Seit dem 7. Mai 2020 ist der Kunstverein in Hamburg wieder geöffnet. Die Ausstellung „ARS VIVA 2020“ mit den drei Künstler*innen Karimah Ashadu, Thibaut Henz und Cemile Sahin ist noch bis zum 31. Mai zu sehen. Nach einer vierwöchigen Umbauzeit eröffnet dann am 26. Juni die Sommerausstellung „#UNFINISHED-TRACES“, in der die Preisträger*innen der Villa Romana vorgestellt werden. Nicole Büsing und Heiko Klaas haben ein Interview mit Bettina Steinbrügge, der Direktorin des Kunstvereins in Hamburg, über Kunst und Kuratieren in Zeiten des Coronavirus geführt

Porträt Bettina Steinbrügge, Foto: Natascha Unkart
Nicole Büsing & Heiko Klaas: Bettina, hatte der Kunstverein in Hamburg während der Zeit des Lockdowns hohe Einbrüche im Vergleich etwa zum Vorjahr zu verzeichnen?
Bettina Steinbrügge: Ja, selbstverständlich. Viele private Stiftungen sind in die Soforthilfe für Künstler*innen und Kulturschaffende gewechselt, wir haben kaum Einnahmen, aber dennoch unsere ständigen Ausgaben wie zum Beispiel Technikmiete für laufende Ausstellungen, etc. Und die Kosten für die „neuen“ Aufgaben (Digital, Webseitenaufrüstung, Hygieneverordnung, längerer Aufbau, etc.) waren auch nicht eingeplant. Aber wir schichten um und werden gerade unglaublich kreativ.

ars viva 2020, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Habt ihr zum Beispiel mit digitalen Angeboten versucht, den Kontakt zu euren Besuchern aufrechtzuerhalten? Falls ja, wäre es schön, wenn du uns ein konkretes Beispiel nennen und beschreiben könntest. Gab es positives Feedback, dass du gerne erwähnen würdest?
BS: Wir arbeiten seit längerer Zeit an digitalen Strategien und bekommen jetzt einen Schnellkurs und probieren Dinge aus, die wir immer nach hinten geschoben hatten. Wir bieten Online-Führungen an, Talks, Social Media Aktionen auf Instagram und Facebook und entwickeln gerade Formate für digitale Eröffnungen, für interaktive Tea Times, etc. Die Frage ist ja auch, in welchen Formaten man zum Beispiel Performances dokumentieren kann. Das diskutieren wir derzeit mit verschiedenen Künster*innen, um vielleicht auch hier innovativ tätig sein zu können. Das Feedback ist enorm gut, die Klickzahlen sind toll, und wir gewinnen kontinuierlich noch neue Mitglieder*innen.

ars viva 2020, Karimah Ashadu, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Zur Situation der Mitarbeiter: War Kurzarbeit erforderlich? Oder konnten in der Zeit des Lockdowns vielleicht sogar andere Arbeiten sinnvoll erledigt werden, für die es im Alltagsbetrieb zu wenig Zeit gibt?
BS: Kurzarbeit war erforderlich, insbesondere weil wir alle ins Homeoffice gewechselt sind. Die sinnvollen Arbeiten, die gerade im Bereich unseres Archivs erledigt werden hätten können, wären nur im Kunstverein selbst möglich gewesen. Und das wäre wieder mit vielen anderen Problemen behaftet gewesen. Wir haben zum Teil immer noch Kurzarbeit, weil einfach durch die fehlenden Veranstaltungen wesentlich weniger anfällt, Reisen nicht geplant werden können, etc. Und durch die Hygieneauflagen sind die Büroarbeitsplätze dezimiert.

Außenansicht Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Welchen behördlichen Auflagen unterliegt der Kunstverein in Hamburg jetzt anlässlich der Wiedereröffnung (Besucherzahl, Mindestabstände, vorgeschriebene Hygienemaßnahmen, Tragen von Masken, reduzierte Öffnungszeiten etc.)? Welche Angebote macht ihr euren Besuchern, um den Aufenthalt so sicher und angenehm wie möglich zu gestalten (Desinfektionsmittel, Handschuhe, Waschgelegenheiten etc.)?
BS: Das Papier mit den Hygieneauflagen ist viel zu lang, um es hier aufzulisten und die Details sind wahrscheinlich auch nicht so spannend. Wir haben zusätzliche Putzkräfte, bieten Einwegmasken an, haben Desinfektionsmittel zum Gebrauch am Eingang stehen, achten auf Sicherheitsabstände, haben Kopfhörer entfernt etc. Die neue Besucherordnung findet sich auf unserer Webseite unter Aktuelles. Interessant wird der nächste Aufbau, denn die Hygienevorschriften dafür sind komplex, aufwendig und teuer. Wir benötigen jetzt auch vier Wochen Umbaupause, um dies vernünftig und ohne viel Risiko durchzuführen.

ars viva 2020, Karimah Ashadu, Brown Goods, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Habt ihr euch für die Wiedereröffnung besonders attraktive oder innovative Formate überlegt? Wenn ja, welche?
BS: Wir haben gerade die laufenden Ausstellungen geöffnet und verlängert, in zwei Wochen bauen wir um, und währenddessen läuft unser digitales Programm mit wöchentlichen Programmpunkten weiter. Ob das jetzt innovativ ist weiß ich nicht, aber zumindest sind die Themen total spannend. Und das kann man ja jederzeit auf unserer Webseite nachhören bzw. -sehen. Ansonsten hatten wir den ersten Eröffnungstag nur für unsere Mitglieder*innen geöffnet und haben die Öffnungszeiten in die Abendstunden verlegt.

Matheus Rocha Pitta,
The Curfew Sirens, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2020, Foto: Fred Dott
NB & HK: Musstest du wichtige Ausstellungen verschieben oder absagen? Wurden laufende Ausstellungen verlängert?
BS: Wir haben die Malereiausstellung abgesagt und werden sie im nächsten Sommer zeigen. Unter dem Motto: „BEING LAID UP WAS NO EXCUSE FOR NOT MAKING ART“ zeigen wir in zwei Kapiteln von je sieben Wochen eine Ausstellung zum Thema „Humor nach #metoo“ und eine weitere Ausstellung zu Thema „Corona Sound System“. Das erste Projekt entsteht gemeinsam mit dem Hamburger Kurz Film Festival, das abgesagt werden musste. Das zweite Projekt wird eine innovative Gruppenausstellung zum Thema Sound mit Performance-Elementen sein, die ich seit Jahren machen wollte und jetzt endlich mache. Lasst euch überraschen, das Hamburger Produktionsumfeld trifft auf ein internationales. Es ist ein Experiment im Werden, das einfach total Spaß macht.

ars viva 2020, Thibaut Henz (Bild Vordergrund), Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Welche wichtigen Ausstellungen planst du noch im Verlauf des Jahres, und in wieweit hat sich deine Jahresplanung jetzt verändert?
BS: Im Winter zeigen wir ganz nach Plan „NOT FULLY HUMAN, NOT HUMAN AT ALL“, ein Ausstellungsprojekt in Kooperation mit Nataša Petrešin-Bachelez und unter Mitarbeit von Bruno Leitão (Hangar, Lissabon), Monica de Miranda (Hangar, Lissabon), João Mourão (Kunsthalle Lissabon), Ares Shporta (Lumbardhi Foundation, Prizren), Luís Silva (Kunsthalle Lissabon), Pieternel Vermoortel (Netwerk, Aalst), Emilie Villez (Kadist, Paris). Vor dem Hintergrund der großen Veränderungen in Europa in den letzten Jahren widmet sich das Projekt „Not Fully Human, Not Human At All“ den Folgen des Kolonialismus, des Rassismus, des Anti-Feminismus und der jahrhundertealten Trennung von Natur und Kultur, die letztlich auch zur Klimakrise geführt hat. Worauf basiert die Unsicherheit der Gesellschaft, und wie lassen sich die einzelnen Symptome des demokratischen Verfalls darstellen? Wie denken Künstler*innen über Lösungs- und Heilungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft nach? Die Ausstellung wird beide Ausstellungsräume bespielen, das untere Projekt haben wir abgesagt. Zudem planen wir neu ein internationales Digitalprojekt. Das macht jetzt einfach gerade total Sinn.

ars viva 2020, Cemile Sahin, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott
NB & HK: Wie zuversichtlich bist du, dass der Ausstellungsbetrieb von einem erneuten Lockdown verschont bleibt?
BS: Ich weiß es nicht. Wir können aber unser komplettes Sommer-/Herbstprogramm auch digital spielen. Wir bleiben flexibel.
NB & HK: Bettina, wir danken dir für das Gespräch.

ars viva 2020, Thibaut Henz, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, Foto: Fred Dott