotografie kam er schließlich zu folgender Erkenntnis: „Das konventionelle Spiegelbild der äußeren Welt, das uns die Zeichnung bietet, ist unvergleichlich wahrer als der trockene fotografische Prozess.“ Dennoch ist das Medium Fotografie in der Wiener Ausstellung stark repräsentiert. Einerseits sind Bonnards eigene Amateuraufnahmen, etwa Akte von Marthe de Méligny im Badezuber oder im Sommergarten des Feriendomizils, zu sehen, andererseits führt die Schau aber auch eine Reihe von Aufnahmen Henri Cartier-Bressons und André Ostiers zusammen, die dem Besucher einen Eindruck von der Persönlichkeit des Künstlers vermitteln. Stets perfekt gekleidet, posiert der gealterte, aber immer noch schlanke Bonnard mal mit seinem Hund, oder er schaut – wir schreiben das Kriegsjahr 1941 – mit durchaus besorgter Miene im Salon seines Hauses in Le Cannet sitzend zum Fenster hinaus.
Seinen Kritikern hielt der wohl zu Unrecht als schönfärberischer Chronist des Häuslichen geschmähte Künstler einmal folgende Aussage entgegen: „Wer singt, ist nicht immer glücklich.“ Ob Veteran der von Picasso und Co. längst überholten Avantgarde des 19. Jahrhunderts, Chronist des Privaten oder feingeistiger Solitär und Verweigerer der wechselnden Stile und Moden des 20. Jahrhunderts: In der klug und facettenreich präsentierten Wiener Ausstellung jedenfalls kann man sich jetzt einen vorzüglichen Überblick über das durchaus widersprüchliche spätere Œuvre dieses mitunter rätselhaften Malers verschaffen – um dann selbst zu entscheiden, wie man ihn und sein Werk einordnen mag.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Pierre Bonnard. Die Farbe der Erinnerung
Ort: Bank Austria Kunstforum Wien
Zeit: bis 12. Januar 2020. Täglich 10-19 Uhr. Freitag 10-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 240 S., 32 Euro
Internet: www.kunstforumwien.at